TBrutales Tötungsdelikt an Heiligabend: Stader Staatsanwalt fordert hohe Haftstrafe

Schwurgerichtssaal des Landgerichts Stade: Die Beweisaufnahme vor der 4. Großen Jugendstrafkammer ist abgeschlossen; am Montag wurden die Plädoyers gehalten. Foto: Reese-Winne
Was an Heiligabend 2023 in der Straße Hörn in Cuxhaven wirklich passiert ist, wird wohl auch nach der Urteilsverkündung am Donnerstag nicht vollständig aufgeklärt sein. Im Totschlag-Prozess wurden im Landgericht Stade die Plädoyers gehalten.
Stade. Klar ist, dass am Ende einer Nacht, die für die mutmaßlichen Tatbeteiligten mit einer Zockerrunde am PC bei reichlich selbst gebranntem Grappa und wohl auch Drogen oder Arzneimitteln begonnen hatte, ein 56-jähriger Cuxhavener in Sichtweite seines Zuhauses an Stichwunden verblutete, die ihm wahrscheinlich der jüngere der beiden Angeklagten beigebracht hatte. Das Motiv und der Ursprung des Konflikts bleiben im Dunklen.
Dafür machte der Staatsanwalt am Montag vor allem den schweigenden Hauptbeschuldigten verantwortlich, der sich angeblich an nichts erinnere, wohl aber nach der mutmaßlichen Tat mehreren Freunden davon berichtet habe. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe er sich zudem bewusst danach selbst mehrere leichte Schnittwunden zugefügt, um eine Notwehr-Situation zu konstruieren.
Verletzungen zeugen von besonderer Brutalität
Als besonders brutal stufte der Staatsanwalt die Gewalt des Messerangriffs auf den 56-jährigen früheren Soldaten ein. Drei tiefe Stiche in den Arm und einer in den Bauchraum hätten gravierende Verletzungen erzeugt, ein fünfter Stich sei durch die Schläfe und den Schädel fünf Zentimeter tief ins Gehirn eingedrungen. Der Staatsanwalt sah es mit Hinweis auf eigene Aussagen des Beschuldigten als erwiesen an, dass dieser in Tötungsabsicht bewusst dort zugestochen habe, „wo es gute Wirkung zeigt“.
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Mit Blick auf den gutachterlich festgestellten geistigen und sittlichen Entwicklungsstand des Beschuldigten - damals 20 Jahre und zehn Monate alt - sei das Jugendstrafrecht anzuwenden. Trotz Drogen- und Alkoholkonsums habe der Beschuldigte bewusst gehandelt. Bei der Vorlage der Asservate - sprich des sichergestellten Messers - habe er lediglich den Wunsch geäußert, das Messer zurückzuerhalten: „Es ist nichts angekommen“, konstatierte der Staatsanwalt. Sein Antrag: Acht Jahre und sechs Monate Haft im Maßregelvollzug.
Einen Krankenwagen gefordert - aber keinen gerufen
Beim zweiten Angeklagten sah der Staatsanwalt eine unterlassene Hilfeleistung als erwiesen an: Der 21-Jährige sei offenkundig erst nach den verhängnisvollen Stichen zur Situation hinzugekommen. Er habe die Verletzungen des Opfers gesehen, habe seinen Kumpel gefragt, warum er den Mann abgestochen habe und dass er einen Krankenwagen rufen solle. Statt dies selbst zu tun, sei er davongelaufen.
Laut medizinischem Gutachten hätte der 56-Jährige bei rechtzeitiger Hilfe überleben können, so der Staatsanwalt. Er hielt dem Beschuldigten seine eingeschränkte Schuldfähigkeit durch Drogen- und Alkoholeinfluss, fehlende einschlägige Vorstrafen und eine gute Prognose zugute und forderte eine sechsmonatige Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung.
Verteidiger: „Ernst der Lage war nicht zu erkennen“
Während die Nebenklägervertreterin dem Angeklagten vorwarf, dass dieser mehr an seinen Turnschuhen als am Wohlergehen des Opfers interessiert gewesen sei, plädierten die Verteidiger Katrin Bartels (Pflichtverteidigerin) und Reinhard Platzbecker auf Freispruch. Wie ernst der Zustand des Mannes war, sei für ihren Mandanten nicht ersichtlich gewesen.
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Als entlastend werteten beide insbesondere die Aussage eines Anwohners, der das Geschehen aus der Wohnung heraus gefilmt hatte. Zu diesem Zeitpunkt habe der ältere Mann den 21-Jährigen festgehalten und sich mit diesem einen Wortwechsel geliefert. Wenn er hinzugekommen wäre, hätte er eher den Jüngeren geholfen, so die Aussage des Zeugen, der außerdem berichtete, dass der Mann danach weitergegangen sei. „Das Ausmaß der Verletzungen war nicht erkennbar“, schlussfolgerte Katrin Bartels.
Was vorher geschehen ist, bleibt im Dunklen
Torsten Seyfarth, Pflichtverteidiger des jüngeren Beschuldigten, verwies auf erhebliche Lücken bei der Rekonstruktion des Geschehens. Es lägen keine Beweise dafür vor, dass sein - zudem durch Drogen- und Alkoholkonsum beeinflusster - Mandant aus dem Nichts zugestochen habe. Dessen Schweigen diene nicht der Selbstentlastung, sondern ihm fehle die Erinnerung. Bei der Jugendstrafe - Antrag: drei Jahre und sechs Monate - solle nicht der Sühne-, sondern der Erziehungsgedanke im Vordergrund stehen.
Beim letzten Wort führte der jüngere Angeklagte erneut seine Erinnerungslücken an. Der ältere wandte sich an die Familie des Opfers: „Ich entschuldige mich, dass ich keinen Krankenwagen gerufen habe.“ Er sei kein gewaltbereiter Mensch und habe große Schuldgefühle: „Das wird mich mein Leben lang begleiten.“