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Seedorf

TBundeswehr nach Vierfach-Mord: „Wir wollen keine Rambo-Typen“

Die Bundeswehr verteidigt die Werte der Bundesrepublik. Das nehmen die Soldaten sehr ernst, so Militärseelsorger Thomas Nuxoll.

Die Bundeswehr verteidigt die Werte der Bundesrepublik. Das nehmen die Soldaten sehr ernst, so Militärseelsorger Thomas Nuxoll. (Symbolbild) Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Soldat Florian G. hat vier Menschen bei Scheeßel ermordet. Seine Aussagen beim Prozess in Verden werfen Fragen auf. Wie passt sein Verhalten zu den Werten der Bundeswehr?

Von Matthias Röhrs Dienstag, 25.03.2025, 15:27 Uhr

Seedorf. Vier Menschen hat Florian G. in der Nacht auf den 1. März 2024 in Westervesede und Brockel erschossen, darunter ein kleines Kind. Aus Eifersucht, aus Rache - die Tat ist mittlerweile juristisch aufgearbeitet, der Soldat kommt lebenslang ins Gefängnis. Doch die Verarbeitung, das Entsetzen über das Geschehen ist längst noch nicht vorbei - und das Verhalten des Täters während des Prozesses sorgt für einen emotionalen Konflikt zwischen Militär und ziviler Gesellschaft.

Armee bringe Soldaten auch dazu, zu reflektieren

Das Verhalten und die Tat seien aber ganz und gar nicht das, wofür die Bundeswehr stehe, so Militärseelsorger Thomas Nuxoll, der für den Landkreis Rotenburg zuständig ist. Darunter die Kaserne in Seedorf, in der Florian G. stationiert war. Nuxoll glaubt, dass die Anspielungen von Florian G. auf das Militär Schutzbehauptungen seien. Das Töten habe er dort zwar gelernt. Das gehöre nun einmal zu den Aufgaben der Bundeswehr mit dazu. Allerdings bringe die Armee ihren Soldaten auch bei, zu reflektieren, ob Gewalt jeweils verantwortbar sei.

Der katholische Militärseelsorger Thomas Nuxoll ist auch für die Soldaten der Kaserne Seedorf zuständig.

Der katholische Militärseelsorger Thomas Nuxoll ist auch für die Soldaten der Kaserne Seedorf zuständig. Foto: Lutz Hilken

Die Worte, die Florian G. im Laufe des Verfahrens gesagt hat, sind im schlechtesten Sinne beeindruckend. Sie zeugen von tief sitzender Kälte anderen Menschen und ihrem Leben gegenüber. Sie offenbaren ein Verständnis von Gerechtigkeit, das außerhalb des Rechtsstaates liegt, dem er sich als Soldat verpflichtet hat. Vor der Tat habe der Soldat laut einem forensischen Psychiater für sich entschieden: „Ich bin Ermittler, ich bin Richter, ich bin Vollstrecker.“ Und dass der neue Partner und die beste Freundin seiner Frau „nicht das Recht haben, weiterzuleben“.

Florian G.: „Rein, suchen, vernichten, fertig.“

Mit der schrecklichen Tat scheint sich Florian G. ein Stück weit auch an der Zivilgesellschaft zu vergehen. Er ist überzeugter Soldat. Seine Tat, sein Verhalten wird eng mit seinem Beruf verknüpft. Sein vierfacher Mord ist in dieser Logik allerdings ein Angriff auf Zivilisten. Die Ziele, die Einfamilienhäuser in Westervesede und Brockel, habe er zuvor ausgespäht und sei schließlich wie beim Häuserkampf vorgegangen. „Ich habe mich gefühlt, als wäre ich im Einsatz“, sagt der Fallschirmjäger in seinem Geständnis. „Rein, suchen, vernichten, fertig.“

Der Angeklagte Florian G. steht neben seiner Verteidigerin Daniela Post im Gerichtssaal vom Landgericht Verden. Der Soldat hat mit einer Waffe vier Menschen im Landkreis Rotenburg umgebracht.

Der Angeklagte Florian G. steht neben seiner Verteidigerin Daniela Post im Gerichtssaal vom Landgericht Verden. Der Soldat hat mit einer Waffe vier Menschen im Landkreis Rotenburg umgebracht. Foto: Schuldt

Es sind Aussagen, die tiefes Unwohlsein erzeugen gegenüber Menschen, die sich eigentlich dem Schutz des Staates und des zivilen Lebens verschrieben haben, eine wichtige und vertrauensvolle Aufgabe erfüllen. Solche Sätze sollten nicht von denen kommen, die Werte und Freiheit der Bundesrepublik verteidigen. Als Parlamentsarmee repräsentiert sie schließlich die Bevölkerung im besonderen Maße.

Beamte der Spurensicherung stehen vor einem Einfamilienhaus in der Gemeinde Scheeßel. Ein Bundeswehrsoldat steht im Verdacht, vier Menschen im niedersächsischen Landkreis Rotenburg (Wümme) erschossen zu haben. Jetzt muss er sich deshalb vor Gericht verantworten. (zu dpa: «Prozess gegen Soldaten wegen vierfachen Mordes ab August»)

Beamte der Spurensicherung stehen vor einem Einfamilienhaus in der Gemeinde Scheeßel. Ein Bundeswehrsoldat steht im Verdacht, vier Menschen im niedersächsischen Landkreis Rotenburg (Wümme) erschossen zu haben. Jetzt muss er sich deshalb vor Gericht verantworten. (zu dpa: «Prozess gegen Soldaten wegen vierfachen Mordes ab August») Foto: Helen Hoffmann/dpa

Für Thomas Nuxoll stehen solche Aussagen überhaupt nicht im Einklang mit dem Wertekanon, den die Bundeswehr ihren Soldaten vermittelt. „Ich erlebe das überhaupt nicht so in der Truppe!“ Und der Eindruck, den diese Aussagen vermitteln, seien auch nicht mit dem vereinbar, wie Einsätze ablaufen. „Wir brauchen keine Rambo-Typen“, gewünscht seien eher ruhige und bedachte Soldaten. Neben dem rein handwerklichen Umgang mit einer Waffe bereite die Bundeswehr darum immer und immer wieder ethisch auf das Töten vor.

Doch bevor es so weit kommt, greife ein umfangreiches Regelwerk, wie die sogenannten Rules of Engagement. „Der Soldat muss sich darauf verlassen können, dass der Befehl rechtens ist“, sagt Nuxoll. Nicht zuletzt müsse er aber beim Abdrücken für sich selbst entscheiden, ob er den Schuss ethisch verantworten kann und gegebenenfalls verweigern. Blinder Gehorsam sei bei der Bundeswehr nicht gewollt oder erlaubt.

Was ist los in den Kasernen? Den Eindruck einer Parallelgesellschaft weist Thomas Nuxoll ab, „auch wenn es eine ganz eigene Welt ist in Sprache und Verhalten“. Das gebe es aber in jeder Firma. Allerdings seien Soldaten eben auch normale Bürger, haben Familie und Freunde.

Soldaten spüren positiveres Ansehen

Mittlerweile sei für sie aber spürbar, dass sich ihr Ansehen in der Gesellschaft verändert hat. Früher war die Bundeswehr durch die Wehrpflicht viel größeres Thema am Küchentisch und in Gesprächen, danach hat die deutsche Bevölkerung ihre Parlamentsarmee aber lange mit Desinteresse bedacht. „Das wäre auch immer noch so, wenn es keinen Krieg in der Ukraine und die politische Auseinandersetzung damit geben würde“, so Nuxoll. Der Blick auf Soldaten sei nun spürbar positiver.

Soldat sein ist eine komplexe, schwierige Aufgabe - nicht nur im belastenden Auslandseinsatz. Was macht den Soldaten, den viel beschworenen „Staatsbürger in Uniform“ aus? Was erwartet man von ihm? Persönlichkeitsbildung ist bei der Bundeswehr ein großes Thema mittlerweile.

„Das traditionelle soldatische Selbstverständnis, das mit Recht stark auf physische Stärke und Disziplin setzt, muss durch Fähigkeiten ergänzt werden, die Kreativität, Flexibilität und interkulturelle Kompetenz umfassen“, stellt ein Essay von zwei Führungsexperten in der von der Bundeswehr herausgegebenen Zeitschrift für innere Führung in ihrer vierten Ausgabe 2024 fest. Ebenso: „Die mentale Belastbarkeit von Soldatinnen und Soldaten ist angesichts der modernen Kriegsführung, die oft mit hohen psychischen Anforderungen einhergeht, von entscheidender Bedeutung.“

Nach seinen eigenen Aussagen scheint Florian G. noch einem „traditionellen“ soldatischen, disziplinierten und wohl auch patriarchalischen Soldatenbild anzuhängen. Und so begegnete er privaten und zivilen Problemen mit militärischen Mitteln. Die beste Freundin seiner damaligen Frau, der neue Freund und Nebenbuhler hätten ihm seine Karriere, sein Hobby und seine Zukunft ruiniert, sagt er im Prozess. Er habe gefürchtet, seinen Sohn zu verlieren. Besorgt habe er sich alles, was man für „den Häuserkampf gebrauchen könnte“. Den neuen Freund: erschossen. Dessen Mutter: erschossen. Die beste Freundin: erschossen. Ihre dreijährige Tochter: erschossen.

Soldaten kommen aus verschiedenen Umfeldern

Die Bundeswehr formt einen Menschen. Rekruten kommen aus verschiedenen Umfeldern, sind verschieden sozialisiert worden, haben unterschiedliche Gewohnheiten und Ansprüche. Und doch müssen sie im Militär eine Einheit sein. Das fängt bei der Uniform an, und bereits die sei laut Nuxoll für manche gewöhnungsbedürftig. Hinzu kommt: Bei der Armee ist nicht viel Raum für Individualität oder Privatsphäre. Für manche kann das ein Segen sein, für andere eine hohe psychische Belastung. Allerdings bietet die Bundeswehr ein breites psychosoziales Netzwerk an. Nuxoll ist überzeugt, bei jedem Problem kann geholfen werden. Das Problem ist nur: Der Soldat muss sich dafür melden.

„Wer im Kleinen verlässlich ist, ist es auch im Großen“

Ein Soldat braucht Disziplin. „Sonst funktioniert der Laden nicht“, sagt Nuxoll. „Wer im Kleinen verlässlich ist, ist es auch im Großen.“ Diese ist nicht leicht zu erlernen, Schikanen als Erziehungsmethode gehörten aber lange der Vergangenheit an. Das hätte auch keinen Effekt, sagt Thomas Nuxoll. Im Gegenteil: Die aktuelle Generation Rekruten würde die Armee mittlerweile schnell verlassen, wenn man sie schlecht behandelt. Dass der Ton aber rauer ist als andernorts, sei eben aber auch Teil der Armee. Dort sei halt nicht viel Platz für Befindlichkeiten, weil der Feind darauf auch keine Rücksicht nehme, so Nuxoll. (rk)

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