TClan-Prozess: Zeuge sagt trotz Sorge um Familie aus – Befangenheitsanträge

Der 34-jährige Angeklagte sitzt zwischen seinen Anwälten Dinah Busse und Dirk Meinicke. Foto:dpa Foto: dpa
Mehr und mehr prägen Beschimpfungen und Bedrohungen den Stader Clan-Prozess. Der eine Bruder des Angeklagten schweigt plötzlich, dafür sagt der andere aus.
Stade. Eigentlich wären im Landgericht Stade die Nebenklagevertreter und die Verteidiger mit ihrem Fragerecht an der Reihe gewesen. Doch der 38-Jährige, der am Freitag noch der Kammer und der Staatsanwältin drei Stunden lang Rede und Antwort gestanden hatte, machte diesmal als Angehöriger von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Begründen musste er das nicht. Allerdings berichtete Astrid Denecke als sein rechtlicher Beistand, dass sie gerade eine Beschimpfung mitbekommen habe. Die Witwe des Getöteten habe ihren Mandanten als Schwein bezeichnet. Doch dazu später mehr.
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Der achte Verhandlungstag vor der 1. Großen Strafkammer begann am Montag mit zwei Befangenheitsanträgen der Verteidiger: Strafverteidigerin Dinah Busse (§24 StPO) lehnt den Vorsitzenden Richter Erik Paarmann ab, weil er während der Vernehmung des 38-jährigen Bruders des Getöteten ihn aufgefordert habe, nicht alles zu wiederholen und nicht unsachlich zu werden. Nach §69 StPO habe der Zeuge Anspruch, ungestört vorzutragen. Der Richter dürfe nur unterbrechen, wenn es um Unklarheiten gehe. Außerdem messe der Vorsitzende mit zweierlei Maß. Daher dränge sich die Annahme auf, er sei nicht unparteiisch, so Busse.
Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden
Den zweiten Befangenheitsantrag stellte Verteidiger Dirk Meinicke, weil Paarmann sich geweigert habe, eine mutmaßliche Bedrohung aus den Zuschauerreihen gegen ihn, Meinicke („Du Fettsack, du wirst sehen, was passiert“), zu protokollieren, und er, Paarmann, deutlich gemacht habe, dass er als Vorsitzender über die Protokollierung zu entscheiden habe.
Beschimpfungen und Bedrohungen auf Arabisch scheinen den Prozess im Clanmilieu weiter zu begleiten. Nachdem Denecke am Montag von dem Schwein-Ausruf berichtet hatte, beantragte Dirk Meinecke umgehend, auch diese Beschimpfung zu protokollieren. Seine Kollegin Busse unterstützte den Antrag, zumal der Ausruf „Schwein“ den Straftatbestand der Beleidigung erfülle.
Verteidiger Meinecke forderte zudem, wie schon an anderen Prozesstagen, einen Dolmetscher hinzuzuziehen, um die Beeinflussung von Zeugen ausschließen zu können. Staatsanwältin Dawert unterstützte weder die Befangenheitsanträge noch den Einsatz eines Dolmetschers, denn der könne nicht das Ohr überall haben. Über die Anträge wird später entschieden.
Zeuge sagte trotz Sorge um Familie vor Gericht aus
Und so ging es an diesem Tag erst um 11 Uhr mit der weiteren Beweisaufnahme los. Gehört wurde ein weiterer Bruder des Angeklagten. Der 35-Jährige aus der Miri-Familie berichtete, dass er lange gezögert habe, ob er aussagen soll. Es sei ein „Twist“, auf der einen Seite „die Gefährdung von Leib und Seele für mich, meine Frau und meine drei wunderbaren Kinder“, auf der anderen Seite müsse er sich fragen: „Was ist mir das Recht wert?“
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Der angehende Lehrer holte weit aus, berichtete sehr ausführlich und eloquent, wie er in Buchholz als zweites Standbein seinen Shisha-Shop eingerichtet und etabliert hatte. Irgendwann habe er gehört, dass die Al-Zeins auch in Buchholz einen Shop eröffnen wollten.
Sein jüngerer Bruder Yussuf, der Videos aus dem Shop veröffentlichte, habe ihm berichtet, dass es Provokationen im Netz gebe, „da sind ein paar Leute, die wollen dich ficken“. Und tatsächlich seien immer wieder Autos vorbeigefahren und wurden so abgestellt, dass die Insassen direkt auf den Shisha-Shop schauen konnten.
Beim Friedenstreff nur eine Familie gut vertreten
Es habe Versuche gegeben, die Akteure auf beiden Seiten - die Miris auf der einen, die Al-Zeins auf der anderen - zu beruhigen. So habe ein Imam versucht, zu vermitteln. Auch über Geld wurde gesprochen. Doch das sei abgelehnt worden.
„Am Tag danach gab es ein verstörendes Ereignis“, so der 35-Jährige. In der Gemeinschaftspraxis seiner Brüder sei ein Schuss gefallen, obwohl gerade ein Kind in Behandlung war. Danach habe es einen Friedenstreff beider Großfamilien gegeben. „Die Anzahl der Anwesenden ist eine Art Garantie auf Erfolg“, erklärte der Lehrer. Doch von der anderen Seite, der Al-Zeins, seien nur zwei erschienen.
Es kam zum Showdown am 22. März. Wie schon sein Bruder am Freitag, berichtete er von dem Überfall auf den Laden in der Hökerstraße. Jalal, Bruder und Geschäftsinhaber, sei auf 180 gewesen. „Sein Laden komplett in Trümmern. Was wäre passiert, wenn wir Brüder nicht da gewesen wären?“, fragte der Zeuge. Jalal sei dann losgelaufen zum Auto. Der Angeklagte Mustafa sei ihm gefolgt und habe versucht, ihn zu beruhigen. Auch er lief hinterher. Alle drei stiegen ein.
Zeuge beteiligte sich mit Tritten an der Schlägerei
Jalal sei mit einer Waffe direkt zum Elternhaus der Al-Zeins gefahren, „das ist die größte Ehrverletzung“, so der 35-Jährige. Sein Bruder habe die Haustür eingetreten, „ich zog ihn weg, wie einen Bären“. Sie seien wieder ins Auto gestiegen und Richtung Innenstadt gefahren. Als sie in der Altländer Straße Polizeisirenen hörten, habe er Jalal aufgefordert, ihm die Waffe zu geben. Er sei dann auf Höhe des Rewe ausgestiegen und bei seinem Bruder Karim eingestiegen.
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Er habe gedacht, es passiere nichts mehr, weil er die Waffe hatte. „Leider war es nicht vorbei“, so der Zeuge. Als sie an der Kreuzung Salztor ankamen, habe eine Traube von Menschen aufeinander eingeschlagen. Dort habe er auch gesehen, dass einer der Al-Zeins Jalal im Schwitzkasten hatte. Er habe versucht, ihn wegzuziehen, doch er habe nicht losgelassen. „Dann bin ich einen Schritt zurückgegangen und habe ihm mit der Picke ins Gesicht getreten.“ Dann habe er das Pfefferspray gespürt und die Polizei habe ihn weggezogen und festgenommen.

Immer noch hohe Polizeipräsenz wegen des Prozesses im Clanmilieu. Foto: Vasel

Die Ritterstraße bleibt an den Verhandlungstagen im Mordprozess gesperrt. Foto: Vasel