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Fischerei

TDarum mussten die deutschen Fischer ihre Kutter verkaufen

Die Laderäume voller Fisch: Die „Ursel“ liegt bei der Heimkehr in den 70er Jahren tief im Wasser.

Die Laderäume voller Fisch: Die „Ursel“ liegt bei der Heimkehr in den 70er Jahren tief im Wasser. Foto: privat

Sein Zeugnis als Kapitän in der Großen Hochseefischerei gilt noch heute. Aber Frank Neumann steht schon lange nicht mehr auf der Brücke. Dies ist die Geschichte der „Ursel“ - seinem Schiff, das seit mehr als 60 Jahren immer noch fischt.

Von Thorsten Brockmann Samstag, 08.06.2024, 16:00 Uhr

Bremerhaven. „BX 757“: In A Coruna im Norden von Spanien ist seit 36 Jahrzehnten ein Fischtrawler zu Hause, an dessen Heck immer noch Bremerhaven als Heimathafen steht, das immer noch unter der Aufsicht des Staatlichen Fischereiamtes Bremerhaven steht, das immer noch im Bremerhavener Register geführt wird. Die „Pesorsa Cuatro“ fängt Königskrabben oder Seeteufel wie gerade jetzt wieder auf dem Atlantik weit vor der irischen Küste. „Das war unser Schiff“, sagt Frank Neumann.

Jeder wusste über die harte Arbeit auf See

Seit mehr als 36 Jahren ist es das schon nicht mehr. Aber der Wulsdorfer hängt noch heute den Geschichten nach aus jener Zeit, als die „Pesorsa Cuatro“ noch „Ursel“ hieß und Familien an die Schleuse pilgerten, um die Kutter zu verabschieden. Oder sie voller Stolz wieder empfingen, wenn sie mit einer vollen Ladung Fisch in den Fischereihafen einliefen. Jeder im Hafen wusste, welche Arbeit das war.

Neumann wäre vielleicht noch heute gern der Kapitän der „Ursel“. Aber als Mitte der 80er für ein Kilogramm Fisch häufig nicht mehr als 28 Pfennig - der in der Auktion festgelegte Mindestpreis - erzielt wurden, da war Schluss. „Das hat uns Erzeuger ruiniert.“ Fehlende Fangmöglichkeiten erhöhten den finanziellen Druck zusätzlich. „Nach zwei Wochen auf See blieb für fünf Mann Besatzung und das Schiff zuletzt nicht mehr viel übrig“, sagt ihr letzter deutscher Kapitän.

Mehr als 1500 Fischereischiffe waren in Bremerhaven zuhause

Das war lange nicht so. 1563 Schiffsnamen mit den Fischereikennzeichen „BX“ für Bremerhaven oder „PG“ für Preußisch Geestemünde führt die Datenbank des Historischen Museums über 105 Jahre Bremerhavener Fischereigeschichte. Frank Neumanns Vater Helmut kam von Hamburg-Finkenwerder an die Weser, fand als junger Kapitän erst sein Schiff in Bremerhaven und dann hier auch die Liebe.

Frank Neumann wurde 1960 geboren, seine Schwester zwei Jahre später - der Kriegsfischkutter des Vaters gab ihr den Namen: Ursel. Neumann junior stand schon als Zehnjähriger mit dem Alten auf der Brücke. Wo er die Schulferien verbrachte, war ohne Zweifel: auf See. Frank Neumanns Weg war vorgezeichnet. Fischwirt, Offizier, Fischwirtschaftsmeister, Kapitän sollte er werden. Wie der Vater wollte er das Kommando auf dem eigenen Schiff führen.

Die Neumanns kaufen einen neuen Hochseekutter. „Ursel“ wurde selbstverständlich sein Name, eingetragen Anfang 1973 im Fischereiregister von Bremerhaven mit der Nummer „BX 757“. Ein gutes Seeschiff von 30 Metern Länge, von denen auf DDR-Werften 250 Stück für die schwedische Heringsfischerei gebaut wurden. Die „Ursel“ war eines davon.

Die Männer standen im Fisch

Eine Fangreise dauerte gut zwei Wochen, dann lag das Schiff vier Tage im Hafen. „Nordsee, Eisfischen in der Ostsee, hoch nach Norwegen, zu den Färöern...“, zählt Neumann die Fangplätze auf. Nach einem Hol standen sie zu viert zum Schlachten an Deck, bis zu zehn Stunden, bis zu den Oberschenkeln im Fisch. „1000 Zentner Seelachs“, sagt Neumann, brachten sie nach Hause. 50 Tonnen. Er war 15 Jahre alt, als er beim Vater anheuerte. Ihn habe immer „die Freiheit“ fasziniert, sagt er. Rauszufahren auf das Meer und auf sich gestellt zu sein. „Bremerhaven achteraus - dann zählten nur noch wir.“

Drei Seefahrtsbücher liegen vor dem 64-Jährigen. Er wurde Fischwirt, er besuchte für die Offiziersausbildung die Seefahrtsschule, er heuerte auf den größten Hochseetrawlern im Hafen an und fuhr bis nach Island. Aber es zog ihn immer wieder zurück auf die „Ursel“. Mit 25 Jahren wurde er ihr Kapitän, auch wenn die Krise sich längst vollzogen hatte.

300 Zentner Seelachs an Bord: Bis zu den Oberschenkeln im Fisch.

300 Zentner Seelachs an Bord: Bis zu den Oberschenkeln im Fisch. Foto: privat

„Im Winter fuhren wir nach Dänemark, entlang der holländischen Grenze haben wir Kabeljau gefangen, manchmal war auch schon vor Helgoland Schluss.“ Gelöscht wurden die Fänge wegen der Preise meist schon nicht mehr in einem deutschen Hafen. Weil sie ihre Fangquote schon ausgeschöpft hatten, waren die Niederländer scharf auf die deutsche. Auch Neumann bekam das zweifelhafte Angebot, den Fisch der Holländer auf See zu übernehmen. Hering oder Kabeljau. Er müsse nur in den Hafen fahren und löschen. Sie hätten ihn gut bezahlt. Als er ablehnte, wurde er seinen eigenen Fang nicht mehr los in den Niederlanden. „Viele deutsche Fischer haben sich drauf eingelassen und mitgemacht“, erinnert sich Neumann. „Die mussten am Ende hohe Strafen zahlen.“

Frank Neumann fuhr die „Ursel“ nach Spanien, wollte auch dort ihr Kapitän bleiben. Aber er kehrte für die Familie nach Bremerhaven zurück. Heute hat er das Kommando auf der Brücke des Restaurantschiffs „Hansa“, wenn sie den Fischereihafen verlässt. Foto: Hartmann

Frank Neumann fuhr die „Ursel“ nach Spanien, wollte auch dort ihr Kapitän bleiben. Aber er kehrte für die Familie nach Bremerhaven zurück. Heute hat er das Kommando auf der Brücke des Restaurantschiffs „Hansa“, wenn sie den Fischereihafen verlässt. Foto: Hartmann Foto: Hartmann

Sein Schiff nach Holland zu verkaufen, das kam für Neumann senior nicht in Frage. Aber so weitergehen konnte es auch nicht mehr. Als der Steuerberater die Rechnung vorlegte, dass 220 Tage auf See nicht mehr auskömmlich erschienen, musste auch Frank Neumann ausschlagen, vom Vater die „Ursel“ zu übernehmen.

Statt Netze eine Leine voller Haken

Das Schiff wurde verkauft, „der Alte“ fuhr noch ein paar Jahre mit einer Fähre Importautos vom Kaiserhafen in den Fischereihafen. Sein Sohn aber blieb an Bord der „Ursel“. Am 27. März 1988 legte er im Fischereihafen ab - Kurs auf Vigo an der spanischen Atlantikküste.

Einst als „Ursel“ im Fischereihafen zuhause: Die "Pesorsa Cuatro" im Hafen von La Coruna.

Einst als „Ursel“ im Fischereihafen zuhause: Die "Pesorsa Cuatro" im Hafen von La Coruna. Foto: Juan Fraguela

Frank Neumann stand auf der Brücke und blieb auch beinahe das ganze Jahr an Bord. „Deutsches Schiff, deutsche Flagge, deutscher Kapitän“, sagt er. Statt Netzen brachte die Besatzung Leinen aus - 15 Kilometer lang mit 16.000 Haken daran, um Seeteufel zu fangen. Wie den Holländern ging es den neuen Eignern um die deutsche Quote. Dafür brauchten sie ein deutsches Schiff. Und sie fahren es noch immer.

„Ich habe sie nie aus den Augen verloren“, sagt Frank Neumann - auch wenn er längst bei Bremenports für den Betrieb der Schleusen zuständig ist. Aber in seiner Freizeit, da steht er doch immer wieder auf der Brücke - in Teilzeit als Kapitän des Salondampfers „Hansa“.

Die „Ursel“ kurz nach dem Verkauf nach Spanien.

Die „Ursel“ kurz nach dem Verkauf nach Spanien. Foto: privat

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