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Leben und sterben

T„Hospiz für mich ein Glücksfall“: Wenn man die eigene Beerdigung plant

Immer mehr Menschen wollen nach ihrem Tod auf dem Meer bestattet werden.

Immer mehr Menschen wollen nach ihrem Tod auf dem Meer bestattet werden. Foto: Carsten Rehder

Marion Bohlmann lebt seit einigen Wochen im Hospiz. Hier hat sie Zeit, sich um ihre Bestattung zu kümmern: Sie plant ihre letzte Party und bereitet sich auf den Tod vor.

Von Holger Heitmann Samstag, 16.08.2025, 17:50 Uhr

Rotenburg. Als Bohlmann Mitte Juni nach Rotenburg ins Hospiz Zum Guten Hirten kam, „da hatte ich Zeit, mich um meine Bestattung zu kümmern“, erklärt sie mit einem Achselzucken, als sei es nur darum gegangen, mal wieder einen Abstellraum aufzuräumen. Dass sie für sich eine Seebestattung wollte, das habe sie schon lange gewusst. Aber im Hospiz rief sie dann ein Bestattungsinstitut an, von dem ein Angestellter zum persönlichen Gespräch kam.

Was Bohlmann gemacht hat, sei sozusagen ein Musterbeispiel, wie es laufen könne, meint Hospiz-Leiterin Kathrin Harms. Das sei aber nicht allzu oft der Fall. Manchen Gästen bleibt im Hospiz nur noch wenig Zeit, so wenig, dass sie nicht mehr imstande sind, sich Gedanken über die Beerdigung zu machen oder gar diese zu planen. Manche kommen auch in einem gesundheitlichen Zustand, in dem ihnen das egal ist.

Anders Bohlmann. „Ich bin ein Mensch, der gern seine Sachen alle geregelt hat und selbst bestimmen möchte.“ So war sie wohl schon immer, so ist es auch heute noch, wenn sie sich selbst morgens um viertel nach sieben ihr Frühstück in der Küche zubereitet. Sie ist dankbar dafür, im Hospiz nicht in einem Raster zu sein, mit festen Essenszeiten etwa. „Für mich ist das Hospiz ein Glücksfall.“ Harms erzählt: „Frau Bohlmann war geradezu enthusiastisch, als sie herkam.“

Selbstbestimmtes Sterben nach selbstbestimmtem Leben

Es gehöre auch zu ihrer Arbeit im Hospiz, so Harms, mit Betroffenen und Angehörigen über Fragen zu sprechen wie: Wann gehe ich zum Bestatter? „Wir suchen nicht den Sarg mit aus, das ist nicht unser Business“, verdeutlicht sie, aber es sei eben besser, über solche Themen zu sprechen als sie zu verdrängen, und manche seien dankbar für den Impuls. Dass Bohlmann darüber spricht und auch handelt, sei „ein großes Glück“ für sie selbst und ihre Angehörigen, findet Harms.

„Manche sitzen das aus, aber zu einem selbstbestimmten Leben gehört ein selbstbestimmtes Sterben.“ Freilich sollte man auch akzeptieren, wenn jemand nicht darüber sprechen will, aber manche hätten das auch einfach nie gelernt. Dabei sei es früher zumindest auf dem Dorf üblich gewesen, dass sich die Menschen vom Sterbenden verabschieden.

Bohlmann sagt, sie wollte nicht, dass ihre beiden Söhne, 30 und 33 Jahre alt, die Entscheidung treffen müssen und darüber womöglich untereinander noch uneins sind. Dass sie es selbst getan hat, das „gibt mir ein beruhigendes Gefühl“. Ihr älterer Sohn fand die Pläne für die Seebestattung in der Nordsee gut, das Schiff, das Bohlmanns Urne von Harlesiel aus hinter Wangerooge bringen soll, die Anzahl der Gäste, die dabei sein wird. Ihr jüngerer Sohn dagegen hätte lieber einen festen Ort wie einen Friedhof zum Trauern. „Das kann ich verstehen, aber in ein paar Jahren wäre ihm so eine Grabstelle vielleicht ein Klotz am Bein“, überlegt Bohlmann.

Von Bord gehen und das Leben fröhlich weiterführen

Es sei noch nicht so lange her, dass ihre eigenen Eltern, die über 90 wurden, gestorben sind und Bohlmann sich um deren Beerdigung kümmerte. Da hatte sie eben kein gutes Gefühl, weil sie selbst entscheiden musste. Ihre Kinder sollen sagen können: „Mama hat so entschieden.“ Und das bis hin zu den Liedern, die auf dem Schiff gespielt werden sollen. Welche das sein werden, sei noch eine Überraschung. Aber es werde auch etwas Melancholisches dabei sein.

„Es darf Tränen geben, man soll Trauer ja zulassen, aber dann kommt etwas Fetziges.“ „Ihr sollt, wenn ihr von Bord geht, fröhlich euer Leben weiterführen“, soll die Botschaft der Musik sein. Einen Pastor als Trauerredner werde es nicht geben. „Die, die dabei sein werden, kennen mich eh in- und auswendig.“

Sie sei nicht so die Kirchgängerin, erklärt Bohlmann, aber sie habe ihre Vorstellung von Gott. Und sie glaubt, dass nach dem Tod noch etwas kommt, dass man abtaucht und wieder auftaucht, dass es irgendwie anders weitergehe. „Die Seele geht nicht verloren“, ist Bohlmann überzeugt. „Ich habe eine rege Fantasie, ich habe mir schon als Kind, wenn ich nicht einschlafen konnte, schöne Träume überlegt.“

Bestattungsformen in Deutschland lassen vieles nicht zu

Ihre Eltern, die bis in ihr hohes Alter autark gelebt haben, konnte sie „gut gehen lassen“, und auch vor dem eigenen Tod scheint sie wenig Angst zu haben. „Wenn junge Leute oder Kinder sterben, finde ich das ganz schlimm, aber ich bin über 60 und habe ein schönes Leben gehabt, besser wird es nicht.“ Wobei sie gern im Hospiz sei, „hier bin ich nicht allein und werde auch mal verwöhnt“. Mit Fußmassagen oder mit Spaghetti mit Pfifferlingen etwa, nach einem Rezept, so wie Bohlmann es mag.

Diese Gummiente mit der Wangerooger Inselbahn und dem Wangerooger Leuchtturm steht im Hospiz-Zimmer von Marion Bohlmann. Wangerooge ist ihre Lieblingsinsel, in deren Nähe sie seebestattet werden möchte.

Diese Gummiente mit der Wangerooger Inselbahn und dem Wangerooger Leuchtturm steht im Hospiz-Zimmer von Marion Bohlmann. Wangerooge ist ihre Lieblingsinsel, in deren Nähe sie seebestattet werden möchte. Foto: Bohlmann

Harms sagt, das Hospiz werde oft mit einem Sterbehaus assoziiert, aber hier werde auch der Rest des Lebens gefeiert. Und Bohlmanns Seebestattung werde ihre letzte Party, die solle so sein wie Bohlmann sich das vorstellt. Überhaupt, meint Harms, steckten selbstbestimmte Bestattungsformen in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Viel sei verboten, etwa Asche im eigenen Garten zu verstreuen. Dabei schaffen es manche Angehörige eben nicht auf einen Friedhof.

Bohlmann hat über ihrem Bett ein Bild aufgehängt, das ein Fenster mit Blick auf Strand und Meer zeigt, wie früher der Blick aus dem Ferienhaus auf Wangerooge. „Ich habe schon vor meiner Krankheit alles gemacht, was ich machen wollte.“ Die aus Bremen stammende Frau hat 30 Jahre in Reeßum und zuletzt in Otterstedt gewohnt. Eine Fahrt mit einem Wünschewagen, der sie zum letzten Mal an einen bestimmten Ort bringen würde, brauche sie nicht. „Das würde mich vielleicht doch nur traurig machen.“

Auf ein schönes gemeinsames Leben zurückblicken

Bohlmann ist akkurat geschminkt, trägt silberne Ringe an den Fingern und eine Mütze in Altrosa, die ihr gut steht. Nur ihre schmale Figur - die etwas knochigen Finger und die ein wenig eingefallenen Wangen - deuten auf ihre Krankheit hin. An ihrem Bett stehen Weintrauben, auf einem Tisch Familienfotos. Sie redet mit kräftiger Stimme. „Was würde es mir helfen, griesgrämig zu sein?“, fragt Bohlmann rhetorisch. „Sie sind so positiv und lebensbejahend, ich lerne jeden Tag von Ihnen“, sagt Harms zu ihr.

Bohlmanns Bestattung wird 6.000 Euro kosten, plus den Preis der Urne. „Ich bekomme aktuell Rente und habe ein bisschen was angespart“, erklärt sie. Ihren Bestattungsplan hat sie „Liste für die Kiste“ getauft. Sie macht alles andere als den Anschein, die mutige, fröhliche Frau nur zu spielen, damit sich andere vielleicht besser fühlen. Sie sagt: „Ich spreche gern darüber und freue mich, wenn ich anderen damit vielleicht sogar einen Rat gebe.“

Freilich ist nicht jeder wie Marion Bohlmann. „Es kann auch mal dazu gehören, depressiv zu werden und um sich selbst zu trauern“, sagt Harms. Ein anderer Mensch werde man am Ende seines Lebens nicht mehr. „So wie wir gelebt haben, so sterben wir auch“, sagt die Hospiz-Leiterin. Die Musik während Bohlmanns Bestattung soll den Teilnehmenden der Trauerfeier signalisieren: „Ihr sollt dankbar sein, dass wir ein so schönes Leben zusammen hatten.“

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