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TDie EU-Politik und der Zoff um Gülle und Grundwasser

Hier ist der verlängerte Arm der EU am Werk: Astrid Dylda vom NLWKN nimmt in Hollern eine Grundwasserprobe.

Hier ist der verlängerte Arm der EU am Werk: Astrid Dylda vom NLWKN nimmt in Hollern eine Grundwasserprobe. Foto: Anping Richter

Gülle stinkt vielen. Landwirten stinkt etwas anderes aber mehr: die EU-Nitratrichtlinie, die das Düngen mit Gülle zum Schutz des Grundwassers stark einschränkt. Eine Grundwasserprobe im Kreis Stade gibt Einblick in Kontrollen - und in Kontroversen.

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Von Anping Richter
Donnerstag, 06.06.2024, 12:15 Uhr

Landkreis. Am Rand einer Obstplantage in Hollern haben Theresa Söhl und Astrid Dylda einen kleinen Alu-Tisch aufgeklappt. Frühstück im Grünen? Nein, Arbeit. Auf dem Tisch steht ein Gerät, von dem ein Schlauch in eines von drei Rohren führt, die aus dem Boden ragen. Es sind Brunnen, Zugänge zum Grundwasser. Hier ist die EU am Werk.

Genauer gesagt: ihr verlängerter Arm in Gestalt eines Teams vom NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz).

Ulrich Wiegel, Laborleiter beim NLWKN in Stade, nimmt heute mit zwei Kolleginnen Grundwasserproben.

„Kalium, Magnesium, Natrium - wir messen alles, was hinten auf der Mineralwasserflasche steht, und ein paar Sachen mehr. Pestizide und Schwermetalle zum Beispiel“, erklärt der studierte Bio-Ingenieur.

Drei Grundwasserblasen tief unter der Erde

Die Rohre führen zu drei Grundwasserblasen: eine in 10 Metern, eine in 37 Metern und eine in 65 Metern Tiefe - drei von 120 Messstellen im Einzugsgebiet des NLWKN Stade. Gerade ist das mittlere Rohr dran. Biologie-Laborantin Astrid Dylda nimmt den Schlauch und lässt Wasser in einen Messbecher laufen. Es ist gelbbraun.

Mit Gülle hat das laut Wiegel nichts zu tun, das kann er aufgrund früherer Proben einschätzen: „Hier gibt es fast Null Nitrat und sehr geringe Nährstoffeinträge.“ Die dunkle Färbung entstehe durch Huminstoffe, organische Substanzen aus dem humushaltigen Boden.

Der Sensor am Tiefenlot ist verunreinigt: Ulrich Wiegel und Astrid Dylda stehen am Brunnen der Grundwassermessestelle, Theresa Söhl bringt Wasser zur Sensorreinigung.

Der Sensor am Tiefenlot ist verunreinigt: Ulrich Wiegel und Astrid Dylda stehen am Brunnen der Grundwassermessestelle, Theresa Söhl bringt Wasser zur Sensorreinigung. Foto: Anping Richter

Wo im Kreis Stade der Nitratwert überschritten wird

Doch es gibt viele Messstellen in Niedersachsen, bei denen der Nitrat-Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter überschritten wird, vor allem in Regionen mit intensiver Landwirtschaft wie zum Beispiel Cloppenburg-Vechta. Im Kreis Stade gibt es laut niedersächsischer Umweltkarte fünf Messstellen (bei Dollern, Schwinge, Wedel, Oersdorf und Buxtehude), bei denen der Nitratgehalt des Grundwassers oberhalb des Grenzwerts liegt.

In Deutschland werden 70 Prozent des Trinkwassers aus Grundwasser gewonnen. Der Nitratgrenzwert von 50 Milligramm pro Liter soll sicherstellen, dass es für die Zubereitung von Säuglingsnahrung geeignet ist, denn im Magen kann Nitrat zu Nitrit umgewandelt werden, ins Blut gelangen und den Sauerstofftransport stören. Außerdem kann Nitrit mit bestimmten Eiweißabbauprodukten zu krebserregenden Nitrosaminen reagieren.

Am Alu-Tischchen füllen die Laborantinnen das Proben-Protokoll aus und tragen weitere Daten in ein Tablet ein. Alle EU-Messstellen sind einer weltweit gültigen Norm für die Kompetenz von Prüflaboratorien verpflichtet. „Der Prozess muss transparent sein. Das Ziel sind valide Prüfergebnisse“, sagt Ulrich Wiegel.

Der Streit um die EU-Nitrat-Richtlinie

Trotzdem ist die EU-weite Beprobung ein Streitpunkt: Weil bei mehr als einem Viertel der Messstellen in Deutschland seit Jahren der Nitrat-Grenzwert überschritten wurde, drohten Strafzahlungen von 1 Million Euro pro Tag. Die Vorgängerregierung der Ampel konnte das durch eilig eingeführte Maßnahmen gerade noch abwenden.

„Das ging Schlag auf Schlag“, erklärt auf Nachfrage Jan Plath, Vorsitzender des Kreisbauernverbands (Landvolk). Dabei seien die Vorgaben in der Praxis nur schwer umzusetzen - auch wegen des unglaublichen Bürokratieaufwands.

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Wie der aussieht, erklärt Kreisbauernverbands-Geschäftsführer Christoph Wilkens: Bevor die Gülle nach der Winter-Sperrfrist bis zum 31. Januar wieder ausgebracht werden darf, muss der Düngebedarf ermittelt werden. Welche Kulturen sollen gepflanzt werden, was werden sie brauchen?

Vom Tag der Düngung an seien zwei Tage Zeit, um zu dokumentieren, wie gedüngt wurde. Auch ein Weidetagebuch muss geführt werden, um zu ermitteln, wann, wo und durch wie viele Tiere es Nährstoffeinträge gab. Der Dokumentationsaufwand sei in den vorgeschriebenen Fristen kaum noch zu schaffen.

Unterschiedliche Gewässeruntersuchungen in den EU-Ländern

Während der Bauernproteste beschwerten sich viele Landwirte über die EU-Vorgaben. Der Tenor: Die Nitrat-Situation in Deutschland sei im europäischen Vergleich gar nicht so schlimm, nur werde ungerechterweise anders gemessen, nämlich an Problemstandorten, direkt dort, wo die Gülle anfällt.

In anderen Ländern würden die Proben einfach irgendwo entnommen. Ist das wirklich so? Zum Teil, antwortet der für den Kreis Stade zuständige EU-Abgeordnete Tiemo Wölken (SPD), Sprecher seiner Fraktion im Umweltausschuss.

Tiemo Wölken (SPD), EU-Abgeordneter und Sprecher seiner Fraktion im Umweltausschuss in Brüssel.

Tiemo Wölken (SPD), EU-Abgeordneter und Sprecher seiner Fraktion im Umweltausschuss in Brüssel. Foto: klempow

Das Messstellen-Netzwerk sei unterschiedlich gewachsen: Frankreich habe - wie Deutschland - neben dem Messnetz für die Wasserrahmenrichtlinie ein Messnetz für die Nitratrichtlinie. Einige Mitgliedsstaaten haben das nicht und reichen alle Ergebnisse ein. Teilweise seien landwirtschaftlich genutzte Gebiete dabei aber auch überrepräsentiert.

Wie in Österreich, wo weite Teile Niederösterreichs und fast das ganze Burgenland als nitratsensible Gebiete ausgewiesen wurden - als rote Gebiete, in denen nur bis maximal 20 Prozent unterhalb des Bedarfs der jeweiligen Kultur gedüngt werden darf.

Wieso ein Landwirt Gülle weggeben und Mineraldünger kaufen muss

Rote Gebiete gibt es auch im Landkreis Stade, berichtet Jan Plath. Nachzusehen sind sie auf einer interaktiven Karte im LEA-Portal des Landwirtschaftsministeriums. Jede Messstelle, an der Grenzwerte überschritten wurden, liegt auf einer Grundwasserblase größerer Ausdehnung. Bedeutet: Je größer die Blase einer roten Messstelle ist, desto größer ist natürlich auch das rote Gebiet.

Sein eigener Hof mit Kühen und Grünland liegt nicht im Roten Gebiet, sagt Plath, doch eine Obergrenze von 170 Kilogramm Gülle pro Hektar gilt für alle. Dabei sei nicht das Düngen das Problem. Nitrat sickere nur in den Boden, wenn der Stickstoff nicht von den Pflanzen verwertet werden kann und unsachgemäß ausgebracht wird.

„Ich wirtschafte intensiv und gebe Gülle ab, zum Beispiel an Ackerbaubetriebe ohne Tierhaltung.“ Sein Grünland, auf dem er fünf Schnitte jährlich macht, benötige eigentlich 260 bis 280 Kilogramm Gülle. Doch um die Obergrenze für organischen Dünger, die besagten 170 Kilogramm, einzuhalten, muss er mineralischen Dünger zukaufen, um den Restbedarf zu decken.

Die landwirtschaftlich genutzten Gebiete bei den Messungen gesondert auszuweisen, sei sinnvoll und üblich, um zu erfahren, ob und wo es zu erhöhten Nitrateinträgen kommt, findet Wölken. EU-weit laufen gegen mehrere Mitgliedsstaaten Vertragsverletzungsverfahren.

Spanien zum Beispiel wurde vom EuGH verurteilt, weil es versäumte, in durch Schweinemast stark belasteten Regionen Maßnahmen zu erlassen. „Grundsätzlich lässt sich das Nitratproblem im Grundwasser nicht wegmessen“, sagt Tiemo Wölken. Das sei auch die klare Botschaft der Trinkwasserverbände.

Thomas Dunse, stellvertretender Geschäftsführer des Trinkwasserverbands Stader Land, verweist auf den aktuellen Nährstoffbericht der Düngebehörde. Demnach sei die Menge im Meldezeitraum 2022/2023 deutlich zurückgegangen. „Noch ist nicht wirklich zu sagen, dass sich das auf das Trinkwasser auswirkt.

Aber wir erwarten es“, sagt Dunse. Wegen erhöhter Grenzwerte gesperrte oder eingeschränkte Trinkwasserbrunnen gebe es im Verbandsgebiet nicht: „Wir nutzen alle, die wir haben.“

Warum Landwirte sich ein noch besseres Messnetzwerk wünschen

In Hollern filtert Chemie-Laborantin Theresa Söhl im NLWKN-Transporter störende Feststoffe aus den Proben. Im Labor in Stade wird auf Nährstoffe wie Nitrat, Ammonium und Nitrit untersucht, in Hildesheim auf Pflanzenschutzmittel. Das kleine Team hat viel zu tun: Manche der 120 Messtellen im Einzugsbereich des NLWKN Stade beproben sie einmal im Jahr, manche zwei Mal, solche mit kritischen Werten auch öfter.

Theresa Söhl bereitet im rollenden Mini-Labor des NLWKN eine Probe auf.

Theresa Söhl bereitet im rollenden Mini-Labor des NLWKN eine Probe auf. Foto: Anping Richter

Trotzdem hätten die Landwirte gerne ein noch moderneres, engmaschigeres Messstellennetz. Damit, so hoffen sie, könnten sogenannte schwarze Schafe besser identifiziert werden, so dass nicht so große Flächen zu Roten Gebieten erklärt werden müssen.

„Das könnte uns bei der passgenaueren Umsetzung des Versorgerprinzips helfen“, sagt Wölken. Darüber hinaus müssten künftige Reformen der Richtlinie für eine bessere Vergleichbarkeit der Daten zwischen den Mitgliedsstaaten sorgen. Jan Plath wirkt nicht überzeugt.

„Wir wollen die Natur und das Wasser ja auch gesund erhalten. Aber wir wünschen uns, dass wissensbasiert und nicht ideologisch agiert wird“, sagt er. Er fragt sich, wie lange es dauern wird, bis Nitrat-Rückstände, die in vergangenen Jahrzehnten wie auch immer ins Grundwasser gelangt sind, abgebaut werden. Nur so würde klar, was der Gülle-Verzicht außer mehr Stress und Aufwand tatsächlich bringt.

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