TDoris Kunstmann: „Meine Mutter riet mir, mich drei Jahre jünger zu machen“

Die Schauspielerin Doris Kunstmann war zuletzt in der Kult-Serie „Die Discounter“ zu sehen. Foto: Marion Schröder
Sie zählt zu den Top 100 und gilt als Grande Dame unter den deutschen Schauspielerinnen. Und sie ist für ihre Stimme berühmt: Doris Kunstmann.
Hamburg. Die Palette ihrer Rollen ist groß, sie spielte in anspruchsvollen Filmen an der Seite berühmter Kollegen wie Alec Guinness, Michel Piccoli, Jean Marais, genauso wie in Comedy-Serien wie zuletzt „Die Discounter“.
Seit Jahrzehnten ist Doris Kunstmann mit ihrer markanten tiefen Stimme auf Bühnen, im Kino und im Fernsehen präsent. Vom 20. Juni bis 27. Juli steht die Hamburgerin mit Ron Williams in dem Stück „Miss Daisy & ihr Chauffeur“ nach dem oscarprämierten Film in der Komödie Winterhuder Fährhaus auf der Bühne. Eine Inszenierung von Alfred Uhry, in der sie die betagte jüdische Südstaatlerin Miss Daisy Werthan spielt, die 1948 ihre Vorurteile gegenüber ihrem schwarzen Fahrer Hoke allmählich abbaut.
TAGEBLATT: Mit dem Stück „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ haben Sie wieder einmal eine neue künstlerische Herausforderung angenommen. Was hat Sie daran gereizt?
Doris Kunstmann: Die Rolle wurde mir von meiner langjährigen Theateragentur Landgraf angeboten. Sie hat mich interessiert, weil sich die Rolle verändert. Von der bösen, schimpfenden Figur hin zur Sympathieträgerin. Ich entscheide mich eher nach Rollen, nicht nach dem Stück.
Ausgerechnet Ihr Sohn Marc-Manuel Kunstmann, stellvertretender AfD-Fraktionsvorsitzender im Bezirk Hamburg-Mitte, muss sich mit dem Vorwurf des Rassismus auseinandersetzen. Was ist daran wahr?
Gar nichts! Und was mein Sohn macht oder nicht macht, ist seine Sache. Er ist ein sehr kluger Mann, und ich erfahre von ihm Dinge, die ich vorher nicht gewusst habe. Obwohl ich mein Leben lang die SPD gewählt habe, hat mich Politik nie besonders interessiert. Aber um es noch mal klarzustellen: Er ist kein Rassist – im Gegenteil!
Kommen wir auf Ihre Rollen zurück. Jahrelang haben Sie die Opernsängerin Maria Callas in „Meisterklasse“ gespielt - eigentlich ein völlig konträrer Typ zu Ihnen...
Der Rowohlt Verlag hatte gesagt: „Blond und blaue Augen, das kann die Kunstmann doch nicht spielen.“ Daraufhin bot mir Landgraf an, mir das Stück am Broadway anzuschauen. Zurück in Hamburg hat mir eine Maskenbildnerin gleich ein extremes Callas-Make-up gemacht. Ich habe dunkle Kontaktlinsen getragen und lange, schwarze Haare. Die Rolle habe ich auf Tournee dann jahrelang gespielt.
Wollten Sie schon immer Schauspielerin werden?
Meine Mutter Erika war befreundet mit Hardy Krüger. Auf einem Spaziergang fragte er mich, was ich werden wolle: „Schauspielerin ja sicher nicht, denn dafür bist du ja viel zu langweilig.“ Ich antwortete nur: „Hardy, du irrst dich, ich möchte es wahnsinnig gern.“ Dann habe ich bei Joseph Offenbach vorgesprochen, der daraufhin meine Mutter anrief und sagte: „Doris muss unbedingt Schauspielerin werden.“ So hat alles begonnen.
Wie ging es dann weiter?
Joseph Offenbach meinte, dass ich in drei Jahren fertige Schauspielerin sei. Vom Theater in Wiesbaden bekam ich ein Angebot, aber Boy Gobert, bei dem ich inzwischen am Thalia Theater spielte, sagte mir: „Geh nicht in die Provinz, mach lieber Karriere bei Film und Fernsehen.“ Stattdessen habe ich in München am Theater an der Leopoldstraße vorgesprochen. Da waren 60 aufgerüschte Mädchen, und ich war sehr schüchtern. Dann bekam ich die Rolle in „Messerköpfe“, der größte Theatererfolg nach dem Krieg.
Welche Methoden haben Sie sich im Laufe der Jahre angeeignet, um Texte auswendig zu lernen?
Ich habe nie Probleme gehabt mit dem Lernen. Immer fragen mich die Leute, wie ich das alles behalten kann. Wir müssen immer mit dem gelernten Text zur Probe kommen. Und den Souffleurkasten gibt es schon lange nicht mehr.
Sind Sie trotz der Strapazen immer noch gern auf Tourneen unterwegs?
Ja. Wenn man ein paar Mal auf Tourneen gespielt hat, bekommt man einen sogenannten „Tournee-Namen“. Die Menschen kommen, weil sie sagen: „Oh sie ist es, die da auftritt.“ Dafür nehme ich das ewige Ein- und Auspacken und das späte Ins-Bett-Kommen gern in Kauf.
Die Comedy-Serie „Die Discounter“, in der Sie die Rolle der Frau Jensen spielten, wurde mehrmals ausgezeichnet, darunter mit dem Deutschen Fernsehpreis. Auf welche Auszeichnung sind Sie am stolzesten?
Auf gar keine. Das interessiert mich nicht. Mich interessiert das Publikum und wie ein Stück oder ein Film bei ihm ankommt.
Wie ist Comedy mit den anspruchsvollen Filmen, in denen Sie mitgespielt haben, in Einklang zu bringen? Zum Beispiel „Adolf Hitler – die letzten zehn Tage“, in dem Sie neben Alec Guinness als Eva Braun vor der Kamera standen?
Das sind zwei Paar Schuhe. Bei „Die Discounter“ habe ich aber lange überlegt, ob ich es machen soll. Weil es keine vorgegeben Texte gibt und wir improvisieren. Heute weiß ich, dass genau darin der Reiz liegt, weil es das Ganze so direkt macht. Damals habe ich gesagt: „Ich bin Schauspielerin und brauche meine Texte.“ Wegen Bruno Alexander, einem der drei Regisseure, mit dem ich jahrelang „Die Pfefferkörner“ gedreht habe, sagte ich schließlich doch zu. Ich habe es nicht bereut, denn es war ein lustiger Dreh bei guter Stimmung.
Hatten Sie selbst Ambitionen, Regie zu führen?
Der Schauspielkollege Günter Gräwert hat immer zu mir gesagt: „Mach es bloß nicht, weil dich danach niemand mehr engagiert. Alle denken, du redest in die Regie rein.“ Er selbst hat es so erlebt. Heute sage ich: „Schade!“, ich hätte es gern gemacht.
Unverschuldet gerieten Sie in die Schuldenfalle, weil Ihr Mann sich verspekulierte. Wie bitter sind Ihre Gefühle heute?
Ich bin lange darüber hinweg, habe es überstanden. Ich bin ein Stehaufmännchen und sage mir selber: „Das hast du gut gemacht.“ Weil das Ganze für mich als später alleinerziehende Mutter wirklich ein Drama war, schreibe ich darüber jetzt ein Buch.
Sie wohnten lange in Hamburg-Rotherbaum. Warum sind Sie 2019 nach Wentorf im Herzogtum Lauenburg gezogen?
Weil in Hamburg zweimal bei mir eingebrochen wurde, jedes Mal, wenn ich im damaligen Operettenhaus in „Sister Act“ auftrat. Das erste Mal haben sie den Tresorschlüssel gefunden und Bargeld und Schmuck gestohlen – Erbstücke meiner Mutter. Das zweite Mal haben sie den Schlüssel nicht gefunden und gleich den ganzen, zwei Zentner schweren Safe mitgenommen, inklusive eines entzückenden Buchs, das meine Mutter selbst gezeichnet hat. Es ist nie wieder aufgetaucht.
Vor dem Umzug haben Sie sich von vielen alten Sachen getrennt. Können Sie gut loslassen?
Es blieb mir gar nichts anderes übrig, weil die neue Wohnung viel kleiner ist als die alte. All die Abendkleider brauche ich ja heute nicht mehr. In der NDR-Sendung „Das rote Sofa“ habe ich den Verkauf angekündigt. Leider hat dann eine meiner Cousinen zwei sehr schöne, handsignierte Bilder von meinem Freund Friedensreich Hundertwasser mit verkauft. Der Käufer hat sie nicht mehr zurückgegeben. Sehr schade!
Joan Collins (92) sagte in Anbetracht ihrer neuen Rolle als Herzogin Wallis Simpson: „Alter ist irrelevant, es sei denn, du bist eine Flasche Wein.“ Wie stehen Sie dazu?
Auf Anraten meiner Mutter, die auch mal Schauspielerin war, habe ich mich früher immer drei Jahre jünger gemacht. Zu meinem angeblichen 80. wollte mir der Bundespräsident gratulieren. Daraufhin habe ich in der NDR Talk Show verraten, dass ich 1941 geboren bin und nicht 1944.
Wie genervt sind Sie, wenn Sie – wie jetzt - auf Ihr Alter angesprochen werden?
Gar nicht. Das ist vorbei. Ich habe keine Eitelkeiten mehr, zumindest nicht, was mein Alter betrifft. Ich habe auch nie irgendwelche Schönheitsoperationen vornehmen lassen.
Wie gesund leben Sie?
Vor über 20 Jahren habe ich das Rauchen aufgegeben. In meinem Haus in Wentorf gibt es ein Gemeinschaftsschwimmbad. Dort schwimme ich täglich. Außerdem gehe ich in der herrlichen Umgebung spazieren, zum Beispiel zum Schloss Reinbek. Geistig fit hält mich das Theaterspielen.
Zur Person:
Doris Kunstmann wurde 1941 in Hamburg geboren, ihre Eltern waren die Schauspielerin und Grafikerin Erika Kunstmann und der Produzent Georg Thiess. Nach der Mittleren Reife auf dem Nordsee-Gymnasium St. Peter-Ording begann sie eine Ausbildung am Hamburger Schauspielstudio Frese. Erste Bühnenerfahrung sammelte sie am Jungen Theater (heute Ernst Deutsch Theater). Ende der 60er Jahre ging Kunstmann für drei Jahre nach Rom. Ihren Durchbruch hatte sie 1968 mit Ugo Liberatores „Das Geschlecht der Engel“. Es folgten weitere wichtige Filme wie „Trotta“ und „Und Jimmy ging zum Regenbogen“. Ihr Musical-Debüt feierte sie 2010 mit „Sister Act“ am Operettenhaus Hamburg. Im TV spielte sie in Formaten wie „Tatort“, „Traumschiff“, „Der Alte“ und zuletzt „Die Discounter“. Von 1976 bis 1984 war Doris Kunstmann mit dem Kaufmann Michael Fuhrmann verheiratet, aus der Ehe stammt ihr Sohn Marc Manuel Kunstmann, geboren 1977. Heute lebt sie in Wentorf bei Hamburg.
Persönlich:
Wenn ich das Rad der Zeit zurückdrehen könnte…würde ich alles wieder so annehmen, wie es kommt.
Auf meiner Wunschliste steht noch… nichts, ich bin wunschlos glücklich.
Meinen Urlaub verbringe ich… wahnsinnig gern in Afrika – wie zu meinem 80. Geburtstag, da war ich in Südafrika.
Mein Hobbys sind… schwimmen, kochen - sehr scharfe Currys – und lesen.
Ins Kino gehe ich… leider zu selten.
Am meisten vermisse ich… meine Husky-Hündin Bonney, die immerhin 20 Jahre alt geworden ist.

Die Schauspielerin Doris Kunstmann war zuletzt in der Kult-Serie „Die Discounter“ zu sehen. Foto: Bodo Kürbs