TDrama um Till: Drochterser Pflegefamilie mit Klage gegen den Landkreis erfolgreich

Pflegemutter Anne Knütel unterstützt ihren Pflegesohn Till (Name geändert) bei den Hausaufgaben. Foto: Helfferich
Beim Streit um die Schulbegleitung seines Pflegesohnes hat Stefan Knütel gegen den Landkreis Stade einen Etappensieg erzielt: Der Kreis muss die Kosten übernehmen. Kritisch sieht das Oberverwaltungsgericht auch eine von der Verwaltung geforderte Qualifizierung.
Kehdingen. Es ist ein lang andauernder Streit auf Kosten eines Kindes, das aufgrund seiner Vorgeschichte geistig eingeschränkt ist und nicht konzentriert dem Schulunterricht folgen kann. Helfen könnte eine Schulbegleitung - Teilhabe heißt das im Gesetzestext. Doch was eine Schulbegleitung können muss, darüber gehen die Meinungen zwischen dem Jugendamt des Landkreises Stade und den Pflegeeltern weit auseinander. Eine von der Familie privat eingesetzte Kraft erfüllt die Anforderungen des Kreises nicht. Die Folge: Es fließt kein Geld.
Rückschau: Anfang November 2022 schrieb das TAGEBLATT erstmals über das Pflegekind Till (Name geändert) und den Mangel an Schulbegleitern. Damals wartete das Kind bereits seit drei Jahren auf Hilfe im Unterricht. Die Pflegeeltern organisierten schließlich selbstständig eine Unterstützung, die allerdings nicht den Qualifizierungsansprüchen des Landkreises entsprach.
Einzelfallentscheidung war von kurzer Dauer
Es folgte ein Streit über die Kostenerstattung, in den sich schließlich auch Landrat Kai Seefried einschaltete. Im Dezember 2022 traf der Landkreis eine Einzelfallentscheidung: Die privat eingesetzte Schulbegleitung durfte Till unterstützen und der Landkreis wollte zahlen. Allerdings sollte diese Lösung nur solange gelten, bis eine nach den Richtlinien des Jugendamtes qualifizierte Kraft gefunden ist. Das ging plötzlich ganz schnell.
Nach einem Monat schon war eine qualifizierte Schulbegleitung gefunden - und ebenso schnell wieder abgesprungen. Doch der Landkreis strich die Mittel für die privat eingesetzte Kraft. Von Außenstehenden nicht überprüfbare Vorwürfe von beiden Seiten sorgten Anfang 2023 für eine weitere Eskalation. Die Bewilligung eines erneuten Antrags der Pflegeeltern auf Kostenübernahme im Juli 2023 wurde wieder an den Einsatz einer qualifizierten Fachkraft nach den Anforderungen des Landkreises geknüpft.
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Pflegeeltern klagen vor dem Verwaltungsgericht
Die Pflegeeltern Anne und Stefan Knütel klagten schließlich im September 2023 beim Verwaltungsgericht Stade gegen den Bescheid des Landkreises und beantragten gleichzeitig vorläufigen Rechtsschutz. Der Landkreis solle verpflichtet werden, bis zur endgültigen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht die Kosten für die privat eingesetzte Schulbegleitung zu übernehmen. Das lehnte das Stader Verwaltungsgericht ab, woraufhin der Pflegevater Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg einlegte.
Das OVG gab den Pflegeeltern jetzt recht. 18 Seiten füllen den Beschluss und die Begründung des 14. Senats des Oberverwaltungsgerichts, die dem TAGEBLATT vorliegen. Darin geht es nicht nur um die Kostenübernahme. Der Senat sieht auch die vom Landkreis gesetzten Anforderungen an Schulbegleitungen kritisch.
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OVG: Schulbegleitung ist flankierende Arbeit
In der Begründung heißt es: Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit gefährdet ist und damit auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dazu gehört auch die Schulbildung. Um die Teilhabe zu ermöglichen, kämen alle Maßnahmen, die erforderlich und geeignet sind, dem Kind den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern in Betracht. Die Schulbegleitung diene dazu, die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrkraft abzusichern, zu flankieren und habe unterstützenden Charakter. Der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit sei nicht betroffen.
Grundsätzlich stehe dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe - also dem Landkreis - ein Beurteilungsspielraum zu. Allerdings gebe es keine gesetzliche Grundlage für die vom Jugendhilfeträger für Schulbegleitungen vorgenommene Leistungsbeschreibung. Weiter heißt es in der Begründung des OVG, eine Entscheidung, Eingliederungshilfe nur durch eine im Sinne des Landkreises „qualifizierte Schulbegleitung“ zu gewähren, setze voraus, dass der Landkreis einen Bedarf festgestellt hat, der nur durch so eine Fachkraft gedeckt werden könnte. Das sei nicht der Fall.

Till (Name geändert) steht weiterhin seine bisherige Schulbegleiterin zur Seite. Foto: privat
Lange Bearbeitungszeit
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Privat eingesetzte Kraft ist keineswegs ungeeignet
Dann folgt der Schlüsselsatz: „Es ist für den Senat nicht ohne weiteres nachzuvollziehen, dass - im Gegensatz zu einer langjährig tätigen Tagespflegeperson - nur eine sozialpädagogische Fachkraft, Heilpädagogen/innen, Ergotherapeuten/innen und Heilerziehungspfleger/innen sowie andere - nicht näher beschriebene - Fachkräfte mit einer - ebenso nicht näher beschriebenen - abgeschlossenen Berufsausbildung in Verbindung mit einer curricularen Weiterbildung die zuvor dargestellten Aufgaben bewältigen könnten.“
Die von Familie Knütel privat eingesetzte Schulbegleitung sei „nach Aktenlage keineswegs schlechthin ungeeignet, die Schulbegleitung des Antragstellers vorläufig weiterzuführen“. Mit der weiteren Schulbegleitung durch die privat eingesetzte Kraft und der vorläufigen Kostenübernahme durch den Landkreis sei sichergestellt, „dass das Ziel einer Schulbegleitung, nämlich dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern, auf einem Mindestmaß erhalten bleibt“.
Dem Beschluss will der Landkreis als Träger der Jugendhilfe nun folgen. „Wir setzen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts um. Das heißt: Die vom Gericht geforderten Zahlungen werden erfolgen“, sagt Landkreis-Sprecher Daniel Beneke auf Nachfrage. „Einzelne inhaltliche Punkte der Argumentation werden wir prüfen. Hier ist es aber noch zu früh für eine weitergehende Stellungnahme.“