Zähl Pixel
Studie

TDramatische Lage auf dem Wohnungsmarkt im Kreis Stade - Tausende Wohnungen fehlen

Wohnraum fehlt: Im Landkreis Stade müsste der Geschosswohnungsbau angekurbelt werden.

Wohnraum fehlt: Im Landkreis Stade müsste der Geschosswohnungsbau angekurbelt werden. Foto: Vasel

Es ist eine alarmierende Studie: Im Landkreis Stade gibt es viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Menschen, die von Niedriglohn leben müssen, werden abgehängt. Dramatisch ist der Rückgang an öffentlich geförderten Wohnungen - vor allem in einer der beiden Städte.

author
Von Björn Vasel
Freitag, 23.02.2024, 05:50 Uhr

Landkreis. Das waren keine positiven Zahlen, die Regina Höbel im Stader Kreishaus präsentierte. Die Raumplanerin vom Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung (InWIS) an der Ruhr-Universität Bochum gab der Politik einen Einblick in den Entwurf des Wohnraumversorgungskonzepts, das sich der Landkreis Stade 20.000 Euro kosten lässt.

Regionalökonomisch seien die Voraussetzungen positiv, so Höbel mit Blick auf die überdurchschnittliche Wohnkaufkraft im Kreis, die gute Erreichbarkeit von Hamburg und die gute wirtschaftliche Entwicklung vor Ort. Davon profitieren vor allem Kommunen auf der Stader Geest. Apensen, Harsefeld, Fredenbeck und Oldendorf-Himmelpforten seien seit 2017 um bis zu zehn Prozent gewachsen, Horneburg habe sogar ein Bevölkerungswachstum von mehr als 10 Prozent zu verzeichnen.

Die Studie belegt aber auch: Bei allem Wachstum und bei aller Wirtschaftskraft bleiben die Armen im Landkreis Stade dabei auf der Strecke.

Jeder vierte Haushalt in Stade einkommensschwach

Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum könne bislang nicht gestillt werden, so Höbel. Das Angebot an Sozialwohnungen und Wohnraum im unteren Preissegment schrumpfe seit Jahren. Dabei arbeite im Kreis Stade jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte im Niedriglohnsektor, rechnete die Expertin vor. 18,2 Prozent aller Haushalte gelten als einkommensschwach. 40 Prozent der Einkommensschwachen leben in Buxtehude und Stade. Zur Einordnung: Jeder vierte Haushalt, also 25 Prozent, in Stade hat zu wenig Geld im Portemonnaie. In Apensen und Jork macht diese Gruppe nur 12 bis 13 Prozent aus.

„Der Wohnberechtigungsschein hilft wenig, wenn der Wohnraum fehlt und die Miete unbezahlbar ist.“ Höbel sprach von einem dramatischen Rückgang an geförderten Wohnungen im Landkreis Stade - konkret von fast 90 Prozent seit 2016. Seinerzeit gab es 1936 geförderte Wohnungen, heute seien es gerade einmal 280.

Dramatischer Rückgang bei Sozialwohnungen

Allein in Stade gebe es mit 222 öffentlich geförderten Wohnungen noch einen nennenswerten Bestand. 2016 waren es in der Kreisstadt noch 873. Spitzenreiter beim Abbau geförderter Wohnungen seien Buxtehude (von 438 auf 33), Drochtersen (83; 0), Jork (225; 7) und Oldenburg-Himmelpforten (187; 1). Neubautätigkeit, wie in Harsefeld, sei laut Höbel „lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein“. Insgesamt seien 2023 im Landkreis nur 42 geförderte Wohnungen mit Sozialbindung geschaffen worden.

Höbel spricht von einem Dilemma: Kleine und bezahlbare Wohnungen fehlen - unter anderem für Senioren und Menschen in Ausbildung. Die Wohnungsbaugenossenschaften, Wohnstätte Stade und Buxtehuder Wohnungsbaugenossenschaft, konzentrierten sich auf die Städte. Andere Investoren zeigten geringe Investitionsbereitschaft. Es rechnet sich (auch bei Förderung) aktuell nicht. Auf dem freien Markt gebe es für Einkommensschwache nur im nördlichen Landkreis eine Versorgungsalternative. Bei Kommunen im Südkreis sei es schwierig bis aussichtslos.

Förderprogramm des Landkreises reicht allein nicht aus

Ein erster Schritt sei das kreisweit aufgelegte Förderprogramm zur Schaffung von Mietwohnraum mit Mietpreis- und Belegungsbindungen im Bestand. Es hat ein Budget in Höhe von 300.000 Euro und ist eine einkommensabhängige Subventionierung der Miete mit einem Zuschuss von bis zu 2,50 Euro pro Quadratmeter. Aber: Dieses Programm werde das Problem allein nicht lösen. Um Sozialwohnungen bauen zu können, müssten weniger Stellplätze gefordert werden. Kommunen sollten verbilligtes Land bereitstellen und verstärkt Sozialquoten bei Neubauten festlegen.

Bis 2040 gebe es einen Mehrbedarf von 895 preisgebundenen Wohneinheiten - allein außerhalb der Städte. Das Institut hat auch Flüchtlingszahlen berücksichtigt. Das heißt: Jede vierte neue Wohnung müsste preisgebunden sein. Die Quote schwankt gemeindeabhängig: In Apensen wäre es fast jede zweite, in Fredenbeck jede fünfte.

Auch auf dem freien Markt fehlt das Angebot

Auf dem frei finanzierten Wohnungsmarkt herrsche große Angebotsknappkeit, vor allem bei Wohnungen bis 65 Quadratmetern und im barrierefreien Segment. Tief in die Tasche müssten Mieter weiterhin vor allem mit Hamburg-Nähe und guter verkehrlicher Anbindung greifen. Bei Eigenheimen sei der Nachfragedruck kreisweit zu spüren, allerdings hemmten Baukosten- und Zinssteigerung auch hier die Nachfrage. Älteren Eigenheimen mit Sanierungsstau fehle eine Entwicklungsperspektive, es gebe unter anderem zu große Unsicherheit bei der Heizungsfrage.

Eigentumswohnungen entstünden vor allem in den Städten und in den hamburgnahen Kommunen. Höbel sieht in diesem Segment ein Potenzial. In integrierten Lagen könnte eine Ausweitung der Bautätigkeit helfen, ein altersgerechtes Wohnungsangebot zu schaffen.

Bevölkerung wächst bis 2040 weiter - vor allem im Süden

Bis 2040 werde die Bevölkerung wachsen. Die Kommunen im Westen würden überproportional wachsen. Prognostiziert werde für den Kreis Stade ein Wachstum von 6,1 Prozent. Das wären 12.700 Menschen. Im Norden werde die Bevölkerung ab 2030 sinken, in den Städten rechnet die Expertin mit Stabilität. Die Entwicklung ist nicht homogen. Ein Beispiel: In Apensen werde die Zahl der über 60-Jährigen bis 2024 um knapp 60 Prozent steigen, in Nordkehdingen die Zahl der unter 18-Jährigen um 26 Prozent. Kreisweit wird die Zahl der unter 18-Jährigen um 10,6 Prozent, die Zahl der plus 60-Jährigen um 16,4 Prozent steigen.

Die Übersicht zeigt den Bedarf an Wohnungen (WE) in Mehrfamilienhäusern in den einzelnen Kommunen im Landkreis Stade bis 2040. Rechts die Anzahl der benötigten WE-Neubauten pro Jahr bis 2031 beziehungsweise von 2032 bis 2040.

Die Übersicht zeigt den Bedarf an Wohnungen (WE) in Mehrfamilienhäusern in den einzelnen Kommunen im Landkreis Stade bis 2040. Rechts die Anzahl der benötigten WE-Neubauten pro Jahr bis 2031 beziehungsweise von 2032 bis 2040. Foto: InWIS

Senioren, Familien und Paare ohne Kind seien perspektivisch die Hauptzielgruppen bei neuem Wohnraum. Die Folge: Kreisweit besteht im Mehrfamilienhaus-Segment bis 2040 ein Bedarf von 5102 Wohnungen. Zum Vergleich: Im Zeitraum von 2017 bis 2022 haben Bauwirtschaft und Kommunen knapp 550 Wohneinheiten in Form von Mehrfamilienhäusern realisieren können. Ohne eine deutliche Steigerung der Bautätigkeit ist das alles nicht zu schaffen. Weil zuletzt zu wenig gebaut worden sei beziehungsweise aktuell gebaut werde, baut sich laut Höbel ein Nachholbedarf auf. 35 Prozent des Bedarfs entfalle auf die Städte: 1037 in Stade und 825 Wohneinheiten in Buxtehude. Weitere 36 Prozent müssten in Horneburg (627), Apensen (309) und Harsefeld (900) aus dem Boden gestampft werden.

3750 Wohneinheiten in Ein- und Zweifamilienhäusern

Auch bei den Ein- und Zweifamilienhäusern gibt es weiter eine Nachfrage. Das Institut rechnet mit knapp 3750 Wohneinheiten bis 2040, die benötigt werden. Aber: Es werden nicht mehr so viele Einzel- und Doppelhäuser wie in den vergangenen Jahren gebaut werden müssen, so Höbels Prognose. Sie rechnet mit einem Bedarf von 60 bis 80 Prozent gegenüber der bisherigen Neubautätigkeit. Zwei Drittel der Eigenheime werden in Harsefeld, Horneburg und Apensen gebaut werden, ein Fünftel in Oldendorf-Himmelpforten und Fredenbeck. Lediglich sechs Prozent der Bedarfe entfallen auf die Städte.

Raumplanerin Regina Höbel stellt das Wohnraumversorgungskonzept im Kreishaus vor.

Raumplanerin Regina Höbel stellt das Wohnraumversorgungskonzept im Kreishaus vor. Foto: Vasel

Das alles stelle die Politik vor große Herausforderungen. Notwendig seien kleinere Grundstücksgrößen, außerdem müsse mehr Wohnraum im Bestand ausgebaut werden. Des Weiteren sollten Kommunen den Generationenwechsel im Eigenheimbestand fördern: Familien statt Senioren. Dafür müssten mehr barrierefreie, altengerechte (kleinere) Eigentums- und Mietwohnungen her. Leerstand müsse beendet werden.

Höbel mahnt eine stärkere Steuerung bei den Wohnformen durch die Städte und Gemeinden an. Kommunale Wohnungsbaukoordinatoren sollten mit Bauträgern bedarfsgerechten Wohnraum schaffen. Kommunen sollten die Hand auf dem Bauland haben und noch stärker als heute Sozialquoten durchsetzen. Des Weiteren sollten die Baugenossenschaften gemeinsam mit Kommunen mit Joint Ventures auch auf dem Land aktiv werden, Kommunen könnten Kapital auch in Form von Grundstücken einbringen.

Das Wohnraumkonzept wird in sechs Wochen mit Steckbriefen und Handlungsanleitungen für jede Kommune vorliegen. Tanja Wilhelm (Linke) hofft, dass das Konzept kein Papiertiger bleibt, sondern den Worten auch Taten folgen.

Weitere Artikel