TKrieg und Frieden: Wer ist bereit, Dienst an der Waffe zu leisten?

Sascha Kaflowsky im März 2022. Damals verteidigte er Kiew. Foto: Kaflowsky
Fast 80 Jahre Frieden in Deutschland: Kann das so bleiben? Das entscheidet sich auch in der Ukraine. Grischa Kaflowsky aus Kiew und Politikwissenschaftlerin Alexandra Friede ordnen die Lage ein.
Landkreis. Es war wieder eine schlaflose Nacht in der Kiewer Vorstadt. Grischa Kaflowsky, den viele Menschen im Landkreis Stade „unser Mann in Kiew“ nennen, klingt müde, als er ans Telefon geht. Raketeneinschläge haben ihn wieder einmal wachgehalten. Er und seine Familie sind wohlauf, aber er ist trotzdem traurig: Sein Lieblingsmuseum in Kiew ist zerstört worden - mitsamt den Automobil-Oldtimern, die darin ausgestellt wurden.
Kaflowskys Sohn im Gefecht verwundet
Im Kreis Stade ist Kaflowsky gut bekannt, weil er schon mehrere große Hilfstransporte in die Ukraine mitorganisiert hat und viele Jahre in Assel bei der Jahnke-Group tätig war. Sein Sohn Sascha hat von Anfang an als Soldat gekämpft.

Im Kiewer Vorort Tschababy, wo Grischa Kaflowsky lebt, hat eine russische Rakete ein Feuerwehrauto getroffen. Inzwischen hat er für das Fahrzeug Ersatz aus dem Landkreis Stade besorgt. Foto: Kaflowsky
„Zwei Jahre, zehn Monate und zwei Tage“, sagt Kaflowsky. Auch während der Schlacht um Bachmut, die als die verlustreichste Schlacht in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg gilt. Er wurde mehrfach für seine Tapferkeit ausgezeichnet, wurde verwundet und hat vier Monate im Spital gelegen. Jetzt ist er genesen, aber offiziell vom Dienst befreit und demobilisiert.
Wie sein Leben jetzt weitergeht, weiß Sascha Kawlofsky noch nicht. Eigentlich wollte er seiner Familie nach San Francisco folgen. Im Rahmen des US-amerikanischen Hilfsprogramms U4U (Uniting for Ukraine) durfte sein Sohn dort studieren, seine Frau durfte arbeiten. Doch seit Trumps Amtsantritt ist U4U, genau wie viele andere Hilfsprogramme, eingefroren. Wie es für die Familie nun weitergeht, ist völlig unklar.
Was, wenn die USA sich zurückziehen?
Was, wenn die USA als Unterstützer wegfallen? Dass zurzeit humanitäre Unterstützungsleistungen nicht mehr ankommen, ist bereits ein Problem, sagt Alexandra Friede, Politikwissenschaftlerin von der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg: „Schon das bedeutet für die Ukraine eine Schwächung, weil der Eindruck entsteht, dass die internationale Unterstützung wegfällt.“
Drei Jahre Krieg
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Friede promoviert zurzeit zu Veränderungen der nationalen Verteidigungspolitiken im Ostseeraum seit 2014 und sie weiß, dass viele Politiker sagen, dass in der Ukraine auch Europa verteidigt wird: „Aber was bedeutet das? Welche Maßnahmen werden damit verknüpft?“ Stellt Europa eine Friedenstruppe? Die Staatschefs sind sich nicht einig. „Im Moment ändert sich die Situation jeden Tag“, sagt Friede.
Die TAGEBLATT-Aktion in Kooperation mit Correctiv, bei der fast 500 Menschen ihre Fragen an die Kandidaten zur Bundestagswahl schickten, zeigt: Krieg und Frieden in der Ukraine machen vielen Menschen Sorgen. Zwei Fragen verdeutlichen die unterschiedlichen Sichten. Eine lautet: „Wie lange wollen Sie noch zu langsam und zu wenig liefern und Putin weiter in die Hände spielen?“ Eine andere Frage: „Ist jetzt nicht schon jeder Tote im Russland-Ukraine-Krieg zu viel? Freiheit kann wieder einkehren, aber Tote werden nicht wieder lebendig.“
Frieden als Wahlkampf-Thema
„Im Wahlkampf wird mit dem Thema Frieden geworben, aber es scheint die Wähler nicht zu mobilisieren“, sagt Alexandra Friede. „Unser Land wünscht sich Frieden“, plakatiert das Bündnis Sahra Wagenknecht. Doch wie relevant ist das?
„Wir leben im Frieden. Das ist unser Privileg“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Seit Russlands Invasion in der Ukraine ist die Kriegsangst aber stärker geworden - und die Zustimmung zur Stärkung der Bundeswehr auf einen historischen Höchstwert gestiegen und noch immer auf hohem Niveau.
Das ZMSBw (Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) hat dazu unter dem Titel „Zwischen Kriegsangst und Kriegstauglichkeit“ eine Untersuchung veröffentlicht: 2024 befürworteten 57 Prozent der Befragten eine weitere Erhöhung des Verteidigungsetats, 58 Prozent eine zahlenmäßige Erhöhung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Nur 8 Prozent wollten für Verteidigung weniger ausgeben und den militärischen Personalumfang der Bundeswehr verringern, 30 Prozent plädierten für ein jeweils gleichbleibendes Niveau.
42 Prozent würden Deutschland mit der Waffe verteidigen
„Können Sie mir garantieren, dass meine Kinder nicht zum Wehrdienst herangezogen werden?“, fragt eine Teilnehmerin der Wahl-Aktion. 52 Prozent der Befragten im wehrfähigen Alter würden es laut ZMSBw ablehnen, Deutschland im Falle eines militärischen Angriffs mit der Waffe zu verteidigen. Doch immerhin 42 Prozent der Befragten, 3 Prozent mehr als im Jahr zuvor, würden das tun. Zwischen Männern und Frauen gibt es große Unterschiede: 61 Prozent der Männer unter 50 Jahren, aber nur 21 Prozent der Frauen wären dazu bereit.
In anderen europäischen Ländern sieht das anders aus, weiß Alexandra Friede. Die Bereitschaft, das eigene Land zu verteidigen, ist in Finnland fast doppelt so hoch wie in Deutschland. Warum? Seit dem Kalten Krieg wurde in Finnland laut Friede „eine Politik der geistigen Landesverteidigung verfolgt“. Bei den Finnen sei zudem die Sicht verbreitet, dass sie einen starken Sozialstaat haben, der sich um sie kümmert - und dem sie auch etwas zurückgeben wollen. „Eine Gesellschaft ist nur dann verteidigungsfähig, wenn sie in Werten geeint ist“, sagt die Politologin.
Schweden übt psychologische Verteidigung
Schweden hat darum eine Behörde für psychologische Verteidigung gegründet. Dabei geht es nicht nur darum, freiwilliges Engagement der Bevölkerung für die Verteidigung zu fördern, sondern auch darum, sich gegen hybride Kriegsführung durch Sabotage oder auch Desinformation besser aufzustellen. In der Praxis kann das sogar unterhaltsam sein: „Dort erklären zum Beispiel Zauberer, wie einfach es ist, Menschen zu manipulieren.“
Die USA seien aufgrund vieler unterschiedlicher Signale zurzeit unberechenbar, sagt Friede. Deshalb geht es nun um die europäischen Staaten und ihre Bereitschaft, sich im Falle eines Angriffs gemeinsam zu verteidigen. Deutschland wollte immer vermeiden, zur Kriegspartei zu werden. Doch für Friede ist klar: „Europa wird sich in Zukunft mehr um die eigene Verteidigung kümmern müssen.“
An der Front werden die Ressourcen knapp
In der Ukraine geht der Krieg derweil weiter. Wie viele Soldaten täglich sterben, wird nicht preisgegeben, aber laut britischem Militargeheimdienst waren es im September 2024 auf russischer Seite durchschnittlich 1271 Soldaten am Tag.
„Leider haben auch wir viele Verluste“, sagt Grischa Kaflowsky. Er denke mit großer Dankbarkeit an die Unterstützung aus dem Landkreis Stade bei den Hilfskonvois, an seine Freunde bei der Feuerwehr, beim DRK und in Drochtersen. Er hofft, dass die Europäer auch militärisch zur Ukraine stehen. Doch ohne die USA werde es kaum gehen. Auch Nordkorea und der Iran unterstützen die täglichen Angriffe. Derweil leide das ukrainische Militär immer stärker unter Ressourcenmangel.
„Wir kämpfen trotzdem weiter. Wir müssen“, sagt Grischa Kaflowsky. Doch auf die Frage, worüber wir in einem Jahr sprechen werden, antwortet er trotzdem hoffnungsvoll: „Über die Liebe.“ Durch das Exil seien viele wunderbare deutsch-ukrainische Beziehungen entstanden - und Familien. Er glaubt, dass das beim gemeinsamen Wiederaufbau der Ukraine helfen wird: „Da gibt es viel zu tun.“
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