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Komödie

TDurchgeknallte Inszenierung: Anna Thalbach im Halepaghentheater

Klaus Christian Schreiber und Anna Thalbach in „Marie Antoinette - oder Kuchen für alle“.

Klaus Christian Schreiber und Anna Thalbach in „Marie Antoinette - oder Kuchen für alle“. Foto: Franziska Strauss

Dieser Satz mit dem Kuchen, den hat sie nie gesagt. Dennoch taugt er für die Groteske „Marie Antoinette oder Kuchen für alle“, die im ausverkauften Halepaghentheater begeisterte.

Von Franziska Felsch Donnerstag, 27.03.2025, 18:49 Uhr

Buxtehude. Darum ging es in dem Stück: Marie Antoinette und ihr Gatte Ludwig XVI. warten seit nunmehr 20 Jahren in ihrem Palast auf ihre angekündigte Hinrichtung, während draußen munter die Köpfe rollen - frei nach dem Motto: „Die Revolution frisst ihre Kinder.“ Wobei: Robbespierre fällt in der rabenschwarzen Komödie einer vergammelten Sahnetorte zum Opfer - in Anspielung auf den berühmten Kommentar der Königin: „Wenn das Volk kein Brot hat, sollen sie doch Kuchen essen.“

Als auch noch Madame Dubarry sich versehentlich selbst enthauptet, werden ihre und die Leiche des Revolutionsführers als das Herrscherpaar ausgegeben und die echten Regenten können fliehen. Bis dahin liefern sie sich - völlig weltfremd - wilde Wortgefechte mit Bürgern und Bediensteten über die Vorteile der Monarchie, streiten sich mit dem Kardinal um ein Halsband und mit Napoleon um die Weltherrschaft.

Das hat die Geschichte mit der Gegenwart zu tun: Ziemlich schnell wird klar: Mit der Historie nehmen es die Autoren Peter Jordan und Leonhard Koppelmann nicht so genau. Doch damals wie heute die gleichen Probleme: Machtkämpfe, Intrigen und endlose Bürokratie. Und es muss immer Schuldige geben, die man verantwortlich machen kann. Hier sind es Freimaurer und Juden, aber diese Rollen sind beliebig austauschbar, wie die Gegenwart erschreckend zeigt.

Die Botschaft: Die Geschichte wiederholt sich. Der Wahnsinn leider auch. Das Volk will einen Führer, will mitbestimmen, um am Ende festzustellen, dass das, was die da oben machen, selten das ist, was die da unten wollen. (Wahl)versprechen sind heiße Luft. Es geht nicht um das Wohl der Menschen, vielmehr um Macht - die zu erreichen und zu halten, führt zuweilen über Leichen. Am Ende regiert das Chaos - oder wie es der Ex-Monarch sagt: Das Volk wird betrogen, nur bei uns war klar, von wem. Jetzt ist es einfach nur - komplizierter.

Das war besonders an der Inszenierung: Ludwig schwenkt den abgetrennten Kopf der Dubarry, der täuschend echt aussieht, gefährlich in Richtung Stuhlreihen. Dazu die blutbesudelten Akteure, das ist hart an der Grenze des Erträglichen. Schockmomente als Stilmittel sind erlaubt und gewollt, zeigen sie doch die bittere Wahrheit - die Pille, die das Publikum in modernen Inszenierungen wohl schlucken muss.

Das Bühnenbild und die Ausstattung: Bonbonfarbene Palastwelt mit einem himmelblauen Prunkbett mittendrin. Einzig die dunkelbraune Balkontür mit der händisch aufgemalten Schrift „Links“ fällt aus dem Rahmen und passt so gar nicht zu der in Zuckerwatte getauchten Szenerie, die im zweiten Teil durch das reichlich versprühte rote Kunstblut einen horrorähnlichen Charakter erhält.

Die Roben, Masken und turmhohen Puderfrisuren: schrill, schräg, schaurig-schön, eher Karneval und der Fantasie entsprungen, dennoch eine Augenweide. Nicht so im zweiten Teil, da wirken die Figuren ziemlich bizarr, aber auch mutig, besonders Anna Thalbach in ihrer Babydoll-Unterwäsche, ohne Perücke, dafür mit schwindelerregenden, goldenen Plateau-Sandalen.

Die schauspielerische Leistung: Zuweilen erinnert Anna Thalbach in ihrer Gestik und Mimik an ihre Mutter Katharina, wenn sie kraftvoll über die Bühne stampft und freche Zoten herausposaunt. Komödiantisches Talent beweist auch Klaus Christian Schreiber als spitzfindiger König. Seine Chansons, begleitet von dem Pianisten Horst Maria Merz, treffen ins Herz. Isabell Giebeler und Max von Pufendorf überzeugen in verschiedenen Rollen und als geniale Stichwortgeber für die Hauptdarsteller.

Der Moment des Abends: die Guillotine von Ludwig, der aus Langeweile dieses monströse Hinrichtungsinstrument gebaut hat, das er nun stolz vorführt. Das Publikum hält den Atem an, als sich seine Frau darunter legt und am Band zieht, während ihr Mann über die Schwierigkeiten des Heimwerkens lamentiert. Fast schon vorhersehbar, dass es dann funktioniert, als die Dubarry es ausprobiert.

Das hat nicht funktioniert: Weniger ist mehr, im zweiten Akt mutiert die Komödie zum Horrorstreifen. Manch ein Zuschauer möchte nicht mehr hinschauen, die Konzentration auf die Dialoge fällt schwer, überall Blut - auf den Akteuren und auf dem Boden. Zu real, auch wenn es nur Fake ist.

Die Reaktion des Publikums: minutenlanger Schlussapplaus mit stehenden Ovationen. Begeisterung pur. Zwischendurch immer wieder herzhafte Lacher, „Ah“- und „Oh“-Rufe. Das Publikum geht mit, reagiert auf die Slapstickmomente genauso wie auf die Horrorszenen. Und fotografiert mit dem Handy - was das TAGEBLATT nicht darf. Aber nicht allen gefällt‘s - einige Zuschauer gehen in der Pause.

Die Bewertung: herrlicher Klamauk gepaart mit bitterbösem Humor, der zuweilen auf die Spitze getrieben wird. Die Schauspieler brüllend komisch, ziehen alle Register, bieten exzellente Unterhaltung mit Tiefgang.

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