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Bremerhaven

TEhemaliger Chefarzt schlägt Alarm: Kommen zu viele Patienten auf einen Hautarzt?

Im Porträt: Dr. Gunnar Wagner, früher Chefarzt der Dermatologie im Klinikum Reinkenheide.

Im Porträt: Dr. Gunnar Wagner, früher Chefarzt der Dermatologie im Klinikum Reinkenheide. Foto: Arnd Hartmann

In Bremerhaven müssen sich Hautärzte um deutlich mehr Patienten als im Bundesschnitt kümmern - ist das für die betroffenen Mediziner noch zu schultern? Dr. Gunnar Wagner hat ein Brief an die Politik verfasst, der einem Weckruf gleichkommt.

Von Jens Gehrke Montag, 24.06.2024, 05:00 Uhr

Bremerhaven. Ein Hautarzt behandelt im Bundesdurchschnitt 5300 Patienten jährlich. In Bremerhaven hingegen muss jeder Dermatologe rund 9000 Fälle pro Jahr versorgen. Das sind fast doppelt so viele. Eine Zahl, die viele Fragezeichen auslöst. Wie kommt es dazu?

Die Situation wurde jüngst in der Gesundheitsdeputation in den Mittelpunkt gerückt. Die Kassenärztliche Vereinigung Bremen teilte dort mit, dass in Bremerhaven 4,25 von 5,5 Dermatologen-Sitzen besetzt sind, was einem Versorgungsgrad von rund 80 Prozent entspricht. Von einer Unterversorgung spreche man erst ab unter 50 Prozent.

Dr. Gunnar Wagner will wachrütteln

Der ehemalige Chefarzt und Dermatologe Dr. Gunnar Wagner hält es für wirklichkeitsfremd, sich nur auf den Versorgungsgrad zu berufen. Darüber, wie viele Patienten ein Hautarzt in der Realität in seiner Praxis stehen habe, gebe das nur bedingt Auskunft. Die Situation in Bremerhaven sei dramatisch. Da drei der sechs Hautärzte in Teilzeit arbeiteten, ergebe das für die Praxisinhaber bis zu 18.000 Patienten pro Jahr. Eine unvorstellbare Zahl, die kaum zu bewältigen sei.

Eine Folge ist, dass Patienten verstärkt auf die bereits überlasteten Notaufnahmen ausweichen. Dieser Teufelskreis müsse durchbrochen werden, so Wagner. Seinen Weckruf hat er in Briefform sowohl an den Magistrat als auch an die Fraktionen der Koalition aus SPD, CDU und FDP geschickt. Die Wirklichkeit sieht für viele Patienten in Bremerhaven schon jetzt so aus, sich entweder frühmorgens mit zumeist Dutzenden Patienten für die offene Sprechstunde anzustellen, oder monatelang auf einen Termin zu warten - oder eben im Zweifelsfall auf die eigentlich wichtige Vorsorge zu verzichten.

Strukturelle Probleme müsse die Politik lösen, so die KV

Wie lässt sich die Situation verbessern? „Wir erleben eine steigende Nachfrage bei sinkendem Angebot. Dies führt zu massiven Versorgungsproblemen in strukturschwachen Regionen und erreicht zunehmend auch Bremerhaven und Bremen“, ordnet Christoph Fox, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen (KVHB), die Situation ein. Die Nachfrage steige etwa durch eine ältere Bevölkerung und ein höheres Anspruchsdenken, das Angebot sinke durch den Fachkräftemangel, den Trend zur Anstellung bei Ärzten, schlechter werdende Rahmenbedingungen und fehlendes Problembewusstsein in der Politik, sagt Fox. Strukturelle Probleme könnten die Kassenärztlichen Vereinigungen nur bedingt lösen, das bedürfe zwingend der Unterstützung durch die Politik, die Wirtschaftsförderung und die Stadtplanung.

Der Blick auf den Landkreis Cuxhaven zeigt: Dort sieht es noch etwas besser aus. Die KV Stade spricht von einem Versorgungsgrad von derzeit 102,3 Prozent, mit sechs Hautärzten, die auf fünf Sitzen praktizieren. Diese Praxen befinden sich allerdings in der Stadt Cuxhaven und in der Samtgemeinde Hemmoor, nur eine Praxis ist in Langen (Stadt Geestland). Daher führt für das niedersächsische Umland der kürzeste Weg oftmals nach Bremerhaven, was die hiesigen Praxen zusätzlich belastet. Das zeigt sich bei den Dermatologen. Im Jahr 2023 gab es für Bremerhavener Hautärzte 76.000 Patientenkontakte. Nur knapp 35 Prozent der Patienten sind Bremerhavener gewesen, erklärt die KV. Während ein Hautarzt im Landkreis Cuxhaven etwa 6000 Behandlungsfälle im Jahr hatte, versorgte ein Bremerhavener Hautarzt rund 9000.

Wagner: Weg führt nur über einen Medizinstudiengang in Bremen

Dr. Gunnar Wagner will die hohe Quote an Landkreis-Patienten aber gar nicht kritisieren. Die Seestadt habe immer schon das Umland mitversorgt. Zu Beginn des Jahrtausends hätten allerdings noch zehn Haut-Fachärzte in Bremerhaven praktiziert. Man müsse also dringend neue Kolleginnen und Kollegen gewinnen. Für Wagner steht fest: Der Weg kann perspektivisch nur über eine medizinische Fakultät an der Uni Bremen führen. Bis dahin solle das Bundesland Medizinstudienplätze bei privaten Anbietern einkaufen, um diese mit jungen Menschen aus der Region zu besetzen.

Dieser Vorschlag wurde in der Gesundheitsdeputation von den Fachpolitikern interessiert aufgenommen. Zudem müssten die Kliniken stärker in die ambulante Versorgung einsteigen, so Wagner. Die KV wiederum appelliert an Land und Kommune, Förderungen in den Blick zu nehmen, die den Standort attraktiver und Ärzten eine Entscheidung für Bremerhaven leichter machen. „Wir erleben derzeit einen Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu Niedersachsen“, betont Fox von der KV Bremen.

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