Zähl Pixel
Beratungsangebot

T„Eine Million Euro verspielt“: Stader Spielsucht-Expertin zeigt Ausweg

Pia Blum vom Verein für Sozialmedizin Stade ist spezialisiert auf Glücksspielsuchtprävention.

Pia Blum vom Verein für Sozialmedizin Stade ist spezialisiert auf Glücksspielsuchtprävention. Foto: Richter

Wenn von Sucht die Rede ist, geht es häufig um Alkohol oder härtere Drogen. Doch auch spielen kann süchtig machen, weiß Pia Blum vom Verein für Sozialmedizin Stade. Sie hat erstaunliche Fakten.

author
Von Anping Richter
Mittwoch, 04.06.2025, 17:50 Uhr

Stade. „Wer spielen will, zeigt mir seinen Ausweis. Wer gesperrt ist, darf nicht“, erklärt die Angestellte am Eingang einer Spielhalle im Landkreis Stade. Wer bei sich oder einer nahestehenden Person ein auffälliges Glücksspielverhalten beobachtet, kann laut Glücksspielstaatsvertrag nämlich eine deutschlandweite Sperrung beantragen. Bei ihr im Laden komme das gar nicht selten vor, berichtet die Frau. Oft nütze es trotzdem nichts, beispielsweise bei einer spielsüchtigen Bekannten von ihr: „Die hat dann einfach online gespielt.“

36,5 Prozent der 16- bis 70-Jährigen haben im vergangenen Jahr laut Bundesgesundheitsministerium an mindestens einer Glücksspielart teilgenommen. Etwa zwei Drittel der Menschen, die dem Glücksspiel anhängen, sind Männer. „Sie sind aber weniger aus biologischen Gründen betroffen, eher aus sozialen“, weiß Pia Blum, Sozialarbeiterin und Fachkraft für Glücksspielprävention beim Verein für Sozialmedizin (VSM) in Stade, der aktuell 39 Betroffene und Angehörige begleitet. Sie schätzt aber, dass nur 10 Prozent der Betroffenen tatsächlich das Hilfesystem in Anspruch nehmen.

Manche holen sich erst Hilfe, wenn sie eine Million verspielt haben

Die Glücksspielindustrie versucht, mehr Frauen zu gewinnen. Mit wenig Erfolg, berichtet Pia Blum: „Es passt einfach nicht ins Rollenbild.“ Ob Mann, Frau, alt oder jung: In die Beratung beim VSM kommen die meisten erst, wenn sie schon große finanzielle Verluste erlitten haben. „Da geht es schnell in den fünf- bis sechsstelligen Bereich. Wir haben auch schon erlebt, dass jemand eine halbe bis eine ganze Million Euro verspielt hat“, berichtet Almuth Diekhöner, Diplom-Sozialpädagogin und ebenfalls Beraterin beim VSM.

Mittag oder Mitternacht? In der Spielhalle vergessen viele die Zeit.

Mittag oder Mitternacht? In der Spielhalle vergessen viele die Zeit. Foto: Richter

Als Glücksspiel definieren die Beraterinnen alles, bei dem es um Gewinn und um Geld geht, wobei der Zufall die entscheidende Rolle spielt. Es gebe auch Glücksspiele mit einem kleinen Anteil an Wissen, doch das nütze in der Regel nichts, sagt Pia Blum. „Wir erleben oft Spieler, die denken, dass sie das System austricksen können, weil sie sich so gut auskennen, besonders bei Sportwetten.“ Eine Untersuchung zeige sogar, dass Hausfrauen, die bei solchen Wetten antreten, bessere Chancen auf einen Gewinn haben als Sportstudenten.

Das lukrative Geschäftsmodell der Branche ist schließlich, dass die Masse der Spieler Verluste macht und der Betreiber gewinnt. Ein Hauptprofiteur ist der Staat: Laut Statistischem Bundesamt nahmen die öffentlichen Kassen im Jahr 2023 fast 2,48 Milliarden Euro Steuern aus Lotto, Sportwetten, Online-Poker und anderen Glücksspielen ein, 51 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. „Die Glücksspielindustrie hat eine unglaublich gute Lobby“, sagt Pia Blum. Der Marktwert liege bei 52,71 Milliarden Euro - Tendenz steigend.

Aus Aktienhandel kann auch Spielsucht werden

Der Hang zum Glücksspiel zieht sich durch alle Bereiche der Gesellschaft. Auch Börsenspekulation und der Handel mit Aktien können zur Sucht werden. Pia Blum hat einen Klienten, der drei Stunden lang Aktien kauft und verkauft - jeden Tag.

Problematisches Spielen erleben die Beraterinnen am meisten bei Spielhallen, Online-Spielen und Sportwetten. Wer sich an den VSM wendet, bekommt zuerst eine Beratung. Die Lage wird analysiert, besonders die entscheidende Frage: Warum? „Spieler können am Automaten abschalten. Ihre Sinne werden voll in Anspruch genommen, sie werden da ganz ruhig“, erklärt Pia Blum einen Aspekt der meist komplexen Antwort. Gespielt wird meistens alleine - anders als beim Alkohol, wo Geselligkeit eine wichtige Rolle spielt.

Ein nächster Schritt kann der Antrag auf eine Therapie sein. Der VSM hilft, vermittelt ambulante oder stationäre Therapien sowie Selbsthilfegruppen. Beim VSM selbst bietet Almuth Diekhöner auch ambulante Therapie oder eine Weiterbehandlung nach stationärer Therapie an. Die Beratung ist kostenlos, auf Wunsch anonym und unterliegt der Schweigepflicht.

Pia Blum kümmert sich außerdem schwerpunktmäßig um Prävention, vor allem an Schulen: Beim „Abgezockt“-Parcours können Schüler an verschiedenen Stationen vieles selbst erleben und kritisch reflektieren: Das Kribbeln beim Spielen, aber auch, dass die Bank immer die besseren Chancen hat. Auch Begleitmaterial für alle Altersgruppen ist bei ihr erhältlich. Interessierte melden sich unter der Nummer 04141/ 999315 oder über pia.blum@vsm-stade.de

Pia Blum vom Verein für Sozialmedizin Stade ist spezialisiert auf Glücksspielsuchtprävention.

Pia Blum vom Verein für Sozialmedizin Stade ist spezialisiert auf Glücksspielsuchtprävention. Foto: Richter

Copyright © 2025 TAGEBLATT | Weiterverwendung und -verbreitung nur mit Genehmigung.

Weitere Artikel