TEinmal Stadtmeise, immer Stadtmeise: Auch Nachkommen bleiben in der Stadt

Kohlmeisen lassen sich gut beobachten. Foto: Hajo Schaffhäuser
Über Kohlmeisen ist viel bekannt. Das liegt unter anderem daran, dass Forscher ihnen einfach Mini-Sender verpassen können.
Landkreis. Kohlmeisen gehören zu den am besten untersuchten Vögeln und sind Lieblinge der ornithologischen Forschung. Die Vorteile für die Forschenden: Kohlmeisen sind sowohl im Wald als auch in der Großstadt häufig. Sie sind auffällig gefärbt und lassen sich an Futterstellen gut beobachten.
Sie brüten häufig in Höhlen. Die Jungen darin können von den Forschern problemlos mit Mini-Sendern versehen werden. Wichtig auch: Es gibt Beobachtungen, dass die Kinder von Stadtmeisen auch Stadtmeisen bleiben. Die Jungen von Waldmeisen haben die Eigenschaft, überwiegend im Wald zu brüten. Analysen der Kohlmeisen-Gene erbrachten das überraschende Ergebnis, dass sich Stadt- von Waldmeisen genetisch unterscheiden. Das ließ sich anhand der DNA (Säuren innerhalb des Chromosoms) oder der Teleomere (DNA-Teile am Chromosomen-Ende) feststellen. Doch welche Merkmale sind bei Stadt- und Waldmeisen anders und genetisch festgelegt? In welche Richtung verläuft die Evolution von Stadt- und Wald-Kohlmeisen?
Stadtmeisen mit längeren Schnäbeln am Futterhaus
Stadt-Kohlmeisen scheinen, so erste Resultate, gegenüber Lärm, Licht- und Luftverschmutzung weniger widerstandsfähig zu sein. Hier zeigt sich leider, dass die Chromosomen der Stadtmeisen schneller Abnutzungs-Erscheinungen aufweisen. Die Chromosomen der Stadtmeisen können weniger Reparaturen veranlassen, die Tiere sind schneller geschwächt. Vielleicht ist dies langfristig ein Vorteil für die Waldmeisen.
Eine weitere Untersuchung: Natürliche Nahrung steht Stadtmeisen seltener zur Verfügung, Futterhäuser werden sehr gern und häufig aufgesucht. Und da gab es eine große Überraschung bei englischen Meisen: Futterhaus-Meisen haben etwas längere Schnäbel, dagegen sind Schnäbel der Waldmeisen leicht verkürzt. Das ist auch genetisch in der DNA festgelegt. Damit hätten Stadtmeisen einen Vorteil, wenn sie weiterhin die Stadt als Lebensraum vorziehen.
Wie verhalten sich Stadt- und Waldmeisen, so die nächste Fragestellung, bei hohem Lärmpegel? Das Resultat: Beide Meisen versuchen sich, im Experiment und im Freiland, diesen extremen Bedingungen anzupassen. Sie warnen dann andere Meisen und ihre unerfahrenen Jungen extrem laut vor Feinden. Aber sie schafften es beide nicht, sich im Stadtlärm wirksam Gehör zu verschaffen.
Kohlmeisen in der Stadt profitieren von ihren Freunden
Ein anderes Forschungsergebnis könnte Stadtmeisen Vorteile bringen: Kohlmeisen haben Freunde. Kumpels befreunden sich schon im Winter und das hält bis zur Brutzeit im Frühjahr. Die Freunde brüten gern in der Nachbarschaft, haben ihre Reviere gleich nebenan. Man warnt sich gegenseitig, verteidigt nicht so aggressiv das Revier und spart Energie bei der Feindabwehr. Die Folgerung der Forscherinnen: Das könnte etwas mehr den Stadt-Kohlmeisen helfen, die häufiger von Hauskatzen genervt sind.
Insgesamt zeigt sich, dass es ein klares Resultat Waldmeise versus Stadtmeise noch nicht gibt. Auch ist unklar, welche Gene bei Meisen in kleineren Orten wirksam werden könnten. Doch was bringen diese Forschungen? Sie zeigen, dass eine stetige Evolution innerhalb weniger Jahrzehnte nachweisbar ist. Sie belegen auch, dass einigen Tieren die Anpassung an sich verändernde Lebensräume gelingen kann. Forschungen ergeben aber auch, dass Tiere der meisten Arten sich nicht so rasch anpassen können. Bei ihnen ist schon länger der Zug abgefahren in Richtung aussterben.
Was kreucht und fleucht in der Region? Wolfgang Kurtze, Vorsitzender der Lions-Naturschutz-Stiftung, schreibt über Phänomene und Kuriositäten in der Natur. Das TAGEBLATT veröffentlicht die Artikel des promovierten Biologen in loser Reihenfolge. Die erfolgreiche TAGEBLATT-Serie „Phänomene der Natur“ rückt kurzweilig Wissenswertes aus der Natur in den Mittelpunkt. Der zweite, reich illustrierte und in Jahreszeiten gegliederte Band von Wolfgang Kurtze ist für 19,90 Euro im Buchhandel erhältlich. Herausgeber ist die Lions Stiftung Stade zur Förderung des Natur- und Umweltschutzes.