Zähl Pixel
Bildung

TEinschulungen im Kreis Stade: Wie der Lehrkräftemangel gerecht verteilt wird

Lehrerinnen wie diese gehören zu den aktuell begehrtesten Arbeitskräften.

Lehrerinnen wie diese gehören zu den aktuell begehrtesten Arbeitskräften. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Für mehr als 2000 Kinder im Kreis Stade beginnt am Sonnabend ein neuer Lebensabschnitt - mit dem Start der Grundschule, wo vielerorts Lehrkräfte fehlen. Abhilfe schaffen sollen reisende Lehrer und neue Besoldungsmodelle.

author
Von Anping Richter
Freitag, 09.08.2024, 18:36 Uhr

Buxtehude. Der erste Schultag soll besonders schön werden. Deshalb proben die vierten Klassen der Rotkäppchen-Schule in Buxtehude schon lange das Programm, mit dem sie die Erstklässler am Samstag willkommen heißen wollen. Fünf Mal werden sie auftreten, denn es werden fünf Klassen eingeschult und jede bekommt ihre eigene Feier.

„Wir gestalten das sehr persönlich“, sagt Schulleiterin Heike Welle. Die Kinder haben die Schule schon bei einem Besuch kennengelernt, und die Klassenlehrer haben vorab in Einzelterminen jedes Kind und dessen Eltern zum Gespräch eingeladen.

Mit fünf neuen ersten Klassen hat die Rotkäppchen-Schule in diesem Schuljahr eine mehr als zuvor. Damit liegt sie im Niedersachsen-Trend: Landesweit sind die Schülerzahlen um zwei Prozent gestiegen. Aufgrund von Geburtenzahlen und Migration rechnet das Kultusministerium auch für die kommenden Schuljahre mit steigenden Zahlen.

Lehrkräfte-Bedarf nimmt nicht ab: Schülerzahlen steigen

Der Lehrkräfte-Bedarf wird also nicht abnehmen, im Gegenteil. Aktuelle Zahlen zur Versorgung bei den allgemeinbildenden Schulen im Landkreis Stade gibt das Regionale Landesamt für Schule und Bildung (RLSB) in Lüneburg erst heraus, wenn zum 15. August 2024 die neuen Zahlen gemeldet und ausgewertet wurden. In den vergangenen Jahren hat das immer mehrere Monate gedauert. Die vorliegenden Zahlen vom Stichtag 31. August 2023 sind unter karten.nibis.de einsehbar.

Mit 90,3 Prozent liegt der Kreis Stade demnach wie berichtet unter dem Niedersachsen-Durchschnitt von 96,9 Prozent und ist damit landesweit am schlechtesten versorgt. Landrat Kai Seefried hatte deshalb Anfang des Jahres mit einem Brandbrief ans Kultusministerium Alarm geschlagen. Grund für die Situation soll auch die Nachbarschaft zu Hamburg sein, das mit den Vorzügen einer Metropole und mit besserer Besoldung lockt.

Letzteres wurde gerade geändert: Seit dem 1. August werden Lehrkräfte für Grund-, Haupt- und Realschulen ab dem Berufseinstieg nach A13 besoldet, genau wie Gymnasiallehrkräfte. Laut Kultusministerium profitieren davon rund 35.500 der mehr als 71.000 Lehrer an Niedersachsens allgemeinbildenden Schulen.

Hoffnung: Neues Besoldungsmodell soll Abwanderung nach Hamburg stoppen

Heike Welle findet diese Anpassung „total richtig“ und hofft, dass sie die Abwanderung junger Kollegen in das von Buxtehude nur wenige Kilometer entfernte Hamburg stoppt. Mit einer Versorgung von 90,3 Prozent lag die Rotkäppchen-Schule zuletzt genau im Durchschnitt des Landkreises Stade. Welle ist zuversichtlich, dass sie ihren Erstklässlern trotzdem einen guten Schulstart ermöglichen kann: „Jede Klasse hat einen schön ertüchtigten Klassenraum und einen Klassenlehrer, der auch bleibt.“

Karina Krell, Bezirksvorsitzende der GEW.

Karina Krell, Bezirksvorsitzende der GEW. Foto: Gew

Das gelingt auch dank der Lehrkräfte-Abordnungen: Die Richtlinie, nach der Grundschulen zu 100 Prozent versorgt sein müssen, gelte noch immer, erklärt Karina Krell, die Bezirksvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Andere Schulen, auch wenn sie selbst unterversorgt sind, müssen Lehrkräfte an die Grundschulen abgeben, damit die Stundentafel eingehalten werden kann.

So wird der Mangel gerecht verteilt

Das Land sei in der Pflicht, den Bildungsauftrag zu erfüllen, sagt Krell. Doch aktuell gehe es nur darum, den Mangel gerecht zu verteilen. Der Bezirk Lüneburg sei erneut Schlusslicht: „Die Einstellungsquote liegt gut 20 Prozent unter dem niedersächsischen Durchschnittswert.“ Im Kreis Stade konnten laut Krell weniger als die Hälfte der ausgeschriebenen Stellen besetzt werden.

Manche Lehrkräfte müssen zwischen zwei Schulen pendeln - nicht nur räumlich, auch inhaltlich. Natürlich seien die Abordnungen notwendig, sagt Krell. Aber: „Wenn fünf Leute mit je fünf Stunden an eine Schule kommen, können sie nur ganz bestimmte Dinge übernehmen.“ Für die aufnehmende Schule sei es auch nicht leicht, das sinnvoll zu gestalten. Abgeordnet wird in der Regel höchstens für ein Jahr, doch ständige Wechsel schaden der pädagogischen Kontinuität und der Bindung, findet Krell: „Die Beziehung ist zentral für das Lernen.“

Dr. Christoph Rabbow, Vorsitzender des Philologenverbands Niedersachsen.

Dr. Christoph Rabbow, Vorsitzender des Philologenverbands Niedersachsen. Foto: Philologenverband Niedersachsen

Das Kultusministerium hat bei Einstellungen all das im Blick. So werden Stellen an Grundschulen verlagert oder Stellenausschreibungen an bevorzugten Orten mit einer verpflichtenden Abordnung an eine Schule im ländlichen Raum versehen. Das ist einer Referendarin in Stade passiert: Die Einstellung an ihrem Wunsch-Gymnasium wurde abgelehnt. Erst musste sie für ein Jahr an eine Grundschule gehen, berichtet Dr. Christoph Rabbow, Vorsitzender des Philologenverbands Niedersachsen, der Berufsvertretung der Gymnasiallehrer und der Studienreferendare. Er ist Lehrer am Vincent-Lübeck-Gymnasium in Stade und außerdem Fachausbilder Chemie am Studienseminar Stade.

Warum brechen so viele das Lehramtsstudium ab?

Rabbow findet es richtig, die Versorgung im ländlichen Raum zu priorisieren: „Der Lehrkräftemangel ist dramatisch. Wenn der Staat seinen Bildungsauftrag nicht mehr erfüllen kann, ist das eine Katastrophe.“ An den Schulen täten viele Lehrkräfte ihr Bestes, um den Mangel zu kompensieren - durch Überstunden, wie er aus Erfahrung weiß: „Von den Osterferien bis Juni habe ich jedes Wochenende am Schreibtisch verbracht.“

Rabbow vermerkt positiv, dass Niedersachsen in diesem und im kommenden Jahr 2460 weitere Stellen bereitstellen will, um allen Referendaren eine anbieten zu können. Eine wichtige Frage ist für ihn, warum es im Lehramtsstudium so großen Schwund gibt: Nach einer Analyse des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft schließen von 52.500 Studienanfängern am Ende nur gut 28.000 das Referendariat ab.

Rabbow fordert, die Studienseminare zu stärken, um die Schulen von der Betreuung der Referendare zu entlasten und junge Lehrkräfte in der ersten Zeit nach dem Referendariat besser zu unterstützen. Auch GEW-Frau Krell findet, dass die Gründe für die hohe Studienabbrecher-Quote unbedingt untersucht werden müssen.

In der Rotkäppchen-Schule hat Heike Welle erlebt, dass Abordnungen auch gute Seiten haben: Lehrkräfte von anderen Schulen brächten neue Ideen ein, von denen das Schulleben profitiere. Und: „Ich habe welche, die sich nach einer Abordnung gewünscht haben, zu bleiben. Das ist natürlich super.“

Mehr Stunden für Sprache, Mathe und soziale Kompetenzen

Zuversichtlich mache sie auch, dass den Grundschulen ab diesem Schuljahr eine Wochenstunde mehr zur Verfügung steht, um Basiskompetenzen in Sprache, Mathematik und im sozialen Bereich zu verbessern. Schrittweise wird diese Basislernzeit sogar auf drei Wochenstunden erhöht.

Zudem ist die Rotkäppchen-Schule eine von den 390 Schulen in Niedersachsen, davon 13 im Kreis Stade, die am Startchancen-Programm teilnehmen werden - dem größten Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Es soll gezielt Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler unterstützen, wofür Bund und Länder zusammen 20 Milliarden Euro in zehn Jahren investieren.

Noch ist kein Geld geflossen, aber Heike Welle und ihr Kollegium haben schon viele Ideen, wo es gut investiert wäre: „Ganz oben steht für uns ein großes Fortbildungsprojekt zum Thema Sprache.“

Weitere Artikel