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Nachkriegszeit

TErmittlungen im Jahr 1951: In Zeven werden Verbrecher mit Polizeifotos gejagt

„Zur Bekämpfung des Landfahrerunwesens“ richtet die Kriminalpolizei im Stader Bezirk 1951 eine Lichtbildkartei ein. Sie soll der Polizei bei der Identifizierung von Straftätern dienlich sein.

„Zur Bekämpfung des Landfahrerunwesens“ richtet die Kriminalpolizei im Stader Bezirk 1951 eine Lichtbildkartei ein. Sie soll der Polizei bei der Identifizierung von Straftätern dienlich sein. Foto: Jan-Peter_Kasper

Wer umzieht, dem fallen beim Packen meist vergessene Schätze in die Hände. So auch den Zevener Polizisten, die die Station an der Lindenstraße zum Jahreswechsel verließen. Der Schatz: Eine Akte aus den Jahren 1945 bis 1952.

Von Thorsten Kratzmann Sonntag, 21.04.2024, 11:00 Uhr

Zeven. Nach längerer Zeit taucht Mitte 1951 das Lager Seedorf erneut in der Polizeiakte auf. Die Phase übervoller Baracken und hoher Kriminalität ist Geschichte. Das Durchgangslager für heimatlose Osteuropäer steht seit einem Jahr unter deutscher Verwaltung.

Bevor die UN die Lagerverwaltung 1950 in deutsche Hände legte, war die ehemalige Seedorfer Kaserne in Teillager gegliedert. Für die teilweise ethnisch homogenen Teillager waren Komitees eingerichtet. Das Foto zeigt das estnische Lagerkomitee.

Bevor die UN die Lagerverwaltung 1950 in deutsche Hände legte, war die ehemalige Seedorfer Kaserne in Teillager gegliedert. Für die teilweise ethnisch homogenen Teillager waren Komitees eingerichtet. Das Foto zeigt das estnische Lagerkomitee. Foto: Samtgemeindearchiv

Einige der inzwischen teilweise maroden Holzgebäude, die 1940 von U-Boot-Soldaten bezogen worden waren, sind abgerissen. Die anderen sind gestrichen, saniert und zu Zwei- bis Drei-Zimmer-Wohnungen für Familien umgebaut worden. Alleinstehende bekommen eine Ein-Zimmer-Wohnung zugewiesen. Die Polizei hat eine Wache eingerichtet.

In dieser Außenstelle des sogenannten Polizei-Gruppenpostens Zeven versieht Wachtmeister Prielipp seinen Dienst. Er zeichnet sich aus und erhält eine schriftliche Belobigung seines Vorgesetzten. Der Stader Polizei-Kommandeur Hagemeyer hält den Sachverhalt in seiner Nachricht an die Dienstellen im Bezirk vom 7. Juli fest:

„Am 4.6.1951 geriet der fünfjährige Sohn einer im DP-Lager Seedorf wohnenden ukrainischen Familie dadurch in Lebensgefahr, daß er beim Spielen in einen ungenügend gesicherten, circa zwei Meter tiefen Feuerlöschteich fiel und beim Versuch, sich durch Schwimmbewegungen zu retten, der Mitte des Teiches zutrieb und unterging. Polizeiwachtmeister Prielipp, der auf die Hilferufe der anderen Kinder herbeieilte, sprang in voller Kleidung dem Jungen nach und brachte ihn schwimmend ans Ufer zurück. Seinem entschlossenen Handeln ist es zu verdanken, daß das Kind, ohne weiteren Schaden an seiner Gesundheit zu nehmen, geborgen wurde.“

Drei Fingerbreit Abstand zum Koppelschloss

In seiner letzten Polizeinachricht geht Oberrat Hagemeyer auf die korrekte Trageweise von Pistolen- und Kartentasche ein. Demnach haben Polizisten die Pistolentasche auf der rechten und Kartentasche auf der linken Körperseite zu tragen. Der Abstand der beiden Taschen zum Koppelschloss beträgt je drei Fingerbreit.

Am 31. Juli verabschiedet sich der Kommandeur in den Ruhestand. Zu dessen Nachfolger bestellt Innenminister Richard Borowski Polizeirat Stegenwalner. Der bezieht im Hause Heidemann, Fritz-Reuter-Straße 9 in Stade, ein Zimmer. Vermieter Heidemann verfügt über ein Telefon. Unter der Nummer 3162 ist Stegenwalner dort nach Dienstschluss zu erreichen.

Das Foto zeigt Letten beim Kirchgang Ende der 1940er Jahre im Lager Seedorf. Das Lager leerte sich zusehends. Viele der zumeist osteuropäischen Bewohner wanderten aus. 1950 ging die Lagerverwaltung an die Deutschen über. Foto: Samtgemeindearchiv

Das Foto zeigt Letten beim Kirchgang Ende der 1940er Jahre im Lager Seedorf. Das Lager leerte sich zusehends. Viele der zumeist osteuropäischen Bewohner wanderten aus. 1950 ging die Lagerverwaltung an die Deutschen über. Foto: Samtgemeindearchiv Foto: Samtgemeindearchiv

Der neue Kommandeur hat sich sogleich mit dem Beinkleid seiner Untergebenen zu befassen. Die erst vor einem Jahr eingeführten grünen Biesen für die lange Tuchhose „kommen wieder in Fortfall“. Ferner teilt er mit, dass Stiefel- und Reithosen bis auf Weiteres aus blauem Tuch hergestellt werden. Als Grund dafür nennt Stegenwalner Lieferengpässe bei schwarzen Stoffen.

Darüber hinaus gibt der Kommandeur Versetzungen bekannt. So die des Wachtmeisters Erich Broderius vom Polizei-Gruppenposten Badenstedt zum Gruppenposten Heeslingen und die von Wachtmeister Karl Ebel vom Gruppenposten Heeslingen zum Gruppenposten Zeven. Wachtmeister Broderius übernimmt die Leitung des Postens Heeslingen in Vertretung für den erkrankten Polizeimeister Baron.

Auch kündigt der Rat an, dass „zur Bekämpfung des Landfahrerunwesens bei der Kriminalpolizei eine Lichtbildkartei der bisher bekannt gewordenen Landfahrer (Zigeuner) eingerichtet“ wurde. Diese Lichtbilder seien zur Personenfeststellung geeignet und daher den von Landfahrern Geschädigten vorzulegen.

Kein Bier nach 22 Uhr in Trinkhallen und am Getränkewagen

Zudem weist Stegenwalner auf eine Klarstellung hin: Demnach gilt für Speiseeiswirtschaften, die sich ausnahmslos auf „die Abgabe von Speiseeis einschließlich der dazugehörigen Waffeln und Früchte zum Genuss an Ort und Stelle beschränken“, dieselbe Sperrstunde wie für übrige Gaststätten - also 24 Uhr. Die Sperrstunden für Trinkhallen und Getränkewagen liegt hingegen bei 22 Uhr.

Nachdem das Lager Seedorf in deutsche Verwaltung übergegangen war, wurden nach 1950 marode Baracken abgerissen. Andere wurden saniert und zu Wohnungen für die verbliebenen Lagerbewohner umgebaut. Das Foto zeigt vier litauische Lagerbewohner. Foto: Samtgemeindearchiv

Nachdem das Lager Seedorf in deutsche Verwaltung übergegangen war, wurden nach 1950 marode Baracken abgerissen. Andere wurden saniert und zu Wohnungen für die verbliebenen Lagerbewohner umgebaut. Das Foto zeigt vier litauische Lagerbewohner. Foto: Samtgemeindearchiv Foto: Samtgemeindearchiv

Überdies weist der Chef in Stade die Polizisten im Bezirk auf die ihnen obliegende Grußpflicht hin. Diese besteht gegenüber Flaggen führenden Fahrzeugen - und zwar denen des Bundespräsidenten, des Kanzlers, der Bundesminister und Staatssekretäre, dem Chef des Bundespräsidialamtes, des Bevollmächtigten der Bundesrepublik in Berlin, der Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, des Obersten Bundesgerichts, der Oberen Bundesgerichte, des Zentralbankrates, der Bundesbahn, des Oberbundesanwalts. Hinzu kommen die Fahrzeuge der Leiter der Bundesober-, Bundesmittel- und Bundesunterbehörden sowie der Leiter der Bundespostverwaltungsbehörden.

Als das Jahr dem Ende entgegenstrebt und der erste Advent vor der Tür steht, kehrt mit der Kälte ein alter Bekannter der Polizisten zurück: Der Holzdieb. In seiner Mitteilung an die Dienstellenleiter vom 1. Dezember 1951 schreibt der Kommandeur: „Überall klagen Waldbesitzer und Förster über Forstfrevel und Diebstahl. Abgesehen von den teilweise erschreckend zunehmenden Brennholzdiebstählen wird in diesen Wochen laufend Schmuckreisig (Fichten- und Douglasiengrün) gestohlen.“

Stegenwalner prophezeit, dass es im Laufe des Monats „in noch stärkerem Maße“ zum Diebstahl von Weihnachtsbäumen kommen werde. Daher weist er die Polizisten an, an Waldgebieten Sonderstreifen einzusetzen und jeden zu kontrollieren, der mit „Walderzeugnissen“ angetroffen wird. Der Käufer habe den rechtmäßigen Erwerb der Erzeugnisse und deren Herkunft mit einem Abgabezettel, den ihm der Verkäufer ausstellt, nachzuweisen.

„Unschädlichmachung“ einer Bande von Kabeldieben

Stegenwalner selbst hat an Heiligabend Grund zur Freude. Innenminister Borowski hat ihn mit Wirkung zum 24. Dezember befördert und zum Polizei-Oberrat ernannt.

Zeitgleich damit ernennt Stades Regierungspräsident Walter Harm 72 Polizisten zu Beamten auf Lebenszeit - unter ihnen sechs, die im Polizeiabschnitt Bremervörde Dienst tun. Es sind dies Polizeimeister Paul Schidor und die Wachtmeister Ernst Breitbeck, Leo Herzig, Willy Hoffmann, Hans Lübke sowie Erich Neubauer.

Auch Poststationen gab es im Lager Seedorf. Das Foto zeigt die estnische Poststelle.

Auch Poststationen gab es im Lager Seedorf. Das Foto zeigt die estnische Poststelle. Foto: Samtgemeindearchiv

Leo Herzig wird Anfang 1952 versetzt. Er wechselt vom Gruppenposten Zeven zur Außenstelle Lager Seedorf. Dort löst er seinen Kollegen Wachtmeister Werner Prielipp ab, der statt seiner fortan Dienst in Zeven versieht. Zeitgleich verlässt Wachtmeister Ogorevc die Wache in Zeven und verstärkt den Gruppenposten Langen im Kreis Wesermünde.

Daneben gibt es Erfolge zu vermelden: Oberrat Stegenwalner hebt die Festnahme von sechs Dieben und eines Hehlers im Dezember 1951 hervor. Den Festgenommenen sind 23 Kabeldiebstähle im Raum Osten/Krautsand nachzuweisen, teilt er im Februar 1952 in den Polizeinachrichten mit. An der „Unschädlichmachung“ dieser Bande waren fünf Polizisten des Abschnitts Rotenburg beteiligt.

Dieser Dienststelle gelingt Anfang 1952 ein weiterer Fahndungserfolg. Kripo-Wachtmeister Fornoff und sein Kollege, Wachtmeister Leskien, überwältigen in den frühen Morgenstunden des 20. Januar im Lager Hohenesch nördlich von Rotenburg den gesuchten Gewaltverbrecher Wesse. Der war mehrere Monate zuvor aus dem Zuchthaus Hamburg, in dem er noch fünf Jahre zu verbüßen hat, geflohen und hatte in der Folge weitere Verbrechen begangen.

Derweil ist der ein dreiviertel Jahr zuvor beklagte Lieferengpass bei Uniformstoff offenbar behoben. Mitte März 1952 bietet der Kommandeur blauen Gabardinestoff feil. Selbsteinkleider können Stoff bei der Polizei-Bekleidungslieferstelle Stade zum Preis von 17,40 D-Mark plus zehn Prozent Verwaltungskosten je laufenden Meter erwerben.

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