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Razzia

TEuropaweites Wirtschaftsdrama: Der tiefe Sturz der Co.Net aus Drochtersen

Co.Net-Vorstandsvorsitzender Thomas Limberg (links) mit Vorstand Johan Zwart im Jahr 2018. Limberg ist Mitbegründer der Verbrauchergenossenschaft und gilt als zentrale Figur im Wirtschaftsskandal.

Co.Net-Vorstandsvorsitzender Thomas Limberg (links) mit Vorstand Johan Zwart im Jahr 2018. Limberg ist Mitbegründer der Verbrauchergenossenschaft und gilt als zentrale Figur im Wirtschaftsskandal. Foto: Archiv

Mit der Razzia in Drochtersen, Spanien und Polen erreicht das jahrelange Drama um die Verbrauchergenossenschaft Co.Net ihren vorläufigen Höhepunkt. Der Weg eines Unternehmens, das ganz klein anfing und nun ganz groß gescheitert ist.

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Von Katja Knappe
Montag, 26.02.2024, 20:00 Uhr

Drochtersen. Diese Lawine reißt jetzt alle mit. Von den aktuell knapp 4000 Genossenschaftsmitgliedern, der Gemeinde Drochtersen bis hin zu den Beschäftigten der Co.Net-Ferienimmobilien in Spanien. Und natürlich Thomas Limberg, Co.Net-Mitbegründer und eine zentrale Figur in diesem Wirtschaftsskandal.

Begonnen hat alles ganz klein, im Jahr 2001 mit der Gründung der Verbrauchergenossenschaft in Drochtersen. In den Anfängen sollen ein Einkaufsrabattsystem und der Betrieb eines Servicerechenzentrums für Banken und Industrie in Deutschland für Einnahmen sorgen. Co.Net wirbt mit jährlichen Ausschüttungen von bis zu zehn Prozent.

Polizisten nehmen eine Person in einem Nebengebäude im Gewerbegebiet Nindorfer Deichfeld in Drochtersen fest.

Polizisten nehmen eine Person in einem Nebengebäude im Gewerbegebiet Nindorfer Deichfeld in Drochtersen fest. Foto: Vasel

2014 gründet Limberg eine neue Sparte in der Co.Net-Gruppe: Co.Net Holiday. Das Geld wird vor allem in Ferienimmobilien in Spanien angelegt. 2018 ist das Co.Net-Ferienhaus-Portfolio auf Mallorca auf knapp 60 Immobilien angewachsen, darunter Hotels, Appartements und Ferienhäuser. Limberg sucht das Rampenlicht, die Verbrauchergenossenschaft entwickelt sich im Osten der Ferieninsel zu einem wichtigen Arbeitgeber.

Erster öffentlicher Warnschuss schon 2014

Doch schon im Gründungsjahr der Sparte Co.Net Holiday gibt es die ersten negativen Schlagzeilen. Die Stiftung Warentest warnt 2014 erstmals vor Anlagen bei Co.Net. Wegen unklarer wirtschaftlicher Verhältnisse wird die Genossenschaft auf die Geldanlagen-Warnliste gesetzt. 2015 folgt erneut eine Warnung für Anleger. 2019 rückt die Verbrauchergenossenschaft in den Blick der Aufsicht. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) untersagt Co.Net Ende 2019, eigene Genossenschaftsanteile öffentlich anzubieten.

Mit Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 gerät die Co.Net-Lawine ins Rutschen. Wegen der Einschränkungen mit Lockdowns gibt es starke Einnahme-Einbrüche bei den Ferienimmobilien. Die beiden Co.Net-Jahresergebnisse 2020 und 2021 weisen laut Handelsregister Fehlbeträge aus: 2020 waren es etwa 4,7 Millionen Euro, 2021 rund 2,5 Millionen Euro. Dennoch plant Co.Net im Jahr 2020, für 9,5 Millionen Euro ein Fünfeinhalb-Sterne-Hotel in Canyamel zu errichten - so berichtet es 2020 die „Mallorca-Zeitung“.

Millionen-Schulden bei der Gemeinde und beim Finanzamt

Schon damals hat das Unternehmen Liquiditätsprobleme - und keine Rücklagen. Die Gewerbesteuer-Rückstände, die bei der Gemeinde Drochtersen aufgelaufen sind, betragen 2021 mindestens 1,4 Millionen Euro. Diese Zahl wird im Protokoll der Co.Net-Generalversammlung 2022 genannt. Weitere 1,8 Millionen Euro sind laut Protokoll beim Finanzamt Stade fällig. Außerdem gibt es Probleme bei der Rückzahlung von Genossenschaftseinlagen. Im Laufe des Jahres 2022 lässt die Gemeinde Drochtersen eine Zwangssicherungshypothek auf den Firmensitz der Co.Net am Nindorfer Deichfeld eintragen. Mehrere Mitglieder klagen gegen Co.Net. Anfang 2023 laufen am Landgericht Stade mehrere Verfahren.

Bei der Generalversammlung der Genossenschaft Ende November 2022 hatten Vorstand und Aufsichtsrat empfohlen, das Hotel Paradise in Cala Ratjada für etwa neun Millionen Euro zu verkaufen. Damit sollten Schulden beglichen werden. Damals hieß es, Gespräche mit mehreren Investoren über einen Verkauf des Hotels Paradise würden geführt - verkauft wurde es bis heute nicht.

Zwangsversteigerung des Firmensitzes im März

Das Drama nimmt seinen Lauf: Ende September/Anfang Oktober 2023 steht die Verbrauchergenossenschaft zwei Wochen lang unter vorläufiger Insolvenzverwaltung. Anfang Januar dieses Jahres wird erneut ein Insolvenzantrag gegen Co.Net gestellt. Später stellt auch die Gemeinde Drochtersen einen. Für den 7. März wird eine Zwangsversteigerung des Firmensitzes am Nindorfer Deichfeld beim Amtsgericht Stade festgesetzt.

Das Co.Net-Logo ist in Cala Ratjada allgegenwärtig. Die Großrazzia beschäftigt in dem Küstendorf auf Mallorca viele Menschen - hier ist Co.Net auch ein wichtiger Arbeitgeber.

Das Co.Net-Logo ist in Cala Ratjada allgegenwärtig. Die Großrazzia beschäftigt in dem Küstendorf auf Mallorca viele Menschen - hier ist Co.Net auch ein wichtiger Arbeitgeber. Foto: Sophie Mono

Ebenfalls im Januar taucht plötzlich ein neuer Mitspieler auf: Der Verein Igenos, nach eigenen Angaben eine bundesweite Interessenvertretung von Genossenschaftsmitgliedern, lädt zu einer informativen Mitgliederversammlung im Fährhaus Kirschenland in Jork. Die Versammlung mit mehr als 200 Mitgliedern wird von etlichen Security-Leuten bewacht. Auch Thomas Limberg ist anwesend. Etliche Teilnehmer machen ihrem Ärger Luft - unter anderem wegen Intransparenz. Viele haben Geld als Altersvorsorge in der Genossenschaft angelegt. Igenos wirbt für eine Umwandlung in eine Aktiengesellschaft.

Am 15. Februar ordnet das Amtsgericht Stade erneut eine vorläufige Insolvenzverwaltung für Co.Net an. Als vorläufiger Insolvenzverwalter wird der Bremer Rechtsanwalt Dr. Malte Köster eingesetzt. Was die Öffentlichkeit an jenem Donnerstag nicht ahnt: Es kommt noch dicker - viel dicker.

Großrazzia: 230 Polizisten europaweit im Einsatz

Bei einer länderübergreifenden Großrazzia am vergangenen Freitag stürmen Polizisten die Co.Net-Firmenzentrale in Drochtersen. Zeitgleich sichern Polizisten in Stade, Neu Wulmstorf, im polnischen Lodz, in Barcelona und auf Mallorca weitere Beweise. 230 Beamte sind europaweit im Einsatz, insgesamt 29 Objekte werden durchsucht, kistenweise Beweismaterialien gesichert. Es gibt zwölf Beschuldigte. Ein Mann wird vorläufig festgenommen und in die Justizvollzugsanstalt Bremervörde gebracht. Die Polizeidirektion Lüneburg will weder bestätigen noch dementieren, dass es sich dabei um Thomas Limberg handelt. Es werden zahlreiche Konten im In- und Ausland eingefroren und mehrere Immobilien beschlagnahmt. Eine international vernetzte Tätergruppierung soll professionell Genossenschaftsgelder veruntreut haben. Einer der Hauptbeschuldigten soll Angehöriger einer örtlichen Clanfamilie sein.

Rechtsanwalt Dr. Johannes Bender von der Düsseldorfer Fachkanzlei Bender und Pfitzmann, die nach eigenen Angaben rund 250 Mandanten in Sachen Co.Net vertritt, begrüßt die Razzia: „Dadurch sind wichtige Unterlagen gesichert worden. Das ist förderlich, um Erkenntnisse zu gewinnen.“ Das sei bisher nicht immer einfach gewesen. Dass auch Clankriminalität dahinterstehe, „das kommt total überraschend“. Das könne aber auch ein Grund dafür sein, warum das Hotel Paradise nicht verkauft wurde, mutmaßt Bender.

Zusammenhang mit Clan-Milieu überrascht

Auch Drochtersens CDU-Fraktionschef Hannes Hatecke und SPD-Fraktionschef Kai Schildt äußerten sich überrascht angesichts der Großrazzia und des Hintergrunds der Clan-Kriminalität. Schildt befürchtet, die anhaltenden Ermittlungen könnten das vorläufige Insolvenzverfahren nun zeitlich deutlich verzögern. „Die Razzia bei Co.Net führt aus heutiger Sicht nicht zu Verzögerungen im vorläufigen Insolvenzverfahren“, sagt dagegen Meike Ostrowski von der vorläufigen Insolvenzverwaltung Willmerköster in Bremen. „Wir kooperieren eng mit den Ermittlungsbehörden.“

Drochtersens FWG-Fraktionschef Cornelius van Lessen, der die Gemeinde immer wieder drängte, Zahlungen von Co.Net einzutreiben, sagt: „Mich wundert, dass es so spät passiert ist.“ Er wirft der Gemeinde vor, fahrlässig gehandelt zu haben, weil sie angesichts ausstehender Steuerzahlungen von Co.Net nicht frühzeitig und ordnungsgemäß vollstreckt habe, so wie es die Abgabenverordnung vorsehe.

Co.Net-Mitgründer Thomas Limberg 2020 auf Mallorca. Auf der Ferieninsel erwarb die Verbrauchergenossenschaft diverse Immobilien.

Co.Net-Mitgründer Thomas Limberg 2020 auf Mallorca. Auf der Ferieninsel erwarb die Verbrauchergenossenschaft diverse Immobilien. Foto: Co.Net

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