TEx-Neonazi warnt eindringlich: „Baut nicht dieselbe Scheiße wie ich“

Ex-Neonazi Axel Reitz spricht in der Edith-Stein-Schule in Bremerhaven. Foto: Schröder/ KAS
Axel Reitz, der ehemalige „Hitler von Köln“ klärt auf: So werden Jugendliche zu Neonazis und so gelingt der Ausstieg aus der rechtsextremen Szene.
Bremerhaven. Axel Reitz war jahrelang ein Hetzer und Vordenker in der rechtsextremen Szene und Mitglied in der NPD. In seiner Nazi-Zeit bekommt er den zweifelhaften Spitznamen „Hitler von Köln“. Nach fünfzehn Jahren steigt Reitz aus der Szene aus und hält heute Präventionsvorträge, um junge Menschen davon abzubringen, selbst rechtsradikal zu werden. Der Ex-Neonazi ist erstmals als Referent in einer Schule in Bremerhaven zu Gast gewesen, in der Edith-Stein-Schule. Organisiert hat den Vortrag die Konrad-Adenauer-Stiftung.
Vater habe sich wie ein „Diktator“ verhalten
Schon mit 13 Jahren rutschte Axel Reitz in die rechtsextreme Szene ab. „Seid euch nicht zu sicher, dass euch das nicht auch passieren kann“, warnt er die Schülerinnen und Schüler. Statt in Ledermantel und SA-Look steht der 41-Jährige im bunten Hawaii-Hemd vor den Jugendlichen aus der 9. und 10. Klasse.
„Mein Vater war zu Hause ein ziemlicher Diktator. Er hat bestimmt, was wahr ist und was nicht“, sagt Reitz. Im lockeren Ton spricht er über seine Kindheit, Schulzeit und über Schlüsselerlebnisse, die zu seiner Radikalisierung geführt haben.
In der Schule soll Reitz damals für eine Projektarbeit alle nicht im Bundestag vertretenen Parteien vorstellen. Nach der mühevollen Arbeit verbietet ihm seine Lehrerin, die Parteiprogramme der rechten Parteien, wie der NPD, seinen Mitschülern zu präsentieren. „Ohne Begründung warf sie die Programme einfach in den Müll. Wie hättet ihr euch damit gefühlt?“, fragt Reitz in die Runde. „Scheiße“, antwortet einer der Schüler. „Genau, ich war verdammt wütend“, stimmt ihm Reitz zu, der sich damals an das Verhalten seines Vaters erinnert gefühlt hatte.
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Reitz bekommt Wertschätzung und Anerkennung von NPD
Aus seiner Wut und Rebellion heraus nimmt Reitz Kontakt zur NPD auf, wird zu einem Treffen in Köln eingeladen. Dort empfangen ihn „ganz normale“ Menschen, die nicht aussehen wie klassische Neonazis, mit Glatze, Bomberjacke oder Springerstiefel. „Sie gaben mir das Gefühl, dass meine Nachfragen, dass meine Meinung etwas wert ist“, erinnert sich Reitz. Neben der vermissten Aufmerksamkeit, Anerkennung und Zuspruch bekommt der 13-Jährige die ersten Verschwörungstheorien mit auf dem Weg.
Der Teenager verinnerlicht früh ein „Wir-gegen-die-Denken“, zählt sich zu den „Guten“, die „Mächtigen“, die „Elite“ und alle politisch Andersdenkenden zu den „Bösen“. „So ein Weltbild ist gefährlich“, sagt Reitz, der schon mit 14 Jahren bereit gewesen ist, Gewalt gegen seine „Gegner“ anzuwenden. Damals hätte er sogar seine eigene Gesundheit für die Nazi-Ideologie geopfert. Wegen Volksverhetzung wird er 2005 zu einem Jahr und neun Monaten Haft verurteilt - danach geht es für den Neonazi so weiter, als ob nichts gewesen wäre.
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Ausstieg wie Trennung von einer Liebesbeziehung
2012 steigen dann nach und nach Zweifel in ihm auf, sein rechtes Weltbild bekommt Risse. „Wir forderten ein hartes Durchgreifen gegen Kriminalität, dabei waren wir selbst die schlimmsten Kriminellen.“ Der von ihm gepredigte Zusammenhalt in der rechtsextremen Szene habe nicht der Realität entsprochen. Seinen Ausstieg vergleicht Reitz mit einer Trennung von einer Liebesbeziehung. „Man belügt sich selbst und versucht, solange es geht, daran festzuhalten.“
Als die Polizei seine Wohnung stürmt und er in U-Haft sitzt, hat Reitz schließlich genug. Er kooperiert mit den Behörden. „Damit wurde ich über Nacht vom ,Hitler von Köln‘ zum ,Judas von Köln‘.“
Das anschließende Ausstiegsprogramm sei die beste Entscheidung seines Lebens gewesen. „Wenn ich es schaffen konnte, vom Neonazi, vom kriminellen Gewalttäter, zum überzeugten Demokraten zu werden, dann könnt ihr das auch“, ermutigt er die Jugendlichen. „Wenn ihr bereit seid, Verantwortung für euer Handeln zu übernehmen, seid ihr nicht gezwungen, für alle Zeiten unter euren Fehlern zu leiden.“
Die Botschaft von Reitz kommt bei einigen Schülern und Schülerinnen an. Ihre Fragen drehen sich viel um das Verhältnis zu seiner Familie, sein Privat- und Berufsleben. Seit 2020 hält Reitz als Referent beim Verein Extremislos Präventionsvorträge und arbeitet als Anti-Gewalttrainer. In einem YouTube-Kanal klärt Reitz über die rechtsextreme Szene auf. Über seine Zeit als Neonazis hat er zudem im vergangenen Jahr ein Buch veröffentlicht.