TExtremwandern: Er möchte Geestland umrunden

Peter von Söhnen bei einem 100-Kilometer-Marsch auf Sylt im Jahr 2022. Foto: sportfotgraf.com
Wanderreisen sind eine beliebte Freizeitaktivität in Deutschland. Für manche ist es jedoch mehr Sport als Urlaub. Peter von Söhnen ist einer von ihnen.
Geestland. „Ich habe hier Elefanten gesehen“, erzählt Peter von Söhnen (61) über eine seiner Wanderungen in Geestland. Welche Substanzen hat der Mann aus Meckelstedt genommen? Keine. Er ist Extremwanderer. Die gesichteten Elefanten in Geestland waren natürlich nicht echt. Peter von Söhnen hat beim Versuch, vier Tage am Stück jeweils 50 Kilometer zu gehen, halluziniert. Grund dafür war ein Schlafentzug von 48 Stunden. Das Projekt hat er deshalb abgebrochen.
Das hält ihn nicht davon ab, seine körperlichen und mentalen Grenzen weiter auf die Probe zu stellen. Am Freitag, 11. Juli, möchte er gemeinsam mit einem Freund im dritten Anlauf die Stadt Geestland ohne Unterbrechung umrunden. Die ausgewählte Strecke umfasst 132 Kilometer, denn Geestland ist durch die vielen einzelnen Orte riesig. Von der Fläche her ist es die elftgrößte Stadt in Deutschland. Geplant sind für die Strecke etwa 30 Stunden.
Die ersten zwei Versuche scheiterten
Der 61-Jährige konnte schon einige Erfolge im Extremsport feiern. Mehrere organisierte 100-Kilometer-Märsche hat er bereits absolviert, unter anderem auf Sylt und in Hamburg. Am Geestland-Projekt ist er bisher gescheitert.
Beide Male hat der Kopf nicht mehr mitgemacht. „Beim zweiten Versuch war ich nach 100 Kilometern gerade im Engel-Café in Ringstedt, dann kam ein Gewitter und dann habe ich den Kampf gegen den Schweinehund verloren“, erzählt von Söhnen.
Die Planung der Strecke bereitet ihm genauso viel Freude wie die Wanderung selbst. Neben dem Engel-Café zählen der Ochsenturm in Imsum, das Fehrmoor und die neue Brücke in Altluneberg zu den Highlights seiner Strecke. „Das sind Sachen, die muss man einfach mitnehmen“, erzählt der Brandschutzsachverständige.
Provinzwerkstatt
T Unberechenbar und wackelig: Mit Onkel Ernst unterwegs auf der Oste
Ursprünglich sollte das Projekt am 21. Juni, der Sommersonnenwende, losgehen. Das ist der längste Tag des Jahres. „Nacht ist gut und schön, aber ich bin am Tag lieber unterwegs“, erklärt er. Sein Mitstreiter ist an diesem Tag verhindert. Startschuss ist deshalb der 11. Juli um 17 Uhr. Die Uhrzeit ist so gewählt, dass der Extremwanderer nach 72 Kilometern bei einem großen Supermarkt haltmachen kann.
Wochenlange Vorbereitung mit Hirschtalg und Schuh-Gewöhnung
Er ist akribisch vorbereitet: Auf dem Weg hat er an mehreren Standorten Wasserflaschen deponiert. „Wenn im Juli die Hitze kommt, wird das ganz wichtig“, sagt der 61-Jährige. Außerdem schmiert er die Füße regelmäßig bereits Wochen zuvor mit Hirschtalg ein. Dadurch werden die Füße geschmeidiger und Blasen werden vermieden. Die Wanderschuhe für das Großprojekt trägt er zudem auch im Alltag, um sich besser daran zu gewöhnen.
Auf der Strecke hat er einen Rucksack dabei. Darin befinden sich neben einer 3-Liter-Trinkblase unter anderem Magnesiumtabletten, Blasenpflaster, Löffel, Honig als Energielieferant und Pellkartoffeln mit Salz. Auch eine Rettungsdecke ist dabei. Sie kam vor zwei Jahren schon einmal zum Einsatz. „Ich war so fertig und habe keine Bank gefunden - dann habe ich mich in die Decke eingewickelt“, berichtet von Söhnen. Auf die Frage, ob er danach weitergemacht hat, meinte er trocken: „Natürlich.“
Um seine Motivation zu erklären, greift er auf ein Zitat von Johann Wolfgang von Goethe zurück: Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen. „Man nimmt die Natur wesentlich intensiver wahr als mit der Bahn oder dem Auto“, erklärt er.
Das scheint nachvollziehbar, aber Rettungsdecke und Halluzinationen zeichnen ein komplett gegensätzliches Bild. Vogelgezwitscher und Blumen am Wegesrand können kaum der Antrieb für die massive körperliche und mentale Belastung eines 100-Kilometer-Marsches sein. Wieso quält man sich so? „Es gibt keine rationale Erklärung“, sagt er.
Die organisierten Märsche kosten zudem noch Geld – etwa 70 Euro. „Andere Leute bekommen Schmerzensgeld, und ich bezahle auch noch dafür“, stellt von Söhnen lachend fest. Das Erfolgserlebnis am Ende spiele für ihn die größte Rolle. „Das ist einfach ein geiles Gefühl“, sagt er.
Frodo als Unterstützer auf einer langen Reise
Um sich von der Belastung auf der Strecke ein wenig abzulenken, greift der 61-Jährige auf Hörbücher zurück. Dabei lauscht er am liebsten den drei Teilen der „Der-Herr-der-Ringe“-Reihe. „Was gibt es Besseres, als Frodo durch die Moore zu begleiten, während man selbst im Moor unterwegs ist?“, erklärt er zufrieden.
Auf der Strecke genießt er die Ruhe. „Ich versuche weitestgehend, wenn ich wandere, Ortschaften zu meiden“, sagt er. In seinem Beruf hat er viel mit Menschen zu tun. In den vergangenen sechs Jahren hat er 720 Schulungen gehalten. Daher genießt er privat gerne die Ruhe der Natur. „Tiere sind mir lieber als Menschen“, macht von Söhnen deutlich. Zusammen mit seiner Frau hat er Katzen und zwei Pferde.
Ehrenamtliche Tätigkeit zeigt Neigung zum Extremen
Der Hang zum Extremen macht sich bei von Söhnen nicht nur beim Wandern bemerkbar. Seit vielen Jahren ist er auch als Storm Chaser aktiv. „Wenn es eine gefährliche Unwetterlage gibt, gehen alle Leute nach Hause und ich fahre raus“, erklärt er. Dabei sammelt und meldet er Unwetterdaten an den Deutschen Wetterdienst.
Damals im Engel-Café, beim zweiten Versuch der Geestland-Umrundung, hat ihn das Gewitter nicht mehr rausgetrieben. Stattdessen hat er ein Stück leckerer Torte gegessen. Die Schwarzwälder Kirschtorte ist in Erinnerung geblieben. Sehr wahrscheinlich war das auch keine Halluzination.