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Gesundheit

TFehlende Medikamente, niedrige Honorare: Die Leiden der Apotheker im Kreis Stade

Gefragte Experten in Sachen Gesundheit: Eine Apothekerin im Gespräch mit einem Kunden.

Gefragte Experten in Sachen Gesundheit: Eine Apothekerin im Gespräch mit einem Kunden. Foto: ABDA/DAV/obs

Die Apotheke als sichere Bank für gute Geschäfte? Dem ist mitnichten so, sagen zwei Apotheker aus dem Landkreis Stade. Im TAGEBLATT-Gespräch zeigt sich ihr aktueller Frust - aber auch die Lust an diesem besonderen Job.

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Von Lars Strüning
Samstag, 23.03.2024, 19:20 Uhr

Landkreis. Da hat sich offenbar in den vergangenen Jahren viel aufgestaut - ähnlich wie bei den Landwirten. Christina Betzler von der Engel-Apotheke in Buxtehude-Hedendorf und Dr. Mathias Grau von der Rats-Apotheke in Horneburg stehen Rede und Antwort.

Die beiden großen Apotheker-Themen, die nicht nur diese beiden umtreibt: die mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, die den Job nachhaltig erschwert, und das Honorar, das sich seit 20 Jahren kaum verändert hat.

Gerade Chefs in kleineren Apotheken jenseits der Großstädte sind schon lange keine Großverdiener im Gesundheitssystem mehr.

Arzneimittel-Mangel - was heißt das für Apotheken und Patienten?

Fehlende Präparate, so Betzler und Grau unisono, sind aktuell das größte Ärgernis. Sind spezielle Arzneimittel nicht zu erhalten, müssen sie auf die Suche gehen, eine adäquate Alternative bestellen, das zudem mit dem Arzt verhandeln, der ein neues Rezept ausstellen muss.

Das kostet Zeit und Nerven, häufig auch in der Telefonschleife, und muss den Patienten vermittelt werden. Die Zusatzvergütung für diesen Service ist auch kein Trost: Sie liegt bei 60 Cent.

Die Kunden muss das weniger stören. Sie werden auf jeden Fall versorgt. Und jetzt kommen auch noch die Querelen rund ums E-Rezept hinzu, wo es noch lange nicht rundläuft.

Christina Betzler: „Wir haben den schönsten Beruf der Welt.“

Christina Betzler: „Wir haben den schönsten Beruf der Welt.“ Foto: Privat

Womit verdienen Apotheker eigentlich ihr Geld?

Immer noch mit der Herausgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten, sagt Grau. 60 Prozent der Menschen komme mit einem Rezept in die Apotheke, andere suchten erst einmal Beratung und nähmen dann frei verkäufliche Mittel. Weitere Produkte von Sonnencremes über Hustenbonbons bis Zahnbürsten spielten nur eine untergeordnete Rolle.

80 Prozent des Umsatzes mache er über Rezepte, sagt Grau. Pro Verpackung bekommen die Apotheker eine Vergütung von 8,35 Euro inklusive der Beratung und drei Prozent vom Einkaufspreis. Zwei Euro gehen bei gesetzlich Versicherten als Zwangsrabatt an die Krankenkassen. Was als Honorar übrig bleibt, ist seit 20 Jahren nahezu unverändert.

Das ist das Bruttoeinkommen der selbstständigen Apotheken

Während Personal- und Energiekosten drastisch gestiegen sind, ist das Apotheker-Honorar hingegen seit 20 Jahren quasi festgeschrieben. Die Apotheker und ihre Interessensverbände fordern eine Erhöhung auf 12 Euro.

Im Bundesdurchschnitt kommen selbstständige Apotheken auf ein Bruttoeinkommen von 162.000 Euro im Jahr. Das sollte wohl zum Leben reichen. „Völliger Schwachsinn“, wiegelt Grau ab.

Der Wert beinhalte auch große Ketten oder den Versandhandel, der den Durchschnittswert in die Höhe treibt. Auch andere Einnahmequellen wie Mieten oder Gehälter der Ehepartner würden hier mit berücksichtigt.

Zwar dürfen sich Betzler und Grau als freie Heilberufler und eingetragene Kaufleute bezeichnen, aber Ein- und Verkaufspreise ihrer Waren sind festgeschrieben.

Dr. Mathias Grau: „Bruttoeinkommen von 162.000 Euro im Jahr? Völliger Schwachsinn.“

Dr. Mathias Grau: „Bruttoeinkommen von 162.000 Euro im Jahr? Völliger Schwachsinn.“ Foto: LAV

Hilft den Apotheken ein zweites Standbein?

Nicht wirklich. Mathias Grau hat in seine Apotheke noch ein Reformhaus integriert. Die Einnahmen seien „nice to have“. Das Reformhaus trage sich, weil Personal in der Apotheke bereits vorhanden ist.

Die Idee, über die Diagnose zur Ernährungsberatung überzugehen, also Apotheke und Reformhaus zu verzahnen, sei allerdings so nicht umsetzbar gewesen.

Christina Betzler setzt auf die homöopathische Schiene, um sich mit diesem Service von anderen Mitbewerbern abzugrenzen. Finanziell sei das eher ein Zusatzgeschäft.

Was sind die Folgen der fehlenden Finanzen?

Immer mehr Apotheken geben auf, viele finden keine Nachfolge, gerade auf dem Land. Studierte Pharmazeutinnen und Pharmazeuten zieht es in die Industrie-Unternehmen, wo sie häufig mehr verdienen, an Wochenenden nicht arbeiten und auch keinen Notdienst schieben müssen.

Nur acht Prozent, so Grau, treten einen Job in der Apotheke an. Bundesweit fiel die Zahl der Apotheken 2023 laut dem „Spiegel“ auf ein neues Rekordtief von 17.571. Das waren mehr als 500 weniger als im Vorjahr.

Für die Apotheker heißt das, häufiger Notdienste zu schieben. Für die Verbraucher heißt das, längere Wege in Kauf zu nehmen. Kommt noch Ärztemangel hinzu, verschiebt sich die Beratungsarbeit weiter in die Apotheken. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker...

Wie weit bedrohen Online-Apotheken die stationären Verkaufsstellen?

Auf Online-Apotheken sind Betzler und Grau naturgemäß nicht gut zu sprechen, denn die verkauften Arzneimittel teilweise unter dem Einkaufspreis. Die stationären Apotheken können da nicht mithalten, verlieren Kundschaft und Umsatz.

Häufig, so Betzler, sitzen die Online-Geschäfte in den Niederlanden, dort zählen die deutschen Regeln nicht. Weil sie nach Deutschland liefern, zählen auch die niederländischen Auflagen nicht. Rechtlich ein Graubereich.

Welche Rolle spielt die Apotheke im Gesundheitswesen?

Eine sehr große, sagen Betzler und Grau voller Überzeugung. Grau nennt die Apotheken einen Leuchtturm in der Daseinspflege, in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Das geschehe flächendeckend und wohnortnah.

Apotheken haben die gesetzliche Pflicht, sieben Tage die Woche je 24 Stunden die Menschen zu versorgen. Um dem zu entsprechen, behelfen sie sich mit den Notdienst-Kreisen.

Wie wichtig Apotheken seien, habe sich auch während der Corona-Pandemie gezeigt. „Wir waren immer da, hatten immer geöffnet, während alles andere geschlossen wurde“, betonen Betzler und Grau.

Woher nehmen die Apotheker ihre Motivation trotz der schwierigen Lage?

„Wir bekommen jeden Tag Zuspruch von unseren Kunden“, sagt Grau. „Weil wir Kümmerer sind, weil die Menschen sich freuen, dass wir vor Ort sind.“ Das gelte nicht erst seit Corona, zu dieser Zeit aber erst recht.

„Wir haben den schönsten Beruf der Welt“, sagt Christina Betzler mit einem Leuchten in den Augen. Grau stimmt ein: „Ich würde es auch noch einmal machen.“ Aber er, selbst im Vorstand des Landesapothekerverbands ehrenamtlich tätig, würde viel früher, viel lauter und viel konsequenter protestieren gegen die in seinen Augen fatalen Entwicklungen in der Gesundheitsbranche.

Gesetzlich versicherte Patientinnen und Patienten zahlen ab dem 18. Lebensjahr in der Regel wie folgt bei verschreibungspflichtigen Medikamenten zu: Bis zu einem Packungspreis von 50 Euro sind es 5 Euro, bis 100 Euro sind es zehn Prozent und ab 100 Euro sind es 10 Euro.

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