TFreiburger Kangals beißen Hündin fast zu Tode und verletzen Besitzerin

Die Schweizer Sennenhündin Helene erlitt schwere Bissverletzungen unter anderem an Hals und Bauch. Eine Wunde am Bauch nässt auch noch nach drei Wochen. Foto: Knappe
Zwei frei laufende Herdenschutzhunde eines Freiburger Schäfers haben einen anderen Hund schwer verletzt und dessen Halterin gebissen: Eine Beißattacke, die das Spannungsfeld um den Schutz von Deichen, Herden, Wölfen und Hundehaltern weiter auflädt.
Freiburg. Vor drei Wochen wurde die Schweizer Sennenhündin der Freiburger Cafébesitzerin Sabine Koopmann am Außendeich von zwei frei laufenden Herdenschutzhunden fast zu Tode gebissen. Helene ist der beliebte Caféhund, der gern die Gäste beschmust. Am 13. Juni wollte Sabine Koopmann gegen 19 Uhr mit der neunjährigen Hündin am Freiburger Außendeich Gassi gehen. Die 67-Jährige stellte ihren Caddy in der Parkbucht hinter dem Radarturm ab. Sie selbst habe gerade am offenen Wagen gesessen und die Schuhe gewechselt, Helene draußen gewartet.
Plötzlich seien zwei frei laufende Kangals aus Richtung Radarturm entlang des Schilffelds auf Helene zugejagt. Die Kangals hätten sofort zugebissen und Helene rund fünf Meter weit in die Bodensenke beim Schilf gezerrt, erzählt Sabine Koopmann. Sie habe um Hilfe geschrien.
„Ich dachte, Helene ist tot“
Unwillkürlich habe sie zunächst versucht, die Tiere von ihrer Hündin zu trennen. Ein sinnloses Unterfangen, sie gab auf: Kangals sind massige Tiere mit extremer Beißkraft. Die 67-Jährige erlitt selbst tiefe Bisswunden in der linken Hand. „Helene hat keinen Laut von sich gegeben, sie hatte sich sofort auf den Rücken gedreht und sich unterworfen. Die beiden haben sie immer weiter malträtiert und hörten nicht auf. Ich dachte, Helene ist tot.“
Junger Mann war Lebensretter
Unerwartete Hilfe kam von einem jungen Mann, der vom Deich herunterfuhr und die Szene offenbar beobachtet hatte. Er setzte einen Notruf ab und griff geistesgegenwärtig nach einer Kiste mit leeren Wasserflaschen, die im Caddy stand. Mit den Flaschen bewarf er die Kangals. Nach der zwölften Flasche hätten die Herdenschutzhunde von Helene abgelassen, erzählt Koopmann. „Er hat Helenes Leben gerettet.“ Sabine Koopmann bittet den jungen Mann, dessen Namen sie nicht weiß, sich zu melden, damit sie sich persönlich bedanken kann.

Einer der Herdenschutzhunde des Freiburger Schäfers, hier auf einer umzäunten Schafsweidefläche, die direkt an den Elberadweg angrenzt. Die Kangals sollen die Schafe vor Wolfsangriffen schützen. Foto: Knappe
Rettungskräfte und Polizei trafen ein, später auch der Schäfer aus Freiburg. Er fuhr Sabine Koopmann und ihre Hündin zum tierärztlichen Notdienst nach Stade. Die Sennenhündin erlitt allein am Hals sechs Einbisse, auch am Bein, außerdem tiefe Wunden am Bauch. Helene blieb zwei Tage in der Arztpraxis. Nachdem Helene versorgt war, brachte der Schäfer Sabine Koopmann ins Elbe Klinikum.
Inzwischen sind drei Wochen vergangen. In der ersten Zeit war die Caféhündin apathisch. Seit wenigen Tagen lebt sie wieder auf, freundlich wie ehedem. Die Wunden heilen, die eine am Unterleib nässt noch immer. Nach zehn Minuten Gassigehen ist sie erschöpft.
Sabine Koopmann konnte ihre linke Hand eine Woche lang nicht benutzen, sie trug eine Gipsschiene. Ihr Café blieb in der Zeit geschlossen. Auch jetzt noch schwillt die Hand zeitweilig sichtbar an und schmerzt. Der Schäfer habe umgehend die erste große Tierarztrechnung bezahlt, berichtet Sabine Koopmann.
Weitere Kosten sind aufgelaufen. Koopmann hat inzwischen einen Anwalt beauftragt - da wird es auch um Schmerzensgeld und Verdienstausfall gehen. Der betroffene Schäfer möchte sich nicht öffentlich äußern - auf Anraten seines Anwalts.
Schäfer: Zaun wurde mutwillig beschädigt
Der Schäfer hat einen Tag nach der Beißattacke Anzeige bei der Polizei erstattet: Unbekannte Täter hätten mutwillig den Elektrozaun, der seine Schafherde und die Herdenschutzhunde absichert, beschädigt. Polizeisprecher Matthias Bekermann bestätigte, dass der Zaun am Tag der Beißattacke an einer Stelle geöffnet war. Der Zaun um die Schafherde markiert für ausgebildete Herdenschutzhunde die Reviergrenze.
Kangals sollen auch kaputten Zaun akzeptieren
Der Freiburger Schäfer arbeitet seit 2018 mit Herdenschutzhunden, um seine Schafe vor Wolfsangriffen zu schützen. Im Frühherbst 2023 äußerte der Schäfer gegenüber dem TAGEBLATT, seine Hunde seien noch nie über den Zaun gesprungen, sie seien auf den Elektrozaun konditioniert. Diese Grenze werde auch dann akzeptiert, wenn der Zaun einmal am Boden liege, sagte der Schäfer damals. Das haben zwei seiner Kangals jetzt nicht getan.

Vor allem an Hals und Unterbauch erlitt Helene, die Hündin der Cafébesitzerin Sabine Koopmann, schwere und tiefe Bissverletzungen. Foto: privat
Sabine Koch, Vorsitzende des Vereins für arbeitende Herdenschutzhunde, sagte, außerhalb ihrer Herde, also außerhalb des Zauns, sollten Herdenschutzhunde sich „neutral“ verhalten - auch gegenüber anderen Hunden. Das werde auch abgeprüft - aber Prüfungen seien eben Momentaufnahmen. Es bestehe die Gefahr, dass es zum Kampf komme, wenn ein Herdenschutzhund rauskomme und mit einem anderen Hund zusammentreffe.
Windhund stirbt 2023 nach Beißerei mit Kangal
Bereits im Oktober 2023 gab es eine tödlich Beißerei zwischen einem Herdenschutzhund des Freiburger Schäfers und einem Windhund, der seinen Verletzungen erlag. Sabine Koopmann hatte mit dem Hundehalter aus Süddeutschland, der zeitweise in Freiburg lebt, Kontakt. Sie sagt, bei diesem Vorfall sei der Kangal-Rüde des Schäfers beteiligt gewesen, den dieser häufig mit nach Hause auf seinen Hof nehme. Dort in der Nähe soll es zu der Beißerei gekommen sein.

Allein am Hals erlitt Helene sechs Bissverletzungen. Foto: Knappe
Die Polizei bestätigte, dass es einen Beißvorfall gegeben hat, bei dem ein Hund starb. Das Kreisveterinäramt habe keine Gefährlichkeit des beteiligten Hundes festgestellt, teilte Landkreis-Pressesprecher Daniel Beneke mit. Die Beißattacke auf Helene werde beim Kreisveterinäramt noch bearbeitet.
Lärmbeschwerden wegen der Bellerei
Frank Griemsmann, Ordnungsamtsleiter der Samtgemeinde Nordkehdingen, sorgt sich: „Unsere Schäfer sind für den Deichschutz extrem wichtig. Wir erwarten aber, dass Herdenschutzhunde so dressiert sind, dass sie keine Gefahr darstellen. Sie dürfen nicht ausbrechen und andere Hunde attackieren.“

Eine der tiefen Wunden am Unterbauch nässt auch noch nach drei Wochen. Foto: Knappe
Tödliche Attacke
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Viele Hundehalter mieden mittlerweile aus Angst den Weg entlang des Deichs, sagt Cafébesitzerin Koopmann. Bei der Gemeinde gibt es des Öfteren Lärmbeschwerden wegen der Herdenschutzhunde, die Passanten, vor allem welche mit Hunden, verbellen und entlang des Herdenschutzzauns lautstark begleiten. Das gehört zum Job der Tiere - potenzielle Angreifer zu verbellen.
Abstand ist am Elbe-Radweg nicht einzuhalten
Warntafeln des Schäfers appellieren an Passanten, Abstand zu halten, die Herdenschutzhunde nicht anzulocken oder zu füttern und eigene Hunde anzuleinen.

Ein Schild warnt Passanten, Abstand von der Weide mit den Herdenschutzhunden zu halten. In Freiburg grenzen die Flächen aber abschnittsweise direkt an den Elberadweg. Foto: Knappe
Das Abstandsgebot ist abschnittsweise kaum einzuhalten: Der vielbefahrene Elberadweg verläuft in Freiburg streckenweise genau neben einer der eingezäunten Schafsweiden mit Herdenschutzhunden. Als Hundehalter würde er Wege entlang von bewachten Schafherden meiden, rät Frank Griemsmann.
Oberdeichgraf: Ein ganz heikles Spannungsfeld
Auch auf Krautsand, wo im Frühjahr ein neuer Schäfer mit Herdenschutzhunden die Deichpflege übernahm, gab es bereits Lärmbeschwerden, weiß Oberdeichgraf Albert Boehlke. „Wir sind hier in einem ganz heiklen Spannungsfeld“, sagt Boehlke. „Die Gesellschaft will den Wolf, aber keine Herdenschutzhunde. Entweder wir geben das Land auf. Den Deich wolfssicher einzuzäunen, das ist nicht hinzubekommen. Die zweite Möglichkeit sind die Herdenschutzhunde. Welche Alternative hat man?“
Sabine Koopmann will mit Helene erst wieder im November an den Freiburger Außendeich kommen, wenn die Schafe und ihre Schutzhunde nicht mehr da sind. Sie hat Angst.