TFünf Beispiele: So steht es um die Energiewende im Kreis Stade

Windkraftanlagen sind ein Herzstück der Energiewende. Sie zu bauen, dauert aber lange. Foto: Jan Woitas/dpa
Wie viel Energie wird im Landkreis verbraucht? Was erlebt der Heizungsbauer beim Kunden vor Ort? Wonach fragen Autokunden? Hier gibt es die Antworten.
Stade. Die Zahlen zum Energieverbrauch sind gigantisch. Deutschlandweit wurden im Jahr 2023 laut Bundesumweltamt 2,2 Milliarden Megawattstunden verbraucht. Die Hälfte geht auf den Wärmebedarf für Industrie und Wohnungen zurück, jeweils ein Viertel wird als Strom und im Verkehr verbraucht. Soll weniger CO2 ausgestoßen werden, muss weniger fossile und mehr regenerative Energie genutzt werden. Doch wie weit ist in der Region die Energiewende?
Öl und Gas haben noch deutlich die Nase vorn
Im Landkreis Stade frisst der Verkehr 34 Prozent, der Strom 20 Prozent und der Wärmebedarf 46 Prozent der Gesamtenergie. Beim selbst erzeugten Strom machten Wind, Photovoltaik und Biomasse 2023 insgesamt 35 Prozent aus. Fast zwei Drittel werden noch aus Erdgas und Erdöl gewonnen. Das liegt zum einen an der ländlichen Struktur mit vielen Gas- und Ölöfen, aber auch an der Industrie, zum Beispiel auf Bützflethersand, die noch auf Gas angewiesen ist. Bundesweit sieht es besser aus: Da ist das Verhältnis fast 50:50.
Marten Knust von den Stadtwerken Stade, dualer Student des Ingenieurwesens an der Hochschule 21 in Buxtehude mit dem Schwerpunkt Gebäudetechnik, hatte während einer Veranstaltung der Klimawerkstatt im Landkreis Stade weitere spannende Zahlen parat. Bei der Energie-Produktion steht der Landkreis Stade gut da. 4900 Photovoltaik-Anlagen, 211 Windkraftanlagen und 93 an Biogasanlagen angeschlossene Blockheizkraftwerke produzieren Strom, Wärme und grünes Gas. Alles Stand 1.Januar 2024.
Genossenschaft
T So wollen Stader und Geester Bürger die Energiewende beschleunigen
Ernüchternd sind die Zahlen im Straßenverkehr. Hier scheint die Klimawende noch nicht angekommen zu sein. Der Verkehr läuft zu mehr als 99 Prozent über fossile Energie und nur 0,63 über Strom. Das heißt: 2023 wurden etwa 75 Millionen Liter Benzin und fast 36 Millionen Liter Diesel verbrannt. Kein Wunder: 78.000 Autos, die im Landkreis zugelassen sind, fahren mit Benzin, 41.000 mit Diesel und nur 3500 sind reine Stromer. 54 Tankstellen stehen 220 Ladesäulen gegenüber.
Landrat Seefried: „Da haben wir noch Luft nach oben.“
Die Wärmeerzeugung wird zu 97 Prozent über fossile Energie sichergestellt, nur 3 Prozent sind regenerativ. Dabei ist zu berücksichtigen, dass 90 Prozent der Energie in der Stadt Stade im Chemie-Park auf Bützflethersand verfeuert wird. Im Bund liegt das Verhältnis bei 81:19. Da hat die Region also noch deutlich Luft nach oben. „Wir haben noch viel zu tun“, sagte Landrat Kai Seefried. Nachzulesen sind die Zahlen auf der Webseite klimawerkstatt-stade.de/.
Professor Nicolei Beckmann von der Hochschule 21 weitete den Blick: Zwei Drittel der Energie, die Deutschland verbraucht, bestehe weiterhin aus Importen. Der Eigenanteil, so Beckmann, sei noch ausbaufähig. Es gibt aber auch gute Nachrichten: 55 Prozent des Stroms sei grün, der CO2-Ausstoß sei um drei Prozent gesunken.
Dennoch mahnte Beckmann: „Da müssen wir deutlich mehr machen, sonst werden wir irgendwann von den Klimafolgekosten überrollt.“ Wenn Deutschland mutig vorangehe, stärke das die Marktposition und damit auch den Export.
Wie schwierig es ist, die Energiewende praktisch umzusetzen, zeigen fünf konkrete Beispiele aus dem Landkreis Stade. Häufig scheitert es am fehlenden Geld oder an der überbordenden Bürokratie.
Beispiel KVG: E-Busse kosten doppelt so viel wie Dieselfahrzeuge
Jan Behrendt ist Geschäftsführer bei der KVG Stade. Sie rüstet ihre Busse von Diesel auf Strom um. Das hat seinen Preis: Ein E-Bus kostet 400.000 Euro, statt 200.000 Euro für die herkömmlichen Fahrzeuge. Davon hat die KVG allein im Landkreis Stade 141.
Vier E-Busse hat die KVG wie berichtet seit Jahresbeginn auf dem Betriebshof in Stade. Ein Fazit mag Jan Behrendt noch nicht ziehen. Die auffällig gelben Busse mit dem Slogan „Der Landkreis Stade steigt ein“ sind im Betrieb, der mit Ladesäulen, Vertaktung, neuer Werkstatt und dem Personal noch optimiert werden müsse. Behrendt sagt: „Das passiert eine Menge, aber es kostet auch eine Menge Geld.“
Beispiel Autohaus Bröhan: E-Autos stark nachgefragt
Michael Bröhan-Schmand vom Autohaus Werner Bröhan kritisiert das E-Auto-Bashing gerade auch in den Medien. Seine Firma mit den Marken Hyundai und Volvo sei seit acht Jahren erfolgreich im E-Automarkt unterwegs. 2024 war fast jedes zweite bei Bröhan verkaufte Hyundai-Fahrzeug ein Stromer. Derzeit seien es sogar 60 Prozent. Dabei sei es derzeit Gift, das Zuschüsse beim Kauf in Aussicht gestellt würden. Das hemme den Absatz, weil die Kunden abwarteten.
Beispiel Wohnstätte Stade: Ist Wohnen mit grüner Energie noch bezahlbar?
Dr. Christian Pape, Vorstand der Wohnstätte in Stade, ist Herr über 2200 Wohnungen in der Stadt. Er macht sich gerade für finanzschwache Haushalte große Sorgen um die Sozialverträglichkeit der Energiewende. Wenn ein Neubau pro Quadratmeter 5000 Euro koste, müssten Mieten von über 20 Euro pro Quadratmeter berechnet werden, so Pape. Das seien Zahlen, die „hätten wir vor zehn Jahren noch für absurd gehalten“.
Top-Thema 2023
T Nordkehdingen und die schwierige Suche nach Photovoltaik-Flächen
Die Wohnstätte will 2045 klimaneutral dastehen. Jetzt werden zwei Quartiere mit gut 400 Wohnungen energetisch saniert. Das kostet die Genossenschaft 28 Millionen Euro. Stand heute. Die Kosten werden sozialisiert, also auf alle Mietverträge verteilt. Pro Quadratmeter muss die Wohnstätte dann 50 Cent pro Monat mehr nehmen. Papes Sorge: „Wir dürfen unsere Mitglieder finanziell nicht überfordern“, sonst ginge die Akzeptanz für die Energiewende verloren. Pape sieht einen Zielkonflikt.
Beispiel Sanitärbetrieb Berg aus Jork: „Energiewende zu Hause“
Timo Berg führt in Jork einen Betrieb für Heizung, Klima und Sanitär. Er kennt die Reaktionen seiner Kunden, wenn er ihnen die Rechnung für den Einbau einer Wärmepumpe aufmacht. Da kommen schnell mal 30.000 Euro zusammen - und weit darüber hinaus. Er propagiert „eine Energiewende zu Hause in kleinen Schritten“. Erst mal die Vorlauftemperatur der Heizung runterfahren, einen hydraulischen Abgleich machen, die Flächen der Heizungen vergrößern oder sich um die Hausdämmung kümmern.
Beispiel Windpark Oederquart: Zehn Jahre von der Idee bis zur Realisierung
Jürgen Goldenstein vom Bürgerwindpark Oederquart ist leidgeprüft. Er kritisiert die Dauer, wenn von der Idee bis zur Realisierung eines Windpark zehn Jahre vergehen, weil 80 Institutionen und bis zu 500 Menschen mitreden bei der Planung. Goldenstein: „Das ist bürokratischer Wahnsinn.“
Wenn die Baugenehmigung endlich vorliegt, bleibt es schwierig. Goldenstein sucht Umspannwerke, aber die hätten eine Lieferzeit von 40 Monaten und kosteten 7 Millionen Euro. Und er sucht Trafos, aber die seien in Deutschland ausverkauft und kosteten inzwischen 2 Millionen Euro. Allein in Nordkehdingen würden 250 Megawatt Strom produziert. Zu gern würde Goldenstein diese Energie direkt an die Industrie auf Bützflethersand verkaufen, die nach grünem Strom dürstet. Das geht aber nicht: Der Strom muss ins große Netz eingespeist werden.
Seefried: Diskussion zu jeder Windenergie-Fläche
Landrat Seefried wies darauf hin, dass der Landkreis 4 Prozent seiner Fläche vorrangig für die Windkraft reservieren will, gefordert sind gesetzlich nur gut 3,6 Prozent. Er sagte: „Die Energiewende funktioniert nur mit den Menschen.“
Seefried sieht einen großen gesellschaftlichen Konsens, den Weg der regenerativen Energien zu gehen. Er erwartet, dass es zu jeder ausgewiesenen Fläche für Windenergie-Anlagen Diskussionen geben wird.
Am Ende zog der Landrat als Schirmherr der Klimawerkstatt Bilanz. Der Staat müsse finanziell helfen, damit die Klimawende ins Laufen komme. Das stärke die Wirtschaft und bringe Deutschland nach vorn. Und auf Zuruf eines Zuhörers während des Klimawerkstatt-Treffens im Kreishaus unterstrich er dessen Aussage: Die Energiewende im ländlichen Raum gelingt nur zusammen mit der Landwirtschaft.
Die Klimawerkstatt im Landkreis Stade gibt es seit zehn Jahren. Sie ist ein eingetragener Verein. Kommunen und Betriebe haben sich hier zusammengeschlossen, um die Energiewende in der Region voranzutreiben. Ziel, so Frank Bünte von den Stadtwerken Stade, sei es auch, durch die Wende Wertschöpfung zu generieren. Bislang habe die Werkstatt 2500 Beratungen durchgeführt, 7000 Schulkinder informiert und etwa 1000 Gäste bei Veranstaltungen begrüßen können.

Treffen der Klimawerkstatt im Stader Kreishaus zum zehnjährigen Bestehen. Netzwerken gehört dazu. Foto: Schmidt/Landkreis Stade

Diskutierten mit spannenden Fakten zur Energiewende in der Region Stade (von links): Nicolei Beckmann, Jan Behrendt, Timo Berg, Michael Bröhan-Schmand, Jürgen Goldenstein, Christian Pape und Kai Seefried. Foto: Schmidt/Landkreis Stade