Zähl Pixel
Wirtschaft

TGebäude nach Co.Net-Skandal versteigert: Auktion wird zum Krimi

Zwangsversteigerung: Ob das Co.Net-Gebäude einen neuen Eigentümer hat, hängt jetzt von der Gemeinde Drochtersen ab.

Zwangsversteigerung: Ob das Co.Net-Gebäude einen neuen Eigentümer hat, hängt jetzt von der Gemeinde Drochtersen ab. Foto: Klempow

Diese Zwangsversteigerung ist besonders. Im Amtsgericht geht es um das Bürogebäude der skandalträchtigen Co.Net-Verbrauchergenossenschaft in Drochtersen. Am Ende erhält einer den Zuschlag - und muss trotzdem noch warten, ob es tatsächlich ihm gehört.

author
Von Grit Klempow
Samstag, 09.03.2024, 11:15 Uhr

Drochtersen. Im Gerichtssaal 209 des Stader Amtsgerichts haben sich am Donnerstagmorgen knapp zwei Dutzend Menschen eingefunden. Es geht um ein Grundstück in der Gemeinde Drochtersen, genauer gesagt in Nindorf, Deichfeld.

Es geht um Gebäude- und Freifläche - Gesamtgröße 2592 Quadratmeter: Das Bürogebäude der Co.Net kommt unter den Hammer. 1,39 Millionen Euro ist es laut Gutachter wert.

Rechtspfleger Jens Tudyka leitet die Versteigerung. Unten im Saal zu seiner Linken haben zwei Parteien Platz genommen, denen Co.Net auch viel Geld schuldet: Vertreter der Commerzbank sowie Drochtersens Rathaus-Spitze mit Bürgermeister Mike Eckhoff und seinem Stellvertreter Marcus Pritsch.

Ihnen gegenüber sitzen zwei Vertreter des Finanzamts Stade - auch die Staatskasse bekommt noch Geld von Co.Net - und das nicht zu knapp: 1,46 Millionen plus Säumniszuschläge.

Gemeinde treibt Versteigerung voran

Antreiberin hinter der Zwangsversteigerung ist aber die Gemeinde Drochtersen. Sie hat sich 2022 eine Zwangssicherungshypothek auf den Firmensitz am Nindorfer Deichfeld eintragen lassen. Co.Net ist Gewerbesteuern schuldig geblieben.

Insgesamt ungefähr 2,6 Millionen Euro für die Jahre 2018 und 2019. Vorrang auf der Gläubigerliste hat aber die Commerzbank, die noch vor der Gemeinde dran ist. 300.000 Euro sind als Gundschuld eingetragen, inklusive aller Zinsen hat die Bank 542.000 Euro angemeldet.

Rechtspfleger Jens Tudyka fragt nach weiteren Ansprüchen. Der Commerzbank-Anwalt legt noch mal 350 Euro weitere Vollstreckungskosten obendrauf. Bescheiden ist der Deichverband Kehdingen-Oste: Er macht die Jahresbeiträge 2023 und anteilig von 2024 geltend - insgesamt 180 Euro.

Die Co.Net-Schriftzüge auf dem Firmenschild sind nur noch als Schattierung zu erkennen. Grundstück und Gebäude kamen jetzt bei einer Zwangsversteigerung unter den Hammer.

Die Co.Net-Schriftzüge auf dem Firmenschild sind nur noch als Schattierung zu erkennen. Grundstück und Gebäude kamen jetzt bei einer Zwangsversteigerung unter den Hammer. Foto: Klempow

Die Immobilie wird lastenfrei veräußert, das Gutachten zum Verkehrswert liegt griffbereit vorn bei Tudyka. Wer will, kann es noch durchblättern und spontan zugreifen. Der Eigentümerwechsel erfolgt „kraft Zuschlag“.

„Das heißt, Sie müssen selber wissen, ob sie das Objekt ersteigern“, so Tudyka. Die Zuschlagsgebühr sei jedenfalls günstiger als ein Notarvertrag, „und Sie müssen auch keine Maklergebühren zahlen“, sagt er augenzwinkernd.

Schnäppchenjäger im Gerichtssaal

Impuls- oder Spontankäufe sind bei Millionen-Objekten eher selten. Um 9.17 Uhr eröffnet Tudyka die Bietzeit. Die dauert mindestens eine halbe Stunde. Bieter müssen sich ausweisen und eine Sicherheit leisten, in der Regel zehn Prozent des Verkehrswertes.

In diesem Fall also etwa 130.000 Euro. Zwei Interessenten haben diese vorab hinterlegt. Ein anderer kramt lässig einen Verrechnungsscheck seiner Hausbank aus der Jackentasche und schlendert nach vorne zu Tudyka. Der schick beschuhte Immobilien-Investor ist eindeutig erfahrener Schnäppchenjäger bei Zwangsversteigerungen. Andere wirken dagegen angespannt.

Von 7/10 sind wir ja noch ein büschen weg.

Jens Tudyka

Strenge Regeln

Die Versteigerung folgt strengen Regeln. Bei diesem ersten Termin gilt die 7/10-Grenze. Die hat sich die Gemeinde Drochtersen als Gläubigerin gesichert. Damit kann sie den Zuschlag versagen, wenn nicht mindestens 70 Prozent des Verkehrswertes erreicht werden.

Für das Co.Net-Gebäude sind das 973.000 Euro. Die Gemeinde will damit verhindern, dass die Immobilie zum Schleuderpreis den Besitzer wechselt. „Wenn Sie also weniger bieten, müssen Sie mit Herrn Eckhoff verhandeln“, sagt der Rechtspfleger zu potenziellen Bietern.

Der Immobilienprofi legt mit 700.000 Euro das erste Gebot vor. Zwei weitere erhöhen auf 720.000 und 740.000 Euro. Bei 760.000 Euro macht Tudyka Mut, noch ein bisschen was drauf zu legen. „Wir müssen doch auch an die Gemeinde denken“, sagt er. Der Profi erhöht auf 780.000 Euro.

„Dann ist aber auch Schluss“, sagt er halbherzig. Nummer 2 ist raus, auf 790.000 geht Bieter Nummer 3, ein Unternehmer aus Drochtersen, mit. „Von 7/10 sind wir ja noch ein büschen weg“, ermuntert der Rechtspfleger. „Einer geht doch noch“, sagt der Profi - 800.000 Euro. Seinem Nachbarn raunt er zu: „Das ist eine Spezialimmobilie, die ist nicht so einfach.“

Zuschlag an Unternehmer

Für eine kurze Beratung zieht sich indes die Gemeinde zurück: Eckhoff, Pritsch und Ratsmitglied Cornelius van Lessen bekakeln auf dem Flur, wie sie mit der Situation umgehen. Derweil erhöht der Drochterser Unternehmer im Saal auf 810.000 Euro - es ist ihm ernst. Die Bietzeit neigt sich dem Ende. Dem Profi scheint die Spezialimmobilie dann doch zu speziell. Er tritt zum bisherigen Konkurrenten: „Ich steh euch nicht im Weg.“

Rechtspfleger Tudyka hat Erfahrung und ein gutes Gespür, hier wird nicht mehr viel passieren: „810.000 Euro zum ersten - bietet jemand mehr?“ Auch bei der dritten Nachfrage gibt es kein weiteres Gebot - der Drochterser bekommt den Zuschlag.

Bank offenbar zufrieden

Aber ob er damit auch einen neuen und größeren Firmensitz hat, steht noch nicht fest. Tudyka beendet die Bietzeit um 9.48 Uhr. Die Commerzbank als Gläubigerin erteilt sofort den Zuschlag - sie sieht bei diesem Betrag ihre Schuld-Schäfchen im Trockenen.

Aber hält die Gemeinde an der 7/10-Grenze fest? Die ist schließlich nicht erreicht worden. „Wir brauchen eine Frist, um das in den entsprechenden Gremien zu beraten“, begründet Bürgermeister Mike Eckhoff und bittet um Vertagung der Entscheidung über den Zuschlag.

Politik muss abwägen

So kommt es. Bis zum anberaumten Termin am 27. März in Tudykas Büro muss die Gemeinde sich entscheiden: Bekommt der Drochterser Unternehmer den Zuschlag oder versucht die Kommune über ihr Veto und einen zweiten Termin mehr Geld herauszuholen? Macht es Sinn, auf die 70 Prozent zu pochen oder doch einen ortsansässigen Steuerzahler in dem Gebäude zu wissen?

Eine weitere Option: Die Gemeinde könnte auch selbst noch mitbieten, damit die Immobilie nicht zu günstig unter den Hammer kommt. Dann bräuchte sie aber einen Plan, was mit dem Gebäude - immerhin eine Spezialimmobilie - passieren soll. Zumal noch unklar ist, wie das vorläufige Insolvenzverfahren der Co.Net läuft und welche Insolvenzmasse sich ergibt. „Tja“, sagt Mike Eckhoff. „Das wird jetzt der Abwägungsprozess in der Politik.“

Weitere Artikel