Zähl Pixel
Dunkles Geheimnis

TGewalt und Missbrauch: Erschütternde Briefe von Pflegekindern entdeckt

Auf dem Dachboden des Pfarrhauses in Elsdorf sind Kartons mit alten Briefen gefunden worden. Darin schildern Kinder, wie es ihnen in den Pflegefamilien geht. Und das ist nicht immer Gutes. Es geht auch um sexualisierte Gewalt.

Auf dem Dachboden des Pfarrhauses in Elsdorf sind Kartons mit alten Briefen gefunden worden. Darin schildern Kinder, wie es ihnen in den Pflegefamilien geht. Und das ist nicht immer Gutes. Es geht auch um sexualisierte Gewalt. Foto: Harder-von Fintel

Ein dunkles Geheimnis schlummerte Jahrzehnte auf dem Dachboden des Pfarrhauses in Elsdorf. Kinder aus Pflegestellen schildern in Briefen, dass ihnen Gewalt angetan wird - auch sexualisierte. Welche Dimension das Ganze hat, ist noch unklar.

Von Kathrin Harder-von Fintel Montag, 23.09.2024, 12:40 Uhr

Elsdorf. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden vielfach Heimkinder in Pflegestellen untergebracht und haben dort oft Vernachlässigung, physische, psychische und sexualisierte Gewalt erlebt, erzählt Pastor Benjamin Simon-Hinkelmann, Pressesprecher der Landeskirche Hannovers im Gespräch mit der „Zevener Zeitung“. In den 1950er und 1960er Jahren hat auch die Pestalozzi-Stiftung aus Burgwedel Kinder und Jugendliche in Pflegestellen auf Gehöften oder in Handwerksbetrieben in Elsdorf und Umgebung untergebracht. Dies geschah in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Pfarramt der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde. Dem Kirchenkreis Bremervörde-Zeven, zu dem die Kirchengemeinde Elsdorf gehört, und der Landeskirche Hannovers liegen neue Hinweise vor, dass aus der Heimunterbringung vermittelte Kinder und Jugendliche in jener Zeit Gewalt und auch sexualisierte Gewalt in den Pflegestellen erlitten haben, erklärt Simon-Hinkelmann. „In einem Fall richten sich Beschuldigungen, die in den Bereich der sexualisierten Gewalt fallen, gegen einen Mitarbeiter, der im genannten Zeitraum in der Kirchengemeinde Elsdorf tätig gewesen ist.“

Im Jahr 2014 hatte bereits eine betroffene Person einen Antrag auf Anerkennungsleistungen wegen der Erfahrung sexualisierter Gewalt durch einen kirchlichen Mitarbeiter in Elsdorf gestellt. Der Beschuldigte war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben, erzählt der Sprecher der Landeskirche. Nach Prüfung auf Plausibilität der geschilderten Missbrauchserfahrungen sprach die unabhängige Anerkennungskommission für das erfahrene Unrecht der betroffenen Person eine Anerkennungsleistung zu. In solchen Fällen werden Beträge zwischen 5000 und 50.000 Euro an Betroffene gezahlt, lässt er auf Nachfrage wissen.

Akten im Pfarrhaus Elsdorf gefunden

Weitere Hinweise auf sexualisierte Gewalt erhielten die entsprechende Fachstelle der Landeskirche Hannovers und der Kirchenkreis im Februar 2024. Nach Funden von Akten im Pfarrhaus in Elsdorf im Juli und September 2024 haben Mitarbeiter der Landeskirche jetzt Teile der Akten gesichtet. „Sie enthalten Dokumente und Daten von Kindern und Jugendlichen, die in den 50er und 60er Jahren in Pflegestellen vermittelt worden sind. Die Akten umfassen auch Briefe der Jugendlichen, die sie an einen kirchlichen Mitarbeiter in Elsdorf geschickt haben. Darin schildern einige von ihnen auch unterschiedliche Gewalt- und Missbrauchserfahrungen in ihren Pflegestellen“, erzählt Pastor Benjamin Simon-Hinkelmann. „Die Sichtung der Akten ist noch nicht abgeschlossen, die genannten Erkenntnisse sind ein Zwischenergebnis, die das Leid dieser Kinder noch nicht vollständig benennen können.“

Superintendent Carsten Stock ist erschüttert

Carsten Stock, Superintendent im Kirchenkreis Bremervörde-Zeven, zeigt sich im Gespräch mit der Redaktion bestürzt über den Fund der Dokumente in Elsdorf. „Es erschreckt mich zutiefst, was Kinder und Jugendliche offenbar in der Nachkriegszeit an Gewalt und sexualisierter Gewalt in Elsdorf erlitten haben. Dass ein kirchlicher Mitarbeiter von den Vorgängen offenbar Kenntnis hatte und es den Verdacht gibt, dass er selbst sexualisierte Gewalt gegenüber einer jugendlichen Person begangen hat, finde ich furchtbar. Die Hinweise, die uns vorliegen, nehmen wir sehr ernst und gehen ihnen konsequent nach“, kündigt er an. Der Superintendent bittet betroffene Personen, sich bei externen Meldestellen, bei der Fachstelle der Landeskirche oder auch beim Kirchenkreis zu melden. Dort wird dann die nötige Unterstützung vermittelt.

Der Kirchenkreis bittet auch alle, die weitere Hinweise auf die Taten geben können, sich zu melden. Die Hinweise werden dann in ein Aufarbeitungsprojekt einfließen, heißt es vonseiten der Landeskirche. Auch der Vorstand der Pestalozzi-Stiftung ist entsetzt. „Es ist für uns heute unvorstellbar, dass die Verantwortlichen der damaligen Zeit, im Rahmen ihrer Vermittlung und Begleitung, den Vorwürfen von Gewalt und sexualisierter Gewalt nicht nachgegangen sein sollen und diese Gewalt vielleicht sogar tolerierten“, erklärt Vorstand Sebastian Bernschein.

Meldestellen für Betroffene

Betroffene oder Hinweisgeber können sich an die folgenden kirchlichen und nicht kirchlichen Meldestellen wenden:

Fachstelle Sexualisierte Gewalt der Landeskirche Hannovers, Telefon: 0511/1241299, www.praevention.landeskirche-hannovers.de

Kirchenkreis Bremervörde-Zeven, Superintendent Carsten Stock, Telefon: 04761/2383, E-Mail: sup.bremervoerde@evlka.de, www.kkbz.de/Kirchenkreis/Superintendentur

Wildwasser-Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt, Telefon: 04261/2525, Mobil: 0176/55699458, www.wildwasser-rotenburg.de

Zentrale Anlaufstelle HELP - Hilfe für Opfer von Missbrauch in Kirche und Diakonie, Telefon: 0800/5040112, www.anlaufstelle.help

Hilfeportal sexueller Missbrauch der unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM): Telefon 0800/2255530, www.hilfe-portal-missbrauch.de/startseite

Weitere Artikel