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Interview

THSV-Kultkicker Charly Dörfel über seine Karriere und sein Clown-Image

Charly Dörfel.

Charly Dörfel. Foto: Ertel

In seiner Hausbar im Stader Nachbarkreis sind die Wände zugepflastert mit Erinnerungen: Trikots, Plakate, Fotos, Auszeichnungen - Zeugen einer großen Karriere. Hausbesuch bei HSV-Legende Charly Dörfel.

Sonntag, 22.09.2024, 11:50 Uhr

Dörfel empfängt das TAGEBLATT in einer schattigen Ecke im Garten zum Gespräch, das bei hochsommerlichen Temperaturen fast so schwerfällt, wie 90 Minuten auf dem Platz.

TAGEBLATT: Die Frage muss sein: Wird der HSV in diesem Jahr endlich aufsteigen?

Charly Dörfel: Ich hoffe es natürlich und würde es dem Verein sehr wünschen, es wird einfach Zeit. Aber ich bin doch ein bisschen unsicher und glaube es eher nicht. Der HSV scheint mir einfach immer noch zu schwankend in seiner Leistung.

Was hat der HSV in den vergangenen Jahren aus Ihrer Sicht falsch gemacht?

Wenn ich das so genau wüsste. Es war ja jede Saison irgendwie immer wieder das Gleiche: Die Mannschaft war nie so dominierend, wie ich es erhofft hatte und wie man es von den jeweiligen Kadern eigentlich auch erwarten konnte. Die Leistungen waren einfach zu wackelig, das muss diese Saison unbedingt konstanter werden.

Sie waren der erste Kult-Kicker der Bundesliga. Bedauern Sie manchmal, dass Ihre Fußballkarriere einige Jahrzehnte zu früh begann?

Das war sicher ein bisschen früh, aber nun mal nicht zu ändern. Ich habe die Situation damals einfach so angenommen, wie sie sich mir bot. Trotzdem habe ich mich nicht immer ganz zufrieden gefühlt. Wir hätten mit unserer Mannschaft in den Sechzigerjahren mehr erreichen können als einmal Deutscher Meister 1960 und einmal Pokalsieger 1963. Ich hatte eigentlich erwartet und fest damit gerechnet, dass wir etwas mehr aus unseren Möglichkeiten machen. Wir hätten auch damals schon etwas konstanter sein können und entwicklungsfähiger. Ich habe zusammen mit einigen anderen Spielern ein Leistungsniveau auf hoher Stufe garantiert, aber das hat nicht immer geholfen. Das war schade.

Der HSV zahlte 1958 eine Ablöse von 3000 Mark an ihren Jugendverein SV Polizei Hamburg - wer hat das Geld bekommen, was ist damit passiert?

Ein ehemaliger Mitspieler hat mir mal erzählt, dass Polizei Hamburg damit den besten Kegelabend für den Verein finanziert habe. Aber genau weiß ich das nicht. Der ganze Wechsel wurde ja intern in meiner Abwesenheit geregelt und entschieden.

Als Straßenfußballer haben Sie in Altona mit ein paar Kumpels einen eigenen Straßenfußballclub gegründet und ihn FC Lessing getauft. Woher kam der Name?

Das war relativ naheliegend. Wir waren die Mannschaft der Lessingstraße in Altona-Altstadt, wo heute nur noch der Lessingtunnel geblieben ist. Deshalb hatte ich mich für den Namen entschieden. Wir haben damals, das waren ja die Fünfzigerjahre, gegen andere Straßenmannschaften gespielt wie in einer kleinen internen Meisterschaft. Und wir waren ziemlich gut.

Der frühere HSV-Trainer Günter Mahlmann ist dort auf Sie aufmerksam geworden. Wäre so etwas heutzutage noch denkbar?

Nein, das war ungewöhnlich und eigentlich wohl einmalig, aus einer Straßenmannschaft in den Blickpunkt eines großen Vereins zu rücken. Es gab ja auch andere Spieler unter uns, die ähnliches Glück hatten. Harry Bähre gehörte dazu, der später beim HSV in der Bundesliga den Spielerpass mit der Lizenznummer 001 bekam, Hubert Stapelfeldt oder auch mein Bruder Bernd. Mahlmann hat mich dann in einem Spiel von Polizei Hamburg ausgerechnet gegen die HSV-Amateure gesehen und spontan zu meinem Vater gesagt: Der muss zu uns kommen.

Da waren Sie 19 Jahre alt und sollten eigentlich Ihrem Vater Friedo zum VfB Lübeck folgen. War Ihnen Ihr Vater deshalb nicht auf ewig gram?

Ich weiß nicht, wie gram er innerlich vielleicht tatsächlich war. Aber er war natürlich enttäuscht. Denn er trainierte damals ja den VfB Lübeck und wollte mich in seinem Team haben. Aber er hat das letztlich respektiert und eingesehen, dass ich beim HSV mehrere Freunde hatte.

Wann haben Sie eigentlich den Spitznamen „Charly“ bekommen und warum?

Das hatte wohl mit der Comic-Figur Charlie Brown und dessen Hund Snoopy zu tun, der immer nur Unsinn machte. Und mit meiner Liebe für Zirkusclowns. Ich war immer gerne lustig und ein kleiner Spaßvogel, hatte manchmal auch ein etwas loses Mundwerk. So hat sich der Spitzname entwickelt, in der Familie, unter Freunden.

Sie waren bekannt für kesse Sprüche, haben später während Erstliga-Spielen am Rothenbaum mit Zuschauern geschnackt oder mit dem Schiedsrichter rumgealbert und sind dafür auch schon mal vom Platz geflogen. War das immer ganz spontan oder haben Sie sich auch ein bisschen inszeniert?

Das war von jedem etwas. Ich hatte ja früh Beziehungen zu einem kleinen Straßenzirkus und habe da manchmal geholfen, auch bei kleinen Auftritten. Das hat mir Spaß gemacht. Ich mochte Clowns wie Charlie Rivel, der mal gesagt hat: „Jeder Mensch ist ein Clown, aber nur wenige haben den Mut, es zu zeigen“. Und ich war eben als Mensch und Sportler ein etwas anderer Typ, bekannt für meine Lustigkeit, manchmal auch etwas vorlaut und hatte schnell den Stempel als Clown weg. Das musste ich dann akzeptieren und habe die Nummer ein bisschen mitgespielt. Ich hatte einfach meine eigene Art und wollte den Fußball nicht ganz so ernst nehmen, sondern lieber mit etwas Flachs und Spaß. Der Name Charly spielte dann eine immer größere Rolle und wurde mein Markenzeichen.

Warum hat Bundestrainer Sepp Herberger Sie 1962 nach elf sehr erfolgreichen Länderspielen aussortiert - waren Sie ihm zu unangepasst?

Sepp Herberger war ein hervorragender Trainer und sehr qualifiziert. Aber er war auch ein Mann der Sachlichkeit. Und er war mächtig, man konnte ihn schlecht kritisieren. Ich habe mich damals leistungsmäßig nicht nur angeboten, sondern geradezu aufgedrängt. Auch durch super Kritiken in den Zeitungen. Er mochte mein Spiel, aber er wollte wohl menschlich lieber andere Typen in der Mannschaft. Durch mein alltägliches Benehmen passte ich nicht in sein System und ich bin dann in die zweite Reihe gerutscht.

Hat Ihr Vater nicht manchmal gesagt, mensch Charly, halt doch einfach mal den Rand?

Mein Vater Friedo war auch sehr sachlich, er war ja Trainer und Sportlehrer. Der hat natürlich gewusst und gesehen, dass man so nicht weiterkommt in seiner Karriere und hat auch mal gesagt, halt doch mehr die Klappe. Ich habe das wohl zu oft verdrängt. Und als ich mich verändert habe, war es zeitlich vielleicht zu spät. Mein Bruder Bernd, der ja auch für Deutschland spielte, war da ganz anders, so wie mein Vater. Ich bin wohl ein bisschen aus der Art geschlagen.

Wäre die Karriere Ihres kongenialen Sturmpartners Uwe Seeler ohne Ihre Flanken überhaupt möglich gewesen?

Darüber habe ich oft nachgedacht. Denn ich war ja der ideale Zulieferer für Uwe. Nicht ohne Grund haben die Fans damals gesungen „Charly schießt die Flanke und Uwe köpft sie rein“. Ich habe als Flügelstürmer alle Voraussetzungen mitgebracht, habe immer vorneweg gespielt und gehörte in den Fokus der höchsten Leistungsklasse. Aber vielleicht bin ich, anders als Uwe, auch zu oft zu weit gegangen. Dazu gehörte eben, dass ich vieles sagte ohne lange zu überlegen, ob das in jedem Fall richtig oder angebracht war. Ich habe oft nicht verstanden, warum das nicht so gut ankam.

Fühlen Sie sich manchmal als eigentlicher Erfinder der Bananenflanke, die Ihrem späteren HSV-Kollegen Manfred Kaltz zugeschrieben wird?

Ja, das bin ich wohl. Aber Manni hat sich vielleicht besser verkauft und im entscheidenden Moment mal den Mund gehalten. Aber so ist es nun mal. Ich war bei den Zuschauern beliebt, habe aber auch manche Nachteile erfahren und bin in meiner internationalen Karriere deshalb vielleicht ein Stück weit gescheitert.

Immerhin sind Sie als einer der ersten deutschen Spieler ins Ausland gewechselt und dann gleich nach Südafrika und später nach Kanada, was damals sehr ungewöhnlich war.

Deshalb bin ich unter dem Strich wirklich zufrieden. Ich habe im Ausland viel gelernt, andere Sprachen und Lebensweisen, viele Erfahrungen gesammelt. Ich habe gutes Geld verdient, konnte genug auf die Seite legen und war in meinem Leben immer sparsam. Kaufmännisch und finanziell bin ich gut zurechtgekommen, ich habe alle Voraussetzungen erfüllt, um ein sauberer Kaufmann und qualifizierter Fußballer gewesen zu sein.

Gab es eine Entscheidung, die Sie in der Rückschau sportlich als größten Fehler bezeichnen würden?

Ich hatte alle Möglichkeiten, auch ins Ausland zu gehen und zum Beispiel Karriere in Italien machen zu können. Es gab einige italienische Klubs, die hinter mir her waren, es gab ein sehr konkretes Angebot. Ich habe den Schritt aber einfach nicht gemacht, weil wohl die Treue zum HSV eine zu große Rolle spielte. Da waren Uwe und ich uns sehr ähnlich.

Der HSV ist …

… mein Verein, mein Leben lang. Die ganze Familie war immer schon HSV, das hat sich auch nicht geändert.

Den Aufstieg des FC St. Pauli finde ich …

… großartig, denn ich war früher mal heimlicher Anhänger und hatte sogar mal ein Angebot ans Millerntor zu wechseln. Aber das machte man als HSVer nicht.

Das beste Sturmduo des deutschen Fußballs …

… war Dörfel/Seeler, so wird von vielen behauptet, und das kann man wohl auch sagen. Aber es gab auch andere gute, wie Abramczik/Fischer.

VAR-Schiedsrichter im Fußball …

… sind manchmal wichtig, aber auch nervig.

Zur Person

Gert Dörfel entstammt wie sein Sturmpartner Uwe Seeler einer echten HSV-Fußballdynastie. Vater Friedo Dörfel spielte in den Dreißigern und Vierzigern 15 Jahre für den HSV und zweimal in der Nationalmannschaft. Bruder Bernd absolvierte 139 Spiele mit der Raute auf der Brust und 15 im Nationalteam. Onkel Richard war Ehrenspielführer des HSV.

Dörfel gilt mit seinen unwiderstehlichen Flankenläufen und Maßflanken bis heute als vielleicht bester Linksaußen des deutschen Fußballs und kongenialer Sturmpartner von Uwe Seeler. Für den HSV schoss er in 438 Ligaspielen 143 Tore.

Mit seinen Späßen und Clownerien auf und am Rande des Platzes erwarb er sich früh den Spitznamen „Charly“, stand sich als extrovertierter Spaßvogel einer ganz großen internationalen Karriere aber selbst auch immer etwas im Weg. So brachte er es trotz großer Leistungen nur auf elf Länderspiele.

Er schoss 1963 das erste Bundesliga-Tor des HSV und den ersten Hattrick der neuen Spielklasse überhaupt. 1965 brachte er noch vor Franz Beckenbauer und anderen Fußballgrößen eine Schallplatte auf den Markt: „Erst ein Kuss“/“Das kann ich dir nie verzeih‘n“.

Am 18. September feierte Dörfel seinen 85. Geburtstag, er lebt mit seiner Frau Lidia am Hamburger Stadtrand in Seevetal-Meckelfeld (Landkreis Harburg).

Zur Person

Gert Dörfel entstammt wie sein Sturmpartner Uwe Seeler einer echten HSV-Fußballdynastie. Vater Friedo Dörfel spielte in den Dreißigern und Vierzigern 15 Jahre für den HSV und zweimal in der Nationalmannschaft. Bruder Bernd absolvierte 139 Spiele mit der Raute auf der Brust und 15 im Nationalteam. Onkel Richard war Ehrenspielführer des HSV. Dörfel gilt mit seinen unwiderstehlichen Flankenläufen und Maßflanken bis heute als vielleicht bester Linksaußen des deutschen Fußballs und kongenialer Sturmpartner von Uwe Seeler. Für den HSV schoss er in 438 Ligaspielen 143 Tore. Mit seinen Späßen und Clownerien auf und am Rande des Platzes erwarb er sich früh den Spitznamen „Charly“, stand sich als extrovertierter Spaßvogel einer ganz großen internationalen Karriere aber selbst auch immer etwas im Weg. So brachte er es trotz großer Leistungen nur auf elf Länderspiele. Er schoss 1963 das erste Bundesliga-Tor des HSV und den ersten Hattrick der neuen Spielklasse überhaupt. 1965 brachte er noch vor Franz Beckenbauer und anderen Fußballgrößen eine Schallplatte auf den Markt: „Erst ein Kuss“/“Das kann ich dir nie verzeih’n“. Am 18. September feierte Dörfel seinen 85. Geburtstag, er lebt mit seiner Frau Lidia am Hamburger Stadtrand in Meckelfeld.

Der HSV ist …

… mein Verein, mein Leben lang. Die ganze Familie war immer schon HSV, das hat sich auch nicht geändert.

Den Aufstieg des FC St. Pauli finde ich …

… großartig, denn ich war früher mal heimlicher Anhänger und hatte sogar mal ein Angebot ans Millerntor zu wechseln. Aber das machte man als HSVer nicht.

Das beste Sturmduo des deutschen Fußballs …

… war Dörfel/Seeler, so wird von vielen behauptet, und das kann man wohl auch sagen. Aber es gab auch andere gute, wie Abramczik/Fischer.

VAR-Schiedsrichter im Fußball …

… sind manchmal wichtig, aber auch nervig.

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