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Landgericht

T„Habe meinen Sohn behindert gemacht“: Vater gesteht in Stade Misshandlung

Beim ersten Verhandlungstag gab der Angeklagte detaillierte Einblicke in die Ereignisse und seine persönlichen Kämpfe. (Symbolbild)

Beim ersten Verhandlungstag gab der Angeklagte detaillierte Einblicke in die Ereignisse und seine persönlichen Kämpfe. (Symbolbild) Foto: dpa-Bildfunk

Es sind erschütternde Aussagen vor dem Landgericht. Weil er mit dem Baby überfordert und auf Drogen war, soll ein 24-Jähriger aus dem Kreis Cuxhaven sein Kind zu einem Pflegefall geschüttelt haben.

Von Lennart Keck Mittwoch, 06.11.2024, 10:45 Uhr

Stade. Vor dem Landgericht Stade fand der erste von zunächst sechs Verhandlungstagen statt, an denen sich ein 24-Jähriger wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und schwerer Körperverletzung verantworten muss.

Am 1. November vergangenen Jahres soll er seinen erst zweieinhalb Monate alten Sohn heftig geschüttelt haben, wodurch dieser unter anderem ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, eine Netzhauteinblutung und einen Schienbeinbruch erlitt. Äußerlich habe das Kind Hautunterblutungen an der Stirn und am Brustkorb aufgewiesen. Noch am Tattag wurde das Kind auf der Intensivstation behandelt. Die gemessenen Hirnströme waren stark abgeflacht - die Aktivität war nur noch wenig höher als beim Hirntod. Das Ergebnis: Sein Sohn wird für immer ein Pflegefall sein.

Angeklagter gesteht in einer E-Mail an seine Anwältin

„Es ist ein schreckliches Geschehen“, beginnt die Anwältin des Angeklagten ihre Äußerung auf die Anklage und ergänzt: „Es trifft aber leider genau so zu, wie es verlesen wurde.“ Dann liest sie eine E-Mail vor, die sie von ihrem Mandanten erhalten hat. „Ich war zu dumm und zu naiv, ich hätte gleich die Wahrheit zugeben sollen“, beginnt der Angeklagte seine E-Mail.

Eigentlich habe der 1. November ganz gut begonnen, erzählt er. Seine Freundin sei mit ihrer Mutter unterwegs gewesen und habe den Säugling mit dem 24-Jährigen allein gelassen. Ein Foto, das der Angeklagte seiner Freundin schickte, soll zeigen, wie sie am Morgen noch gemeinsam Spaß hatten.

Angeklagter war auf Kokain während der Tat

„Dann kam das Suchtverlangen.“ In unregelmäßigen Abständen habe er, wohl auch gemeinsam mit seiner Freundin, verschiedene Drogen konsumiert - darunter Ecstasy, Marihuana und Kokain. Der 24-Jährige berichtet, wie er ins Badezimmer gegangen sei, um „eine Nase“ zu nehmen. Kurz darauf habe das Baby zu schreien begonnen. Etwa eine Stunde sei er mit dem Säugling durch die Wohnung gelaufen, habe nach der Windel geschaut und ihm Essen angeboten. „Aber er ließ sich von mir nicht mehr beruhigen.“

Der Großvater des Kleinen befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Nachbarwohnung. Doch um Hilfe bitten wollte der junge Vater ihn nicht. „Ich wollte das mit meinem Sohn alleine hinbekommen“, betont er. Vergeblich. „Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt“, erklärt er vor Gericht seinen plötzlichen Entschluss, das Kind kräftig zu schütteln. „Dann wurde es ruhig“, erinnert sich der Angeklagte.

Mit der Betreuung des Säuglings überfordert

„Da hätte ich schon merken müssen, dass etwas nicht stimmt.“ Hat er aber nicht. Stattdessen habe er das Kind zu Bett gebracht und über das Geschehene nachgedacht. Dann habe er angefangen zu weinen. Wie so oft, wenn er sich mit der Betreuung des Säuglings überfordert fühlte. „Ich war hilflos. Ich hatte das Gefühl, dass ich immer versage und grundsätzlich alles falsch mache“, bedauerte er im Gerichtssaal. Die Beziehung zu seinem Sohn sei von Anfang an nicht die beste gewesen. Er konnte seinen Sohn nur selten beruhigen, wenn er nachts zu schreien anfing. Oft habe seine Freundin zur Hilfe kommen müssen.

Eine Stunde später kamen auch die Freundin und die Mutter nach Hause. Beim anschließenden Spaziergang bemerkte die Freundin bereits, dass etwas nicht stimmte und schlug vor, mit dem Kind ins Krankenhaus zu gehen. Ihr Freund redete ihr diese Idee wieder aus. Er habe ihr einfach nicht gestehen können, was wirklich passiert war. Denn auch die Beziehung zu seiner Freundin sei schon lange nicht mehr so rosig gewesen, wie sie einmal war. Gewalt von beiden Seiten und Streit um „Kleinigkeiten“ hätten das Verhältnis geprägt.

Am Ende sei es die Mutter gewesen, die sich entschloss, das Kind ins Krankenhaus zu bringen. Der 24-Jährige blieb zu Hause. Als ihn ein Arzt anrief und fragte, was passiert sei, schwieg er. Zu diesem Zeitpunkt habe der Vater seiner Freundin, zu dem er ohnehin kein gutes Verhältnis hatte, neben ihm gestanden. Die Angst, dass die Situation eskalieren könnte, wenn er jetzt die Wahrheit sagen würde, habe überwogen.

Angeklagter wollte sich unter der Dusche umbringen

Den Rest des Tages verbrachte der Angeklagte mit dem Konsumieren von Drogen. „Ich habe mich im Drogenkonsum versteckt.“ Dann traf er eine schwere Entscheidung: „Ich habe meinen Sohn behindert gemacht, und das nur wegen ein paar Sekunden der Schwäche. Das kann ich mir mein Leben lang nicht verzeihen.“ Unter der Dusche habe er sich aufschneiden wollen. „Ich wollte sterben.“

Doch er überlegte es sich anders. Als herauskam, was passiert war, trennte sich seine Freundin sofort von dem 24-Jährigen und er zog zu seinen Großeltern. Seitdem habe es keine Gespräche mehr gegeben. Mittlerweile habe er seit einem halben Jahr keine Drogen mehr konsumiert. In seiner E-Mail stellte der Angeklagte noch einmal klar: „Ich bin mir bewusst, dass ich eine Strafe verdient habe. Ich wünsche mir nur, dass ich ihm eines Tages eine Entschuldigung und ein halbwegs gutes Leben mit allem, was er braucht, geben kann.“

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