TEinschulung: Von Schultüten, Glubschaugen und der Indoor-Spielplatz-Hölle

Leonie Ratje. Foto: Privat
Zwei Jahre nach dem großen Bruder wird nun auch Sohn Nummer zwei von Leonie Ratje eingeschult. Und einen großen Fehler wollte die TAGEBLATT-Autorin nicht noch einmal machen.
Landkreis. Vor zwei Jahren wurde mein Großer eingeschult. Am Abend vor seiner Einschulung saß ich auf dem Sofa und habe geweint. Nicht etwa aus lauter Ergriffenheit, das kam später. Der Grund für die Tränen lag neben mir: seine Schultüte.
Bunte Punkte auf rotem Grund und ein Fußball-Verschluss. Ich hatte sie gemacht. Leider war ich aber an der Aufgabe, meinem Erstgeborenen an seinem großen Tag die Schultüte zu schenken, die er verdiente, gescheitert. Weil ich gar nicht basteln (oder nähen) kann.
Die schöne, teure Lösung aus dem Internet habe ich damals abgelehnt, weil ich diesen Zirkus nicht mitmachen wollte. Stattdessen habe ich einen Schultüten-Rohling beklebt – und mich mit Prinzipientreue um mein kleines Einschulungsglück gebracht. Ich schwor mir an diesem traurigen Abend, dass mir das nicht wieder passieren würde.
Schultüte für 52 Euro aus dem Internet
Auch die Schultüte meines zweiten Sohnes ist selbst gemacht. Von einer Frau aus dem Internet. Ich habe sie gegen Geld nähen lassen. 52 Euro hat sie mich gekostet, trotz Rabattgutschein. Sie sieht genauso aus, wie sie aussehen soll. Schon lange bevor ich mich nun daran mache, sie zu füllen, hat mich diese Schultüte glücklich gemacht.
Aber machen wir uns nichts vor: Meinen Söhnen ist natürlich völlig schnuppe, ob ihre Schultüten selbst genäht, gebastelt oder gekauft sind. Der Preis interessiert sie erst recht nicht.
Der Große hat seine Schultüte unendlich stolz vor sich hergetragen. Meine eigene hat 1989 definitiv niemand in Handarbeit gemacht. Sie glitzerte türkis mit einem Regenbogen, hat meine Mutter 8 Mark gekostet, und ich fand sie wunderschön. Sowieso sind es doch die inneren Werte, die zählen.
Großteil gibt zwischen 200 und 400 Euro für die Einschulung aus
Es ist allerdings eine bittere Wahrheit, dass man es sich leisten können muss, seine Kinder einzuschulen – auch dann, wenn man auf jedes Brimborium verzichtet.
Eine Online-Umfrage des Markforschungsunternehmens Civey hat ergeben, dass der Großteil der Eltern (34,9 Prozent) in Deutschland zwischen 200 und 400 Euro für eine Einschulung ausgibt. Damit kommen wir nicht aus. 260 Euro hat allein das Set aus Schulranzen, Federmappe und Turnbeutel gekostet, rund 100 Euro kommen für Arbeitshefte, Mappen, Stifte und andere Dinge von der umfangreichen Schulausstattungsliste hinzu.
Hot Dogs, Eis und Kuchen am großen Tag
Weil das zusammen mit der Tüte bereits ein kleines Vermögen kostet und es außerdem noch eine neue Hose und Schulkind-Socken für den großen Tag gibt, freue ich mich über den Menüwunsch des kleinen Mannes: Hot Dogs, Eis und Kuchen für 13 Feiernde auf unserer Terrasse. Die Paten und Oma backen.
In die Schultüte kommen Geschenke wie Fußballstutzen, ein Handkreisel in Form des Goldenen Schnatzes (Potterheads verstehen) und ein Hörspiel-Tonie sowie ein Gutschein für die Kito-Kinderwelt in Rotenburg (Das ist Liebe, Leute: ein Besuch in der Indoor-Spielplatz-Hölle.). Außerdem Kleber, Stifte und Pinsel. Und dann natürlich Süßigkeiten. Die kleine Süßmaus wäre ohnehin auch mit einer reinen Zuckertüte oberglücklich, Trolli Glotzer (klebrige Schaumzucker-Glubschaugen) sind seine Währung. Insgesamt kommen für die Schultütenfüllung noch einmal etwa 70 Euro zusammen. Sein großer Bruder bekommt eine kleine Geschwistertüte.
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Eine neue Lebensphase für die gesamte Familie
Während ich das Zeugs so in die Tüte räume und mich frage, ob er sie wird tragen können, gerate ich ins Nachdenken. Schneller als ich Schultüte buchstabieren kann, ist der kleine Kerl groß geworden. Eine neue Lebensphase beginnt für uns als Familie. Ciao, du schöne Kindergartenzeit.
Mit der Schule wartet ein neues spannendes Abenteuer auf unseren Flötzi. Ich sehe seine Vorfreude und spüre die Aufregung. Es ist Zeit, ihn ein Stück weit loszulassen. Er ist schulreif – und ich bin es auch. Dennoch würde ich die Schultüte statt mit Buntstiften und Schokolade lieber mit Dingen füllen, die er wirklich braucht. Mit ganz viel Superkraft, wenn er mit dem riesigen Ranzen auf seinem schmalen Rücken in den Klassenraum marschiert.
Am Ende geht es bei der Einschulung weder um die Tüte noch um ihren Inhalt oder um die Party. Was ich dem kleinen Räuber für diese Zeitenwende mitgeben möchte, kann ich nicht kaufen. Aber ich vertraue darauf, dass er alles in sich hat. Dass wir genügend schöne Momente für seinen Erinnerungsschatz gesammelt haben. Dass die Liebe und die Fröhlichkeit und die Zuversicht in seinem Herzen ihm den Weg weisen.
Vor ein paar Wochen im Sommerurlaub hat sich der Wirbelwind am Pool an seinen Bauchnabel gefasst und mich angesehen: „Was ist das eigentlich, Mama?“ Ich habe ihm erklärt, dass wir über eine Nabelschnur miteinander verbunden waren, als er in meinem Bauch war. Dass ich ihn über diese Schnur mit allem versorgt habe, damit er gesund wachsen konnte. „Dein Bauchnabel zeigt bis heute unsere Verbundenheit. Sie war lange da, bevor du auf der Welt warst.“ Sie wird niemals enden.

Leonie Ratje. Foto: Privat