THier sind Azubis Chef: Rettet Hotelier aus der Wingst mit Trick eine ganze Branche?

Im Hotel Peters in der Wingst übernehmen die Azubis (von links) Verantwortung: Christoph Rodiek, Emelie Eichsteller, Feenke Müller, Mariella Opitz, Anna-Lena Köhler und Kevin Lelleck. Foto: Leuschner
Nachwuchsprobleme sind Alltag in der Gastronomie. Das Hotel Peters in der Wingst kennt solche Sorgen gerade nicht. Inhaber Claus Peter hat viel dafür getan, dass angehende Azubis sein Hotel an der Peripherie wahrnehmen. Ein preisgekröntes Konzept.
Wingst. Ein wenig schüchtern wirken sie, als sie langsam zur Bühne gehen. Mit so viel Rampenlicht haben Anna-Lena Köhler, Christoph Rodiek und Kevin Lelleck nicht gerechnet. Ihre Pop-up-Restaurants, ein Azubi-Projekt in Peters Genusshotel in der Wingst, wird auf dem Nordseetourismustag in Bremerhaven mit dem Tourismus-Award „Goldenes Leuchtfeuer“ in der Kategorie Publikumspreis ausgezeichnet. Ein Award, mit dem die Tourismusagentur Nordsee (TANO) besonders innovative und nachhaltige Projekte der Tourismusbranche würdigt.
Claus Peter, Chefkoch und Besitzer des Genusshotels gleichen Namens am Rande der B73 im Erholungsgebiet Wingst, findet als erster Worte nach der Preisverleihung vor zahlreichen Branchenvertretern. Er schaut auf seine Azubis und sagt: „Ihr seid die Zukunft unserer Branche, darauf bin ich sehr stolz.“
Für die wenigsten ist Gastronomie ein Kindheitstraum
Szenenwechsel. Ein Pressetermin im Ausbildungsbetrieb, dem Hotel Peter. Dieses Mal sind alle sechs Auszubildenden dabei: Anna-Lena Köhler (18), angehende Restaurantfachfrau aus Hemmoor, Mariella Opitz (17), Köchin im ersten Lehrjahr aus Oppeln, Emelie Eichsteller (16), Azubi als Fachkraft Gastronomie aus Neuhaus und Feenke Müller (20) aus der Wingst, die kurz vor ihrem Abschluss als Hotelfachfrau steht.
Dazu Kevin Lelleck (25) aus Cadenberge, der eine Ausbildung zur Fachkraft Küche absolviert und Christoph Rodiek (24) aus Cuxhaven, der Hotelfachmann werden möchte.
Für die meisten von ihnen war die Gastrobranche nicht unbedingt ein Kindheitstraum. „Ich war unentschlossen, wusste nicht, was ich machen sollte“, erzählt Mariella. Ihr Bruder habe ihr vom Hotel Peter erzählt. „Das Praktikum hat mir so gut gefallen, dass ich mich für Köchin entschieden habe.“ Auch bei Emelie gab ein Praktikum im Hotel den Ausschlag, sich zu bewerben. Nur Anna-Lena hatte bereits eine Zusage in einer anderen Branche.
Nach Probearbeit: Lieber Restaurantfachfrau statt Erzieherin
„Eigentlich wollte ich Erzieherin werden“, sagt die 18-Jährige. Doch ein einziger Arbeitstag im Hotel Peter habe gereicht, sich umzuentscheiden. „Die Arbeit hat mir unglaublich viel Spaß gemacht.“ Ihren bereits sicheren Platz an der Berufsfachschule für Erzieher sagte sie kurzerhand ab.
Entscheidungen wie die von Anna-Lena Köhler hat Claus Peter noch nicht oft erlebt. Lange kämpfte er damit, als Ausbildungsbetrieb an der Peripherie auf halber Strecke zwischen Stade und Cuxhaven nicht wahrgenommen zu werden. „Deswegen bekommen wir oft Auszubildende, für die das Gastgewerbe nicht die erste Wahl ist. Azubis, die eigentlich etwas anderes werden möchten, aber nicht die Möglichkeit dazu erhalten oder Absagen von ihrem Wunschbetrieb bekommen haben.“
Vom ersten Ausbildungstag ist es wichtig, Berufsanfängern Spaß und Abwechslung zu vermitteln.
Claus Peter
Peter lockt Azubis mit Pop-up-Restaurants und Kitchen-Battles aufs Land
Dabei hat sich Peter mit seinem Genusshotel in der Branche längst einen Namen gemacht. Diverse Auszeichnungen hat er dafür zusammen mit seiner Mannschaft eingeheimst, darunter einen zweiten Platz beim Niedersächsischen Wirtschaftspreis für Mittelstand und Handwerk sowie bei der Grünkohl-Weltmeisterschaft. Und jetzt das „Goldene Leuchtfeuer“ der Tourismusagentur Nordsee für „Pop-up-Restaurants in der Verantwortung von Auszubildenden“.
Seit sechs Jahren setzt Peter auf Pop-up-Restaurants, also Gastronomie, die aufploppt und nach kurzer Zeit wieder verschwindet. So konnten Gäste bereits im Tierpark Wingst und in einem Kräutergewächshaus dinieren.
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Organisation und Planung legt Peter bewusst in die Hände seiner Nachwuchscrew. „Das ist eine wunderbare Möglichkeit, Verantwortung zu übertragen und das Selbstvertrauen der Azubis zu stärken“, ist er überzeugt.
Zwei solcher Kurzzeit-Restaurants außerhalb des Ausbildungsstandortes haben die sechs Azubis allein im vergangenen halben Jahr organisiert. Zuletzt auf einem Weingut in der Pfalz. Schon Monate zuvor hatte Peter seinen Lehrlingen aus Küche und Service vorgeschlagen, auf dem Weingut an zwei Tagen ein Restaurant zu betreiben.
Verantwortungsbewusstsein und Selbstvertrauen trainieren
Und dieses Mal war Peter auch selbst als Führungskraft mit dabei. „Denn führungslos“, so der Chef, „sind die Azubis nie.“ Auch das 5-Gänge-Menü hatte er selbst mit dem Weingut entwickelt. Die Umsetzung, die Logistik und alle Vorbereitungen habe er aber in die Hände seiner Azubis gelegt. „Ich versuche mich so zurückzuhalten, dass sie ihren Raum finden und sich zutrauen, ihn auch wahrzunehmen.“
Wie sie das Projekt umsetzen, was sie alles mitnehmen und vorbereiten müssen, hätten sie erst rund drei Wochen vor Abreise konzipiert, gesteht Anna-Lena: „Wir hatten es schlicht verdrängt.“ Die Konsequenz? „Lange Arbeitstage“, berichtet Kevin, denn alle Gänge des Menüs wurden nahezu vollständig in der Wingst vorbereitet und vorgekocht.
Feenke: Tour in die Pfalz war erste Fernreise meines Lebens
Grünkohl-Cupcake, Wantan-Blätter mit Lachs auf Frisee-Salat, Petersilienwurzelrahmsuppe mit Garnelenlolly, konfierte Gänsebrust mit Curry-Steckrüben-Gemüse und Engelshaar, Rote Grütze mit Kokosnusseis und Mango-Yoghurt-Espuma wanderten neben Geschirr und anderen Requisiten einen Tag vor dem ersten Pop-up-Restaurant-Abend in der Pfalz in einen kleinen Bus, den Peter für die Fahrt gemietet hatte.

Kurz vor der Abreise: Für den Transport von Speisen und Geschirr für das Pop-up-Restaurant auf einem Weingut in der Pfalz hatte Claus Peter (2. von links) einen Minibus gemietet. Foto: Peters Genusshotel
Während der Tour gestand Azubi Feenke, bis dahin noch nie außerhalb von Niedersachsen, Hamburg, Bremen und Neuwerk gewesen zu sein. Und nun das: ein Weingut in der Pfalz samt Einführung in die Weinproduktion, die Erfahrungen als Mitverantwortliche eines Pop-up-Restaurants und – auf der Rückfahrt zur Belohnung – ein Abstecher ins benachbarte Frankreich. „Für mich war das eine echte Fernreise“, sagt Feenke und lacht.
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Peter wirkt gerührt. Gleichzeitig bestärkt es ihn: „Vom ersten Ausbildungstag ist es wichtig, Berufsanfängern Spaß und Abwechslung zu vermitteln.“ Dafür habe jeder Chef seine eigene Strategie. Außer auf Pop-up-Restaurants setzt Peter auf Kitchen-Battles, bei denen sich (angehende) Köche mit ihrem Meister „duellieren“. Die Kochprofis kreieren Drei-Gänge-Menüs, die sie den Gästen im Restaurant kredenzen und wofür sie sich anschließend bewerten lassen.

Im Pop-up-Restaurant der Azubis des Hotels Peter Wingst auf einem Weingut in der Pfalz stand unter anderem konfierte Ente auf dem Menüplan. Foto: Peters Genusshotel
Andere Gastronomiekonzepte kennenlernen
Vor ein paar Monaten haben Peters Azubis ein Pop-up-Restaurant im Kantinenrestaurant von Abbruch-Unternehmer Bodo Freimuth aus Bülkau auf die Beine gestellt. Peter wollte seinen Schützlingen damit zeigen, wie vielfältig Gastronomie sein kann und dass kein Konzept schlechter ist als das andere, sondern nur anders.
„Auch ein Betriebsrestaurant wie das von Bodo Freimuth kann Top-Gastronomie sein, aber der Gast hat eine andere Erwartung: Er will schnell, unkompliziert bedient werden und braucht auch keine große Auswahl.“ Die Azubis kredenzten ein Schnitzelbüffet.

Gruppenbild mit Bagger: Auch beim Abrissunternehmen Bodo Freimuth in Bülkau haben die Azubis vom Hotel Peters in der Wingst unlängst ein Pop-up-Restaurant auf die Beine gestellt. Foto: Peters Genusshotel
„Klar, kriegt man erst mal einen Schreck, wenn man so eine Aufgabe bekommt“, gesteht Emelie, „aber es macht auch Spaß.“ Christoph erinnert sich an „anstrengende Tage in der Pfalz, aber am Ende ist man auch glücklich, wenn es gut gelaufen ist“.
Und Anna-Lena freut sich bis heute über Komplimente der Gäste, dass sie viel erfahrener wirkt, als man das von einem Lehrling im ersten Ausbildungsjahr erwartet. Und am Ende sind sich einig, dass guter Teamgeist hilft, auch nach schwierigen Tagen nicht aufzugeben.
Claus Peters Konzept geht offensichtlich auf. Für das kommende Ausbildungsjahr hat er eigentlich zwei neue Azubis gesucht. Tatsächlich werden es wohl vier. „Die Qualität der Bewerbungen ist so stark, dass wir sie alle mit auf die Reise nehmen wollen. Das haben sie verdient, weil sie sich fürs Gastgewerbe entschieden haben.“