TSchmerzen und Schäden: Himmelpfortener Tierärztin kämpft gegen Qualzucht

Bei der englischen Bulldogge wurde die Nase zurückgezüchtet, nun passen Unterkiefer und Zunge nicht mehr zum Oberkiefer. Foto: Q-Archiv
Oft sind es Modeerscheinungen: die platte Nase des Mopses oder die abfallende Kruppe des Schäferhundes. Obwohl Tiere unter solchen Merkmalen heftig leiden, halten viele Züchter an solchen Qualzuchten fest. Eine Himmelpfortenerin kämpft dagegen an.
Himmelpforten. Vor dem Verwaltungsgericht Stade wurde kürzlich der Fall einer Züchterin aus dem Landkreis Rotenburg verhandelt. Diese hatte gegen diesen geklagt, weil er ihr die Zucht mit Einzeltieren der Rasse French und English Bulldog aufgrund von festgestellten Qualzuchtmerkmalen untersagt hatte. Mitarbeiter des Landkreises hatten die Tiere zuvor in Augenschein genommen und alle Untersuchungen dokumentiert. Genutzt wurden dabei auch die Merkblätter von „QUEN“ (Qualzucht-Evidenz Netzwerk), einer Datenbank, die eine Übersicht über zuchtbedingte sichtbare oder verdeckte Defekte betroffener Tierrassen bietet. Die Klägerin zog ihre Klage zurück. Damit ist das Zuchtverbot rechtskräftig.
Die Quen-Datenbank hat ihren Ursprung in Himmelpforten. Dort lebt die Veterinärmedizinerin Diana Plange. Sie hat Quen mit aufgebaut. Es soll primär Veterinärbehörden, Gerichte, politische Entscheidungsträger und Gesetzgeber bei der Umsetzung tierschutzrechtlicher Normen in Zucht und im Ausstellungswesen unterstützen und wird von der gemeinnützigen Quen GmbH betrieben.

Diana Plange aus Himmelpforten, Fachtierärztin für Tierschutz und Tierschutzethik, hat eine Datenbank zu Qualzuchtmerkmalen und betroffenen Tierrassen erstellt. Foto: Susanne Helfferich
Qualzuchten sind seit 23 Jahren verboten
Qualzucht bedeutet, dass Tiere aufgrund ihrer angezüchteten Merkmale - wie die extrem flache Nase beim Mops oder die herabfallende Kruppe beim Schäferhund - ein Leben mit Schmerzen und Schäden führen. „Seit mehr als 23 Jahren sind solche Qualzuchten verboten“, sagt Diana Plange, aber dennoch würden sie nach wie vor betrieben und nicht geahndet. Die Gründe seien oft zu wenig Personal, zu wenig Zeit und zu wenig Informationen in den Tierarztpraxen und Behörden.
Die Veterinärmedizinerin hat selbst gezüchtet: Boarder Terrier, intelligente, robuste Familienhunde; äußerlich völlig unauffällig. Sie hatte einen älteren Rüden von einem hochgelobten britischen Züchter gekauft. Das Tier wurde sowohl vom Vorbesitzer als auch von ihr vielfach zum Decken im In- und Ausland eingesetzt. Doch dann tauchten in den Zuchtlinien unerklärliche Krampfanfälle auf. So fing die Tierärztin an, selbst zu recherchieren, schrieb ihre Käufer an und suchte per Annonce in einer Hundezeitschrift nach weiteren betroffenen Hundehaltern. Binnen einer Woche habe sie mehr als 200 Zuschriften erhalten, erzählt die Tierärztin.

Ein preisgekrönter Mastino, der vor lauter Falten kaum noch etwas sehen kann. Foto: Q-Archiv
Der eigene Hund gab einen schweren Defekt weiter
Der Defekt, den sie entdeckt hatte, hat inzwischen einen Namen: Canine Epileptoid Cramping Syndrome (CECS). Wodurch es ausgelöst wird, sei bisher ungeklärt. Tragisch sei, dass die Hunde erst mit drei bis fünf Jahren die ersten Anfälle zeigten. „Dann sind sie schon häufig in der Zucht und geben womöglich den Defekt weiter.“ Diana Plange zog aus dieser Erfahrung eine für sie bittere Konsequenz: Sie gab ihre Zucht auf.
Als sie 2005 vom Stader Veterinäramt als Amtstierärztin nach Berlin wechselte, war sie ausschließlich für Tierschutz zuständig, und damit auch für Fälle von Qualzuchten, durch die quälende Defekte weitergegeben werden. So leierte sie 2015 das erste Verfahren zu Nacktkatzen, denen zuchtbedingt die Schnurrhaare fehlen, an. Mit Erfolg: Diese Qualzucht wurde verboten.
Initialzündung für Quen kam mit der Pensionierung
2017 wurde Plange Berliner Landesbeauftragte für Tierschutz und übte dieses Amt bis zu ihrer Pensionierung 2020 aus. „Als ich in Rente ging, hatte ich viel Zeit und keine Vorgaben. So konnte ich vom Reden in die Tat kommen“, sagt sie. Wenn den Ämtern und Kollegen Informationen fehlten, müssten diese zusammengetragen und zugänglich werden. Das war die Initialzündung für die Quen-Datenbank.
Das Netzwerk erstellt digitale Rassemerkblätter, die ständig auf dem wissenschaftlich neuesten Stand aktualisiert werden. Sie listen alle zuchtbedingten Defekte und deren Vorkommen auf. Allein bei den weltweit 360 Hunderassen seien 800 Defekte erfasst. Solche Rassemerkblätter erstellt Quen nicht nur für Hunde, sondern auch für Katzen, Kaninchen, Pferde, Geflügel und andere Arten. „Dahinter steht ein Riesenpool von Experten“, so Plange, „Genetiker, Juristen, Biologen und Tierärzte aus unterschiedlichen Fachrichtungen“, die allermeisten davon ehrenamtlich. Bis ein Merkblatt zu einer Rasse erstellt ist, dauere es etwa acht Wochen.
Ehrung mit dem Niedersächsischen Tierschutzpreis
„Der Inzuchtkoeffizient liegt höher als 25 Grad, das entspricht einer Verpaarung von Vollgeschwistern“, sagt Plange. Um die Inzuchtwerte herabzusenken, müssten eigentlich andere Rassen eingekreuzt werden, um den Genpool zu erweitern. Dagegen wehrten sich viele Züchter. So gehen alle Möpse weltweit auf 50 Einzeltiere zurück, das sei ein höherer Inzuchtgrad als bei frei lebenden Pandabären.
Im Februar dieses Jahres erhielt die Himmelpfortenerin eine besondere Ehrung: Ihr wurde der Niedersächsische Tierschutzpreis verliehen, insbesondere für die Entwicklung der Quen-Datenbank. Sie bleibt dran am Thema und scheut keine Konfrontation: „Es glaubt jeder, dass er seiner eigenen Kreativität im Zuchtgeschäft freien Lauf lassen dürfe. Denn jeder kann züchten, was er will, mit oftmals unerträglichen Folgen für Tiere.“