THinterzimmer-Casinos gestürmt: Polizei gelingt Schlag gegen Clans

Fast alle Einsatzkräfte haben sich Sturmhauben übergezogen, um nicht erkannt zu werden. Foto: Redaktion
Mehr als 400 Einsatzkräfte stürmen in Ostfriesland und Friesland Geschäfte und Wohnungen. Sie wollen mutmaßlich kriminellen Clans ans Geld.
Emden. Als sich am Freitag mehr als 400 Polizisten, Steuerfahnder und Zollbeamte im Nordwesten für den Einsatz bereit machen, ist die Sonne längst untergegangen. Die Landkreise Aurich, Leer, Wittmund, Friesland und die Stadt Emden liegen im Dunkeln, erhellt nur von der Straßenbeleuchtung, von Autoscheinwerfern und vom Licht, das aus den Häusern dringt. Die Einsatzkräfte tragen Sturmhauben, Schutzwesten, Handschuhe, Stiefel. Einsatzkleidung – schwarz wie die Nacht, in der die Beamten zuschlagen wollen. Ihr Ziel sind Shisha-Bars, Cafés und Wohnungen. Sie haben es auf das illegale Glücksspiel in Ostfriesland und Friesland abgesehen. Und sie wollen die Clans, die den Behörden zufolge die Hinterzimmer-Casinos betreiben, dort treffen, wo es am meisten weh tut: Sie wollen an ihr Geld.
Zur gleichen Zeit laufen am Auricher Fischteichweg die letzten Vorbereitungen für den Zugriff. Hier in der Polizeiinspektion Aurich/Wittmund sitzt der 16-köpfige Führungsstab in einem Konferenzsaal zusammen. Die Tische sind im Halbkreis angeordnet, jeder der erfahrenen Polizeibeamten hat einen freien Blick auf die Karte vor ihnen an der Wand. Markierungen in verschiedenen Farben sind darauf zu sehen. Ab und zu blickt einer der Beamten auf ein Handy, murmelt einem anderen etwas zu. Die Stimmung wirkt zwar angespannt, aber nicht stressig.
Kurz vor dem geplanten Zugriff gibt es offenbar eine wichtige Neuigkeit, die noch ein paar Abstimmungen und Anpassungen am Einsatzplan erfordert. In einer guten halben Stunde wird das Go dafür gegeben werden, dass an 22 Orten maskierte Beamte in Wohnungen und Geschäftsräume stürmen.

Die Tür ist eingerammt – aber weiter geht es hier trotzdem nicht. Ein von innen vor die Tür gestellter Kühlschrank versperrt den Weg. Foto: Redaktion
Der verbotene Raum hinter der Metalltür
Das Ziel der in Emden eingesetzten Beamten ist ein Café – sie nennen es „das Objekt“. Auf Martinshorn und Blaulicht verzichten sie, als sie in einer Kolonne aus mehr als zehn Fahrzeugen durch die Innenstadt fahren. Sie umstellen das Gebäude und stürmen das Café. Ganz reibungslos funktioniert das nur an der Vordertür. Die Hintertüren sind verschlossen, die Ramme kommt zum Einsatz. Das Schloss gibt nach mehreren Stößen zwar nach – doch noch immer gibt es kein Durchkommen: Ein vor die Tür gestellter Kühlschrank versperrt den Polizisten den Weg. Getränkeflaschen fliegen aus ihren Fächern und krachen zu Boden. Glas splittert, Fruchtsaft ergießt sich über den Boden. Hier kommen die Beamten nicht weiter.
Aber es gibt eine weitere Hintertür. Sie hat ein Guckloch wie man es von Türen von Wohnungen und Hotelzimmern kennt. Einen Spion, durch den geschaut werden kann, wer Einlass begehrt in den verbotenen Raum, der sich hinter der Metalltür befindet.

Wüsste man nicht, dass es sich hier um das Hinterzimmer eines Emder Café handelt, man könnte meinen: Das ist ein ganz normales Casino. Foto: Polizei
Den Beamten, die durch die Vordertür stürmen, bieten sich keine Überraschungen. Das Café hat eine Fensterfront, ist komplett verglast. Der Raum ist schmucklos eingerichtet: ein paar Tische und Stühle, ein Zigarettenautomat, eine Theke. Wer hier zufällig vorbeikommt, dürfte keine große Lust auf einen Cappuccino oder eine Latte macchiato bekommen. Da helfen auch die gerahmten Espresso-Abbildungen an den Wänden nicht. In den Regalen hinter der Theke stehen Whiskey-Flaschen, Erdnussflips und Stapelchips, in einem Kühlschrank kleine Saftflaschen und Energy-Drink-Dosen. Die Männer, die den Polizeibeamten jetzt gegenüberstehen, lassen ihre Personalien aufnehmen und sich durchsuchen. Alles läuft unaufgeregt ab. Dort, wo sie bis eben noch gesessen haben, stehen die Reste eines Dönertellers, kleine Teegläser und Gläser mit einer milchigen Flüssigkeit: Anis-Schnaps, verdünnt mit Wasser.
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„Ohne euch sind die Löwen da drin nicht brav“
So schlicht das Café aussieht, so einladend sieht der Raum daneben aus, den nichts ahnende Gäste niemals zu Gesicht bekommen: roter Teppichboden, abgehängte und beleuchtete Decken, bequeme Stühle, moderne Akustik-Paneele an der Wand – und die Gegenstände, die den Beamten zeigen, dass sie mit dem Fund dieses Raums buchstäblich den Jackpot geknackt haben: ein großer Poker-Tisch, Spielautomaten und ein Portal, an dem Sportwetten abgegeben werden können.
Etwa sechs Monate lang wurde dieser Einsatz vorbereitet mit dem klaren Ziel, Hinterzimmer-Casinos auszuheben. Mit dem Einrammen der Metalltür im Hinterhof ist den Beamten das gelungen. Einen Zugang über das eigentliche Café im vorderen Bereich des Gebäudes gibt es nur theoretisch: Zwar sind illegales Casino und legales Café über eine Tür miteinander verbunden. Doch die ist von der Café-Seite mit einem Akustik-Paneel verdeckt.
Die Polizeibeamten, viele von ihnen mit Klemmbrettern und Stiften in der Hand, gehen routiniert vor. Durchsuchen, protokollieren. Durchsuchen, protokollieren. Es werden Fotos gemacht, Skizzen angefertigt, die Anwesenden befragt. Mit wem die Beamten fertig sind, der darf gehen, einige bekommen Platzverweise. „Sehr gerne!“, antwortet einer, geht ein paar Schritte weg und ruft noch in Richtung der Polizei: „Ohne euch sind die Löwen da drin nicht brav!“ Es geht in dieser Nacht nicht um Festnahmen, es gibt keine Haftbefehle, die vollstreckt werden sollen. Für die auf Clan-Kriminalität spezialisierte Staatsanwaltschaft Osnabrück kommt es heute darauf an, illegale Automaten, Bargeld und Autos sicherzustellen. Und sie wollen Beweise finden für illegal erwirtschaftetes Geld, auf das der Staat noch Steuern erheben kann. Auf Hinterzimmer-Casino-Gewinne werden keine Abgaben gezahlt. Das soll sich jetzt ändern.
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Verrauchte Luft und ein 7er-BMW
Immer wieder gehen vermummte Beamte ins Gebäude, andere kommen heraus. In Telefonaten mit der Einsatzführung geht es oft um einen 7er-BMW, der vor dem Café parkt. Schließlich steht fest: Der Wagen soll sichergestellt werden – zusammen mit elf Spielautomaten und dem Pokertisch aus dem Hinterzimmer-Casino. Einer der Männer aus dem Café wird zwischenzeitlich zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf die Dienststelle gebracht, kommt aber bald im Schlepptau von Beamten zurück. Derweil schauen die Einsatzkräfte genau hin, tasten das Polster von Stühlen ab, klopfen auf der Suche nach Hohlräumen gegen die Trockenbauwände. Es ist inzwischen weit nach Mitternacht, und der Lastwagen, der die Spielautomaten abholen soll, ist auf dem Weg.
Das versteckte Hinterzimmer-Casino hat wie das offizielle Café eine voll verglaste Fensterfront, die aber mit schwarzer Folie abgeklebt ist, die nach Müllsäcken aussieht. Von innen sind auch dort Akustik-Paneele angebracht. Über einen Hebel lassen sich die Fenster nahe der Zimmerdecke kippen, um frische Luft hereinzulassen – und die ist hier Mangelware. In dem Raum riecht es nach kaltem Tabakrauch. Ein Beamter sagt: „Ich muss mal nach draußen. Atmen.“ Ein anderer Beamter – von der Steuerfahndung – schaut sich das Wett-Portal, das an einer Wand steht, genauer an. Es besteht aus zwei Bildschirmen, auf denen die Wettquoten eines Anbieters zu sehen sind, der in Deutschland keine Lizenz hat. Am unteren Teil des Pults kann Bargeld eingezahlt werden – eine Möglichkeit, um anonym illegale Wetten zu platzieren.
Geld gibt es in illegalen Spielhallen auf die Hand
Auf dem schwarzen Pokertisch ist etwas Helles zu sehen, das auf den ersten Blick für Flecken oder ein weißes Pulver gehalten werden kann. Tatsächlich sind es aufgedruckte Fotos des „Joker“ aus den „Batman“-Filmen. Direkt daneben stehen die Spielautomaten – alle mit Aufklebern ausgestattet: „Keine Auszahlung!“ Diese Sticker sind üblich für sogenannte „Fun Games“, wie illegale Automaten auch genannt werden. Sollte es zu einem Gewinn durch den Spieler kommen, wird das Geld nicht automatisch vom Gerät ausgezahlt. Stattdessen gibt es das Geld oft vom Betreiber der illegalen Spielhalle bar auf die Hand. Sobald die Polizeibeamten die Automaten mit Barcodes versehen und alles im Sicherstellungsprotokoll vermerkt haben, werden die Geräte per Sackkarre nach draußen gebracht und im blauen Laster verladen.
Für die Beamten endet der Einsatz am frühen Samstagmorgen. Der Laster rollt von der Auffahrt, auch die Mannschaftswagen fahren irgendwann davon. Was zurückbleibt, ist ein geheimes Hinterzimmer-Casino, das jetzt nicht mehr geheim ist. Und auf der hellbraunen Fußmatte vor der Eingangstür steht: „Schön, dass du da bist!“