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Krebserregender Baustoff

TIm Kreis Stade droht bei jedem zweiten Haus die „Asbest-Falle“

Die krebserregende Mineralfaser Asbest steckt in vielen Baustoffen, auch in zahlreichen Altbauten im Landkreis Stade.

Die krebserregende Mineralfaser Asbest steckt in vielen Baustoffen, auch in zahlreichen Altbauten im Landkreis Stade. Foto: IG BAU

Asbest galt über Jahrzehnte als regelrechte „Wunderfaser“ in der Baubranche. Die IG BAU schlägt jetzt Alarm: In Zehntausenden Wohnhäusern droht bei anstehenden Sanierungen die „unsichtbare Gefahr“.

Von Redaktion Freitag, 24.11.2023, 15:00 Uhr

Landkreis. Bis heute stecken noch Tonnen von Baumaterial mit Asbest in Altbauten - auch im Kreis Stade, wie die IG BAU jetzt bekanntgibt. „Von 1950 bis 1989 kamen Asbest-Baustoffe intensiv zum Einsatz. Es ist davon auszugehen, dass es in jedem Gebäude, das in dieser Zeit gebaut, modernisiert oder umgebaut wurde, Asbest gibt. Mal mehr, mal weniger“, sagt Achim Bartels von der IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).

Er spricht von „Asbest-Fallen“ und nennt Zahlen: „In den vier ‚Asbest-Jahrzehnten‘ wurden im Landkreis Stade rund 31.700 Wohnhäuser mit 48.400 Wohnungen neu gebaut. Das sind immerhin 49 Prozent aller Wohngebäude, die es heute im Kreis gibt. Dazu kommen noch Gewerbegebäude, Garagen, Ställe und Scheunen in der Landwirtschaft.“ Der Bezirksvorsitzende der IG BAU Hamburg verweist dabei auf die „Situationsanalyse Asbest“, die die Bau-Gewerkschaft beim Pestel-Institut (Hannover) in Auftrag gegeben hat.

Kaum Chancen, die „unsichtbare Gefahr“ zu erkennen

„Asbest ist ein krebserregender Stoff. Wer in einem asbestbelasteten Haus wohnt, muss sich trotzdem erst einmal keine Sorgen machen. Erst bei Sanierungsarbeiten wird es kritisch. Dann kann Asbest freigesetzt und damit zu einem ernsten Problem werden“, sagt Achim Bartels. Er warnt vor einer „unsichtbaren Gefahr“, wenn Altbauten zu Baustellen werden: „Alles fängt mit Baustaub und dem Einatmen von Asbestfasern an. Bauarbeiter und Heimwerker haben kaum eine Chance, diese Gefahr zu erkennen.“

Bis zu 30 Jahre dauere es, ehe es zur tragischen Diagnose komme: Asbestose – mit Lungen-, Bauchfell- oder Kehlkopfkrebs. Zum Komplett-Schutz bei einer Sanierung mit Asbest-Gefahr gehöre daher immer mindestens eine FFP3-Atemschutzmaske. Ebenso ein Muss: Overall, Schutzbrille und Handschuhe.

IG BAU schnürt Maßnahmenpaket gegen „Asbest-Welle“

Die IG BAU Hamburg spricht von einer neuen „Asbest-Gefahr“: „Wir stehen am Anfang von zwei Sanierungsjahrzehnten. Die energetische Gebäudesanierung wird enorm an Fahrt aufnehmen. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, wird auch im Kreis Stade in den nächsten Jahren ein Großteil der Altbauten ‚angefasst‘.“ Mit der Sanierungswelle drohe deshalb jetzt auch eine „Asbest-Welle“ auf dem Bau. „Sie ist eine Gefahr – für Bauarbeiter genauso wie für Heimwerker“, sagt der Bezirksvorsitzende der Bau-Gewerkschaft.

Asbestbelastete PVC-Fliesen am Boden: Wenn klar ist, dass es sich um Asbest handelt, sollte sich eine spezialisierte Fachfirma um die Beseitigung kümmern.

Asbestbelastete PVC-Fliesen am Boden: Wenn klar ist, dass es sich um Asbest handelt, sollte sich eine spezialisierte Fachfirma um die Beseitigung kümmern. Foto: Markus Scholz/dpa-tmn

Die IG BAU will der drohenden „Asbest-Welle“ auf dem Bau jetzt mit einem Maßnahmenpaket entgegentreten. Die Bau-Gewerkschaft hat dazu eine bundesweite „Asbest-Charta“ mit zentralen Forderungen für mehr Schutz vor Asbest vorgelegt. Der 5-Punkte-Katalog kann bei der IG BAU Hamburg angefordert werden: hamburg@igbau.de. „Es geht dabei um bessere Informationen über Asbest-Gefahren bei Gebäuden, um die Förderung von Asbest-Sanierungen und vor allem auch um konsequenten Arbeitsschutz. Denn der bevorstehende Sanierungsboom darf nicht zu einer Krankheitswelle führen“, warnt Achim Bartels.

Tausende Tote durch Folgen asbestbedingter Berufskrankheiten

Die Gewerkschaft fordert deshalb eine intensive Asbest-Aufklärung: „Bauarbeiter und Heimwerker müssen wissen, wie der optimale Schutz vor Asbest aussieht. Und das muss den Menschen in der Sprache gesagt werden, die sie verstehen – den ausländischen Beschäftigten also auch in ihrer Muttersprache“, so Achim Bartels. Er fordert deshalb eine Informationskampagne des Bundes und der Länder. Die heimischen Bundestagsabgeordneten seien jetzt am Zug, den drohenden Gefahren einer „Asbest-Welle“ rechtzeitig mit einem effektiven Maßnahmenpaket entgegenzutreten.

Die Dimension und damit auch die Gefahr, die vom Asbest ausgehe, sei gewaltig: Insgesamt sind nach Angaben des Pestel-Instituts von 1950 bis 1990 bundesweit rund 4,35 Millionen Tonnen Asbest (Ost- und Westdeutschland) importiert worden. Daraus seien rund 3500 Produkte hergestellt worden – die meisten davon für den Baubereich: Knapp 44 Millionen Tonnen asbestbelastetes Baumaterial stecken bundesweit im Gebäudebestand. In den vergangenen zehn Jahren sind nach Angaben der IG BAU 3376 Versicherte der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) an den Folgen einer asbestbedingten Berufserkrankung gestorben – darunter allein 320 Baubeschäftigte im vergangenen Jahr.

Mieter in einem Asbestbau: Was sind meine Rechte?

Grundsätzlich müssen Vermieter laut dem Deutschen Mieterbund (DMB) betroffene Mieter vor den Asbest-Gefahren warnen. Besteht auch nur der Verdacht auf Asbest, haben Mieter zudem ein Auskunftsrecht. Das bedeutet: Der Vermieter ist zu einer Auskunft verpflichtet.

Asbest wurde im November 1993 verboten - aber auch heute kann man den krebserregenden Baustoff in vielen Gebäuden noch finden, z.B. an der Fassade.

Asbest wurde im November 1993 verboten - aber auch heute kann man den krebserregenden Baustoff in vielen Gebäuden noch finden, z.B. an der Fassade. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa/dpa-tmn

Der Berliner Mieterverein rät, die Anfrage dazu am besten schriftlich zu schicken und stellt dazu ein Musterschreiben auf seiner Internetseite zur Verfügung. Sollte der Vermieter nicht reagieren oder die Auskunft verweigern, können Mieter demnach selbst ein Prüfungsinstitut beauftragen. Bestätigt sich der Asbest-Verdacht, muss der Vermieter die Kosten für die Untersuchung erstatten.

Asbest gilt als Wohnungsmangel

Taucht Asbest plötzlich auf - etwa weil Mieter in Eigenregie Räume renovieren, sollten sie sofort ihren Vermieter informieren. Sollten Asbest-Fasern freigesetzt werden, müssen laut DMB qualifizierte Fachfirmen die betroffenen Räume schnellstmöglich sanieren.

Es besteht dann ein Mangel in der Wohnung, der beseitigt werden muss. Auch hierfür gibt es online beim Berliner Mieterverein ein passendes Musterschreiben. Damit können Mieter ihren Vermieter zur Instandsetzung auffordern.

Hat man Ansprüche auf Mietminderung oder Schadenersatz?

Eine mit Asbest belastete Wohnung gilt als mangelhaft. Das geht aus einem Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm hervor (Az.: (30 U 20/01). Dafür reicht es laut DMB, dass Mieter die Wohnung nur in der Angst vor Gesundheitsgefahren nicht benutzen können. Grundsätzlich ist in solchen Fällen auch eine Mietminderung möglich. Die Höhe hängt von der konkreten Beeinträchtigung ab, informiert der Berliner Mieterverein. Wichtig für die Beweisführung ist, dass Mieter ihre Forderungen immer schriftlich an den Vermieter stellen.

Auch Schadenersatzansprüche sind denkbar. Das gilt etwa, wenn der Vermieter seinen Pflichten nicht - soweit möglich - nachgekommen ist und dem Mieter dadurch ein Schaden entstanden ist. Allerdings sind gesundheitliche Folgen in der Praxis schwer nachweisbar, so der Berliner Mieterverein. Mieter sollten sich daher vorab rechtlich beraten lassen.

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