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Gespaltene Gesellschaft

TKazim in Stader Kirche: Was gegen Wut und Hass hilft

Tiefgehende Gedanken: Hasnain Kazim (links) und Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy in der voll besetzten Wilhadi-Kirche.

Tiefgehende Gedanken: Hasnain Kazim (links) und Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy in der voll besetzten Wilhadi-Kirche. Foto: Sonja Domröse

Was hält die Gesellschaft zusammen in Zeiten von Wutbürgern und rechtsextremen Tendenzen? Regionalbischof Dr. Hans-Christian Brandy und Autor Hasnain Kazim gaben darauf Antworten.

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Von Lars Strüning
Dienstag, 01.10.2024, 18:50 Uhr

Stade. Die Wahlen in Sachsen, Thüringen oder aktuell in Österreich haben es gezeigt: Rechtsextreme Tendenzen sind auf dem Vormarsch und offenbar auch im deutschsprachigen Raum wieder salonfähig geworden. Doch wie umgehen mit denen, die AfD und Co. unterstützen?

Gespräche mit AfD-Wählern: Sind die alle rechtsradikal?

Brandy und Kazim haben sich dazu Gedanken gemacht. Kazim ist auf der Suche nach Antworten sogar ein Jahr lang und 3000 Kilometer weit durch Deutschland geradelt, hat viele Gespräche eben auch mit Andersdenkenden geführt. Sein neuestes Buch fasst diese Reise zusammen.

Sie hatten sich nicht abgesprochen im Vorfeld, aber Brandy und Kazim ergänzten sich prächtig in ihren Gedanken und Worten zur Gesellschaft, die sie am Sonntagabend während des alljährlichen Michaelisempfangs in der Stader Wilhadikirche preisgaben.

Der Sprengel Stade mit Brandy an der Spitze lädt dazu Vertreter aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft aus dem gesamten Elbe-Weser-Raum ein. Mehr als 400 Besucher folgten der Einladung. Es war Brandys letzter Abend dieser Art. Er geht im Juni 2025 in den Ruhestand.

„Möchte in keiner anderen Gesellschaft leben“

Ist die Gesellschaft wirklich so gespalten, wie es viele meinen, fragte Brandy. Als Mann der Kirche bemüht er die Zuversicht. „Ich möchte in keiner anderen Gesellschaft leben“, sagte er. Sie sei plural aufgestellt, lasse Diversität zu, jeder könne frei leben und sich frei äußern. Diese Vielfalt habe aber auch ihre Schattenseiten.

Bei 21.000 möglichen Studiengängen kann es schon mal unübersichtlich werden für junge Menschen, nannte Brandy als ein Beispiel. Den Überforderten, den Verlierern müssten sich Kirche und Diakonie besonders zuwenden.Vielfalt benötige auch demokratische Abwägung und Abstimmungen. Diese Strukturen infrage zu stellen, wie jetzt in Thüringen von der AfD versucht, sei gefährlich.

Brandys Botschaft: Besonnen bleiben, nicht dem Populismus Vorschub leisten und das Gespräch suchen. Er ist überzeugt: „So schlecht ist der Zusammenhalt in unserem Land nicht.“

Hass-Mails als Reaktion auf Kazims Humor

„Hasnain Kazim ist kein Riese, trotzdem hat er den vielleicht breitesten Rücken zwischen Bosporus und Elbe“, adelt das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ den Mann, der im Alten Land aufgewachsen ist und mittlerweile in Wien lebt. Kazim war einst als „Spiegel“-Korrespondent in Istanbul von Erdogan-Anhängern mit dem Tode bedroht worden und stieß wegen humorvoll-kritischer Texte zu deutschen Befindlichkeiten auf Hass und Rassismus. Statt ihn damit mundtot zu machen, treibt es ihn an.

Kazim will wissen, was die anderen denken, die die AfD wählen, die sich abgehängt fühlen, die ihrer Wut freien Lauf lassen, die mit Hasstiraden um sich werfen, die brüllen statt zu argumentieren, die nicht zuhören wollen, bei denen Andersdenkende mit Verachtung überzogen werden. Überall gebe es gefühlt nur noch Drama und Zukurzgekommene. Der neue Populismus, der Gräben aufreiße und Mauern baue, sei für ihn schwer zu verstehen; vor allem sei er schwer aufzulösen.

Essen und Religion haben ihre Relevanz verloren

Kazim ist überzeugt: „Schlecht gelauntes Agieren macht die Welt nicht besser.“ So weit müsse es nicht kommen. Denn „uns verbindet mehr, als uns häufig bewusst ist“. Geschichte, Kultur, die Sprache seien da zu nennen. Kazim würde auch gern die typisch deutsche Küche und die Religion nennen, doch die hätten beide an Relevanz verloren. Ein mutiges Statement in der Kirche, doch Brandy dankte ihm dafür.

Weitere Erfahrung von Kazim während seiner Deutschlandfahrt: Nicht alle, die rechtsradikale Parteien wie die AfD wählen, seien selbst auch rechtsradikal. Sie seien nur enttäuscht vom etablierten System. Mit ihnen das Gespräch zu suchen, ihnen zuzuhören, sei der einzige Weg, um zueinanderzukommen und sie womöglich zurückzugewinnen zu Maß und Mitte. Kazim: „Ich bleibe zuversichtlich, auch wenn es raue Zeiten sind.“

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