TKitz-Mama Corinna: Kutenholzerin päppelt Bambi-Waisen auf

Für das Kitz ist sie die Mutter: Corinna Harms mit ihrem wenige Wochen alten Zögling Reh-Nate. Foto: Bisping
Drohnen mit Wärmebildkameras sind bei der Rehkitz-Rettung hilfreich. Allein im Mai wurden rund um Kutenholz drei gefunden. Corinna Harms nahm sich der Kleinen an. Ein Besuch.
Kutenholz. Mit großen dunklen Augen lugt das winzige Kitz unsicher aus dem Busch hervor. Dann läuft es plötzlich auf staksigen Beinen wieselflink und fiepsend zu seiner Mutter. Doch es ist keine Ricke, bei der sich das Wildtier sicher und geborgen fühlt. Es ist Corinna Harms.
„Für Reh-Nate bin ich eben die Mutter“, sagt die 50-jährige Kutenholzerin. Nicht mal 24 Stunden war das Kitz alt, als es in der ersten Maiwoche gefunden wurde und in ihre Obhut kam. Reh-Nates Mutter hatte den Zusammenstoß mit einem Auto nicht überlebt.
Das Kitz hat noch keinen Eigengeruch
„Die Ricke hatte ihr Kitz irgendwo abgelegt“, erklärt die stellvertretende Vorsitzende der Kreisjägerschaft Stade Julia Seefried. „Das macht sie, um es vor Predatoren zu schützen.“ Denn das Kleine hat noch keinen Eigengeruch, die Ricke kann sich entfernen, Angreifer auf sich lenken. Flieht sie, bleibt das Kitz zurück, bis seine Mutter wiederkommt.
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Darum sei es wichtig, das Junge nicht einfach aufzuheben und mitzunehmen. „Jagdpächter regulieren den Bestand in ihrem Gebiet, sie müssen über einen Fund sofort informiert werden“, sagt Julia Seefried. Auch Streicheln sei nicht gut, denn dann rieche das Kitz nach Mensch und für die Ricke fremd. Sie nimmt es nicht mehr an.

Fremde sind Reh-Nate suspekt. „Was auch gut ist“, sagt Corinna Harms. Foto: Bisping
In Reh-Nates Fall ging es glimpflich aus: Mit Hilfe von Drohnen mit Wärmebildkameras und Helfern wurde die umliegende Fläche so lange abgesucht, bis das Kitz gefunden wurde. Und es hatte doppelt Glück: Corinna Harms ist eine erfahrene Ziehmutter.
Aus diesem Grund nimmt sie Kitze auf
Seit circa acht Jahren kümmert sich die vierfache Mutter um verwaiste Rehkitze. „Ich nehme sie aus Liebe an“, sagt sie. Manchmal klappt es mit der Rettung nicht, zum Beispiel weil sie zu spät gefunden oder gebracht werden. Bei einem Fund heißt es also: schnell handeln.
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Ein Mini-Bambi wie Reh-Nate braucht besonders viel Fürsorge. „Ich habe sofort Biestmilch von einer Schäferin geholt“, erzählt Corinna Harms. Das ist die erste Milch, die Säugetiere nach einer Geburt produzieren. Danach gibt es Ziegenmilch. „Um Reh-Nate musste ich mich die ersten Tage intensiv kümmern, sie bekam alle vier Stunden etwas zu trinken.“ Die erste Flasche gibt es um 4 Uhr morgens, die letzte um 23 Uhr.
Bei einem gerade geborenen Kitz muss Corinna Harms tricksen. „Beim ersten Mal streichle ich es am Hals, damit es trinkt“, sagt sie. Auch das Kotabsetzen gelingt nicht von alleine, der Kitzbauch muss gestreichelt und der Enddarm stimuliert werden.
„Corinna Harms hat im Umgang mit den Kitzen eine einmalige Gabe“, lobt Jens Hariefeld, 1. Vorsitzender der Kreisjägerschaft. Dass sie keine Kosten und Mühen scheue, um die kleinen Tiere durchzubringen, begeistere ihn.
Unfälle mit Rehwild passieren häufig
Der Wildunfall-Statistik des Deutschen Jagdverbandes zufolge ereigneten sich in Niedersachsen 2023/2024 Rehwild-Unfälle deutschlandweit am vierthäufigsten: In diesem Zeitraum starben 23.500 Tiere - mehr als 64 täglich. Angeführt wird die Liste von Bayern (54.510), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (30.550) und Baden-Württemberg (25.090).
In der Brut- und Setzzeit der Wildtiere werden die Wiesen derzeit zu Kinderstuben, informiert Julia Seefried. „In diese Zeit fällt auch der erste Grasschnitt der Grünflächen.“ Gerade im schützenden Bewuchs der Wiesen ziehen die Wildtiere ihren Nachwuchs auf. Wollen Landwirte mähen, melden sie sich 24 Stunden vorher. Die verbleibende Zeit nutzen Jäger und Helfer zur Kitzsuche.

Reh-Ne, das schwarze Kitz, akzeptiert Corinna Harms als Mutter, ist anderen Menschen gegenüber aber zurückhaltend. Foto: Corinna Harms
Reh-Nate ist derzeit nicht das einzige Kitz, dem Corinna Harms ein Zuhause bietet: Am vergangenen Wochenende wurde wieder eine Ricke totgefahren. Drohnenpiloten fanden ein braunes und ein schwarzes Bockkitz. Ihre Namen: Reh-Ne und Reh-Nato. Sie konnten durch die Unterstützung von Helfern eingefangen werden.

Misstrauischer Blick aus den Augenwinkeln: Reh-Nato, eher schüchtern, kann mit Menschen nicht so viel anfangen. Foto: Corinna Harms
Auch ihnen gibt Corinna Harms eine Chance zum Überleben. „Die zwei sind zwischen vier und fünf Wochen alt und schon etwas wilder“, stellt Corinna Harms fest. Mit Reh-Nate verstehen sie sich prächtig. Für das Bambi-Trio wird hinter Harms‘ Haus bald ein Wildtiergehege gebaut. Sind sie ein dreiviertel Jahr alt, werden sie ausgewildert.

Hier wird das Wildgehege entstehen: Corinna Harms (Mitte) mit Julia Seefried und Jens Hariefeld. Foto: Bisping
„Wir danken allen, die sich in den letzten Wochen aktiv an der Wildtierrettung beteiligt haben“, sagen Julia Seefried und Jens Hariefeld. „Sie alle haben einen wichtigen Beitrag im Sinne des Wildtier- und Naturschutzes geleistet.“

Wer zufällig bei Corinna Harms vorbeikommt, kann die Kitzrettung direkt unterstützen. Foto: Bisping
Wer die Kitzrettung unterstützen möchte, kann an das folgende Konto spenden: Jägerschaft im Landkreis Stade e.V., IBAN: DE78 2415 1116 00004967 29.

Reh-Nate wird gefüttert. Foto: Corinna Harms
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