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TKopfverletzungen im Fußball: Wenn der Kopfball zum Risiko wird

Heidenheims Torwart Kevin Müller erlitt im Spiel gegen den VfL Bochum nach einem Zusammenprall in der Luft eine Gehirnerschütterung und wurde noch auf dem Platz minutenlang behandelt.

Heidenheims Torwart Kevin Müller erlitt im Spiel gegen den VfL Bochum nach einem Zusammenprall in der Luft eine Gehirnerschütterung und wurde noch auf dem Platz minutenlang behandelt. Foto: Harry Langer

Laut Studien sind Fußballer nach Kopfverletzungen anfälliger für Gehirnerkrankungen wie Demenz. Große Fußballverbände haben auf diese Erkenntnisse reagiert – der DFB geht einen anderen Weg.

Von Robert Ebner Dienstag, 13.05.2025, 10:00 Uhr

Die Fans des VfL Bochum skandieren den Namen des gegnerischen Torwarts vom 1. FC Heidenheim. Kevin Müller liegt regungslos am Boden. Teamärzte und Sanitäter behandeln ihn mehr als zehn Minuten lang hinter einem Sichtschutz. Bei einer Flanke prallte er in der Luft mit einem Gegenspieler zusammen und stieß beim Herunterfallen mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf. Auf einer Trage verlässt er den Platz. Die Diagnose lautet: Gehirnerschütterung.

Derartige Kopfverletzungen können sich bundesweit in allen Alters- und Spielklassen ereignen. Eine Untersuchung zeigt, dass es spätestens in jedem zweiten Spiel zu einer Kopfverletzung kommt. Im Jugendfußball gibt es in jedem dritten Spiel solche Verletzungen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist im Männerfußball doppelt so hoch wie bei Frauen und Junioren.

Gefährdung für Kinder trotz niedriger Anzahl an Kopfbällen

Das Kopfballspiel ist in den meisten Fällen der Ausgangspunkt für diese Verletzungen – sei es durch einen Zusammenstoß mit dem Gegner oder durch die Kopfbälle selbst. Eine Studie zeigt, dass im Herrenbereich durchschnittlich 118,1 Kopfbälle pro Spiel vorkommen. Bei Kindern ist die Anzahl der Kopfbälle deutlich niedriger. Trotzdem gelten Kinder als besonders gefährdet. Denn es gibt Hinweise darauf, dass Gehirne, die sich noch in der Entwicklung befinden, anfälliger für Schäden sind.

Häufige Kopfbälle können zu Mikroverletzungen im Gehirn führen. Darunter versteht man die kurzfristige Störung der Signalleitung der Nervenzellen. In härteren Fällen stirbt die Nervenzelle ab. Passiert das massenhaft, spricht man von einer Gehirnerschütterung. Untersuchungen zeigen, dass Fußballer, die viel köpfen, bei Tests zum Denkvermögen unmittelbar nach einer Trainingseinheit schlechter abschneiden als andere Sportler.

Fußballer sind viel anfälliger für Demenz und Alzheimer

Aber wie sind die langfristigen Auswirkungen? In einer Untersuchung von 16 ehemaligen Profispielern zeigte sich, dass die graue Hirnsubstanz – verglichen mit Sportarten wie Schwimmen oder Tennis – deutlich abgenommen hatte. Symptome dafür sind eine verminderte Orientierung, Denk- und Gedächtnisleistung sowie Depressionen.

Eine Studie mit 8.000 ehemaligen schottischen Fußballern stellte fest, dass die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, für Fußballer 3,45-mal höher ist als für die Normalbevölkerung – und 4,4-mal höher im Fall von Alzheimer. Zum gleichen Ergebnis, wenn auch abgeschwächt, kommt eine Studie aus Schweden. Die Studien zeigen, dass ein Zusammenhang besteht. Eine Kausalität wurde allerdings nicht nachgewiesen.

Namhafte Fußballprofis berichten von Beschwerden

Mittlerweile haben sich immer mehr Profifußballer zu Wort gemeldet, die über Kopfverletzungen sprechen und ihre Erfahrungen teilen. Darunter der Ex-Profi Raphaël Varane (32), der unter anderem für Real Madrid spielte. Er habe Spiele verpasst, weil er unter Mikroverletzungen gelitten habe, die durch das Kopfballspiel verursacht wurden. Er berichtet von Migräne und Müdigkeit. Karim Onisiwo (33), Stürmer vom 1. FSV Mainz 05, erlitt 2019 im Spiel gegen RB Leipzig eine Kopfverletzung, spielte weiter und schoss danach ein Tor – an das er sich nicht mehr erinnern kann.

Verschiedene Reaktionen auf Studien: DFB geht anderen Weg

Die Erkenntnisse haben für Reformen im Fußball gesorgt. So haben der US-amerikanische und der englische Fußballverband als Konsequenz das Kopfballspiel für unter 12-Jährige verboten. In England gilt das Verbot allerdings nur für das Training.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) verzichtet auf ein Verbot. Das Kopfballspiel soll aber reduziert werden. Zudem gelten neue Richtlinien: Im Juniorenfußball sollen leichtere Bälle mit angepasstem Ballinnendruck verwendet werden. Beim Kopfballtraining sollen Schaumstoffbälle verwendet werden. Die Kräftigung der Nackenmuskulatur soll dabei helfen, die Krafteinwirkung des Balls besser abzufangen. Und ein Fokus auf die richtige Kopfballtechnik soll präventiv schützen.

Forderungen von Spielerseite ändern das Spiel massiv

Der ehemalige englische Verteidiger Terry Butcher (66) fordert die vollständige Abschaffung des Kopfballspiels. Dieser Eingriff stößt auf viel Gegenwind. Eine weitere Idee kam vom Bundesligaspieler Klaus Gjasula (35): Er forderte in der Vergangenheit eine Helmpflicht für alle Profifußballer. Er selbst trug jahrelang einen Kopfschutz, nachdem er sich bei einem Kopfballduell das Jochbein gebrochen hatte.

Veränderungen können schmerzhaft sein. Die Anschnallpflicht beim Autofahren gilt seit dem 1. Januar 1976 – und sorgte damals für heftige Proteste. Viele fühlten sich in ihrer Freiheit eingeschränkt. Fast 50 Jahre später ist das Anschnallen selbstverständlich geworden. Tausende Tote konnten dadurch verhindert werden. Keine Veränderung kann am Ende noch schmerzhafter sein.

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