TKraft von einer Tonne: Forscher testen Rotorblätter in Krummendeich

Der erste Seilzug-Test für die Rotorblätter der Windkraftanlagen im Forschungswindpark in Krummendeich. Foto: DLR
Es sind immense Kräfte, die auf die Rotorblätter von Windkraftanlagen wirken. Die Forscher in Krummendeich haben genau das untersucht - mit einem klaren Ziel vor Augen.
Krummendeich. Das Ziel aller Tests, die an den beiden Windkraftanlagen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemacht werden, ist die Entwicklung leiser, langlebigerer und effizienterer Windkraftanlagen. Daher befestigte das Versuchsteam Seilzüge an unterschiedlichen Stellen an den Rotorblättern und zog daran. Insgesamt befinden sich in den beiden Forschungswindkraftanlagen in Krummendeich, auf Messmasten und im Gelände mehr als 2000 Sensoren. Diejenigen direkt in den Rotorblättern spielen eine besonders wichtige Rolle.
Sensoren funktionieren wie Nervensystem
„Die Sensoren kann man sich wie das menschliche Nervensystem vorstellen. Sie sammeln Informationen und überwachen, welche Belastungen auf das Rotorblatt wirken“, sagt Dr.-Ing. Yves Govers vom DLR-Institut für Aeroelastik. Trifft der Wind auf die Blätter, biegen sie sich. Je nach Windstärke und Position des Rotorblatts können das mehrere Meter sein. Gleichzeitig verdrehen sie sich.
Im Mittelpunkt des Tests standen sogenannte Dehnungssensoren. Sie sind an fünf Stellen über die rund 57 Meter langen und knapp 17 Tonnen schweren Rotorblätter verteilt. Vereinfacht funktionieren Dehnungssensoren wie Gummibänder, an denen man zieht und sie dann wieder loslässt.
Seilzüge ziehen an den Rotorblättern
„Beim Versuch haben wir an den Rotorblättern mit einer festgelegten Last gezogen und gemessen, wie sich die Dehnungsstreifen verformen. Erst mit diesen Daten können wir die Belastung im Betrieb exakt berechnen“, erklärt Yves Govers das Vorgehen. „Der Test war also eine wichtige Voraussetzung, um die permanent gemessenen Dehnungsdaten auszuwerten, zu verstehen und mit anderen Messgrößen in Verbindung zu bringen. In der Fachsprache nennen wir diesen Prozess Kalibrieren.“
Das Team um Govers untersuchte die Rotorblätter nacheinander. Zuerst hielten sie die Blätter in einer Stellung horizontal zum Boden an. Im Korb eines Krans ging es dann in rund 90 Meter Höhe, um ein Holzgerüst – die Lastschere – am Rotorblatt zu montieren. An der Lastschere befestigte Seile wurden mit einem Seilzug nach unten gezogen.
Belastung entspricht Gewicht eines Kleinwagens
Schritt für Schritt steigerten die Forscher die Belastung bis zu einem Maximum von rund einer Tonne – ungefähr dem Gewicht eines kleinen Autos. Für jedes Rotorblatt führten sie diesen Vorgang fünfmal aus. Dabei befestigten sie die Seile an unterschiedlichen Stellen der Lastschere, um so auch das Verdrehen der Blätter zu simulieren.
Wissenschaftler vom Institut für Turbomaschinen und Fluiddynamik der Universität Hannover beobachteten mit speziellen Kameras, wie sich das Rotorblatt unter der Belastung verformt. Dazu nutzten die Forscher die vielen schwarzen Messpunkte auf der Oberfläche der Rotorblätter.
Test war der erste seiner Art
„Dieser Test war der erste seiner Art in einer derart hoch instrumentierten Forschungsanlage. Die Sensoren haben sehr gut funktioniert und Daten von hoher Qualität geliefert. Auch die Übertragung an die einige Hundert Meter entfernte Leitstelle, wo alle Daten aus dem Forschungspark gespeichert und weiterverarbeitet werden, hat einwandfrei geklappt“, bilanziert DLR-Experte Govers.
In den nächsten Monaten steht das Auswerten der Daten im Vordergrund. Auf deren Grundlage entwickeln die Forscher dann eine Kalibrierungsprozedur. Sie kann immer wieder angewendet werden, um die Sensoren einzustellen.
Windkraftanlagen beeinflussen sich gegenseitig
Die Daten aus dem Forschungswindpark dienen nicht nur der Planung leichterer und effizienterer Windenergieanlagen, auch Simulationsmodelle lassen sich damit weiterentwickeln. Als besonders interessant gilt dabei der sogenannte Nachlauf-Effekt: Darunter versteht man die Auswirkung einer Windenergieanlage auf die hinter ihr stehenden Anlagen.
Denn die erste Anlage verwirbelt den Wind, bevor dieser auf die nächsten Anlagen trifft. Auf Anlagen im Nachlauf wirken damit andere Belastungen, die Effizienz und Materialverschleiß beeinflussen können. In Krummendeich stehen deshalb beide Windenergieanlagen direkt hintereinander.

Ein Enercon-Mitarbeiter bedient den Seilzug: Die Belastung wird peu à peu bis auf eine Tonne gesteigert - das Gewicht eines kleinen Autos. Foto: DLR