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Zeitgeschichte

TKriegsgefangener der Nazis: Auf den Spuren des Großvaters in Dollern

Debbie Bülau sucht Informationen zu Georges Quignion (1907 - 1976) aus Amiens. Er musste von 1940 bis 1945 als Kriegsgefangener unter anderem in Dollern arbeiten.

Debbie Bülau sucht Informationen zu Georges Quignion (1907 - 1976) aus Amiens. Er musste von 1940 bis 1945 als Kriegsgefangener unter anderem in Dollern arbeiten. Foto: Vasel

Georges Quignion wurde im Zweiten Weltkrieg von den Nazis interniert und musste schuften. Seine Enkelin hat viele Fragen. In Dollern sucht die Familie nach Antworten.

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Von Björn Vasel
Mittwoch, 12.03.2025, 16:05 Uhr

Dollern. Georges Quignion aus Amiens war gleich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Kriegsgefangenschaft geraten. Die Nazis hatten Frankreich innerhalb von nur fünf Wochen im Zuge der Westoffensive besiegt. Die Deutschen sperrten 1,6 Millionen Soldaten in Lager, fast zehn Prozent der männlichen Bevölkerung Frankreichs. Viele kamen in das zentrale Kriegsgefangenenlager für den Wehrkreis X nach Sandbostel. Quignion trug die offizielle Bezeichnung Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager (Stalag) X B. 37.000 überlebten die Gefangenschaft nicht - Georges Quignion schon. Er trug die Gefangenennummer 80966.

Kriegsgefangene mussten auch in Dollern arbeiten

Das Lager war anfänglich auf 10.000 Kriegsgefangene ausgelegt. Im Zuge der Vorbereitungen auf den sogenannten Westfeldzug, den Überfall auf Belgien, die Niederlande und Frankreich, erweiterte die Wehrmacht die Kapazitäten durch weitere Holzbaracken auf 30.000 Kriegsgefangene. Um 1942 zählte das Lager mehr als 150 Gebäude.

Georges Quignion ist der Dritte von links in der zweiten Reihe.

Georges Quignion ist der Dritte von links in der zweiten Reihe. Foto: privat/Lintot

Viele der Gefangenen mussten in der Industrie, in Handel und Gewerbe oder in der Landwirtschaft wie Sklaven arbeiten. Zu Letzteren gehörte Quignion. Er musste auf Höfen in und um Dollern auf der Stader Geest arbeiten. Das Arbeitskommando 75 unterstand dem Stalag XB in Sandbostel, weiß die Heimatforscherin Debbie Bülau.

Französin Geneviève Lintot auf den Spuren ihres Großvaters

Geneviève Lintot sucht mit ihrer Mutter Margaret nach Informationen über ihren Großvater Georges Quignion. „Ich habe ihn nicht kennengelernt, und das Einzige, was ich hatte, war ein Foto mit dem Stalag-XB-Stempel“, sagt Lintot.

Ihr Großvater habe niemals über den Krieg gesprochen. Er habe lediglich erzählt, „dass er für eine Frau arbeitete, die sehr nett war und die selbst ihre beiden Söhne wegen dieses Krieges verloren hatte“. Über Facebook hat seine Enkelin vor einiger Zeit Bülau um Hilfe gebeten.

Georges Quignion war Textilarbeiter in Nordfrankreich, in Cosserat in Amiens. „Er spielte gerne Akkordeon und Mandoline, als er jung war. Er spielte vor dem Krieg auf populären Bällen“, sagt seine Enkelin. Er starb am 26. März 1978 im Alter von 68 Jahren.

Geneviève Lintot, hier mit ihrer Mutter Margaret, sucht nach Informationen über ihren Großvater Georges Quignion. Er war Kriegsgefangener in Dollern.

Geneviève Lintot, hier mit ihrer Mutter Margaret, sucht nach Informationen über ihren Großvater Georges Quignion. Er war Kriegsgefangener in Dollern. Foto: privat/Lintot

„Auf welchem Hof er gearbeitet hat, ist unbekannt“, sagt Bülau. Sie hat vor Ort recherchiert und unter anderem mit dem Dollerner Dorfchronisten Egon Hagenah gesprochen. Auf dem Ehrenmal auf dem Friedhof stehen die Namen von vier Männern, deren Höfe und Familien möglicherweise infrage kommen.

Die Namen Christoph (15. Oktober 1924 - 15. August 1944) und Heinrich Corleis (Hinrich 9. Mai 1911 - 2. Juli 1942) sowie Hans-Georg Franzen (1. November 1929 - 19. Oktober 1943) und Jochim Franzen (13. August 1920 - 21. Januar 1945) sind in den Granit gemeißelt. Bislang verlief die Suche nach Angehörigen im Sande.

Franzosen wurden besser als Russen behandelt

Debbie Bülau hofft, dass sich aufgrund des TAGEBLATT-Artikels möglicherweise Nachfahren melden. Dorfchronist Egon Hagenah vermutet, dass es sich um die Familie Franzen handelt. Sie betrieb in der Dorfstraße 4 einen 36 Quadratmeter großen Tante-Emma-Laden, der später von Edeka-Drewes übernommen wurde. Später stand hier ein Altenheim.

Laut der Dorfchronik lebten etwa 18 bis 25 französische Kriegsgefangene in Dollern. Sie sollen zuerst in einem Keller unter dem Saal der Gastwirtschaft Hauschildt an der Altländer Straße untergebracht gewesen sein. Später seien die französischen Kriegsgefangenen nachts im vergitterten Clubzimmer des Schützenhofs (Hauptstraße 18) eingesperrt worden. Dieser brannte später ab.

Georges Quignion war Kriegsgefangener in Dollern.

Georges Quignion war Kriegsgefangener in Dollern. Foto: privat

Außerdem gab es etwa 36 Russen im Dorf - in einem weiteren Lager. So steht es in den Dokumenten der Arolsen Archives und der Gemeinde Dollern. Die Russen seien weniger komfortabel in einem Milchkühlhaus vor dem Hof Stüven auf dem Brink untergebracht gewesen.

„Das war ein kalter, fensterloser Raum“, sagt Egon Hagenah. Für die Nazis waren die Sowjetsoldaten aufgrund der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus „wertlose Untermenschen“. Wiederholt gab es Bombenangriffe der Alliierten, bei diesen starben auch Kriegsgefangene.

Besuche sind ein Beitrag zur Völkerfreundschaft

Hagenah wird die Familie im Mai mit Bülau durch das Dorf führen. Er hatte bereits Besuch von einem Belgier. Sein Verwandter hatte wie Quignion in Dollern schuften müssen. Er stammte aus Ypern, einer Stadt, die für die Schrecken des Ersten Weltkrieges, für den sinnlosen Stellungskrieg in Schützengräben steht. Auch der Großvater von Hagenah ließ 1917 hier sein Leben. Gemeinsam mit dem Belgier besuchte er später Ypern.

„Diese wechselseitigen Besuche sind ein wichtiger Beitrag zur Aussöhnung und zur Völkerfreundschaft“, ist sich der Dollerner mit Bülau einig. Die Familie von Quignion wird Ende Mai nach Dollern kommen. „Wir wollen herausfinden, wo Georges gearbeitet hat. Die Familie möchte Nachkommen kennenlernen und mit Menschen sprechen, die vielleicht noch etwas zu den Kriegsgefangenen wissen“, sagt Bülau. Kontakt: 04762/183624.

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