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Leserbriefe

TKunstfreiheit setzt Kunst voraus

Zum Artikel „Layla-Star kommt nach Steinkirchen“ (TAGEBLATT vom 29. Juli) schreibt Paul Sachse aus Grünendeich:

Dienstag, 30.07.2024, 10:43 Uhr

Das Volk der Dichter und Denker am Ballermann.

Das Image, vom Volk der Dichter und Denker, war schon, als es noch nicht verstaubt war, eine überzogene Selbstverherrlichung. „Mainz wie es singt und lacht“ und vergleichbare Veranstaltungen hatten schon vor Jahrzehnten deutlich gemacht, dass dieses Volk mehrheitlich eine gehörige Menge Alkohol benötigt, um so etwas Ähnliches wie Humor zu entfalten.

Aber da gab es noch, im Norden mehr als im Süden, eine vernunftbegabte Mehrheit, die diese intelligenzfreien Auswüchse auf wenige Wochen im Jahr begrenzten. Seit dem Aufkommen der „eventseeligen“ ganzjährigen Ballermann-„Kultur“, wo die Volksdroge aus Eimern geschlürft wird, ist offensichtlich dieser Gesellschaft der moralische Kompass verloren gegangen.

Wer auf St. Pauli einmal hinter die Kulissen geschaut hat, der weiß, dass das Leben der Laylas nicht für fünf Pfennig witzig ist. Dort arbeiten Frauen, die niemals durch ihre „Arbeit“ zu Wohlstand kommen werden. Nicht die Laylas sind „geil“, die Männer sind es, nicht selten verheiratet, die bei den benutzten Frauen ihre „Notgeilheit“ loswerden wollen.

Es ist alles andere als vergnüglich diese mal hässlichen, mal betrunkenen, mal schlecht riechenden Herrschaften über sich ergehen zu lassen. Da haben die Laylas wenig Wahlmöglichkeiten, denn am Morgen muss die Kasse stimmen, und was immer sich die Gesellschaft in die Tasche lügt, am Ende fährt ein Beschützer mit seinem Mustang, von seiner Villa in Blankenese zu seiner Motorjacht an der Riviera.

Die Zeile, die so scheinbar harmlos daher kommt, „sie ist schöner, jünger, geiler“ sollte vor allem den mitgrölenden Frauen im Halse stecken bleiben. Ob sie Mütter sind oder einmal werden, sie sollten wissen, dass jeder siebte bis achte Minderjährige, davon vor allem Mädchen, einem Missbrauch ausgeliefert sind. Von der Dunkelziffer ganz zu schweigen. Da macht nichts, aber auch gar nichts „gute Laune“.

Als Musiker, Maler und Kunstpädagoge muss ich abschließend in aller Deutlichkeit sagen, um einen Eingriff in die Kunstfreiheit vornehmen zu können, muss erst einmal Kunst vorhanden sein. Dennoch bin ich gegen ein Verbot, denn das richtet sich hilflos gegen diejenigen, die angetrunken mitgrölen, statt nüchtern zu pfeifen und buh zu rufen.

Zur Dekadenz unserer Gesellschaft, dem schleichenden Zerfall unserer Normen und Werte fallen mir nur die Worte von Max Liebermann ein: Ich kann gar nicht so viel essen wie ich ... möchte.

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