TLeonies Ehe-Martyrium – Es fing mit einer Ohrfeige an

Zuerst eine Ohrfeige, kurz darauf folgen Fausthiebe: Frauen wie Leonie erleben in ihrer Partnerschaft viele Arten der Gewalt. (SYMBOLBILD) Foto: Peter Steffen/dpa
Leonie erlebt über Jahre hinweg häusliche Gewalt – psychisch, physisch und sexuell. Doch der Wunsch, ihr Kind zu schützen, gibt ihr die Kraft zur Flucht. Ihre Geschichte ist eine von Angst und von Mut.
Rotenburg. Er ist ihre erste große Liebe, ihre erste richtige Beziehung. Als sie sich bei der Arbeit kennenlernen, sind beide 19 Jahre alt. Leonie, deren echter Name zu ihrem Schutz nicht genannt wird, ist verliebt. „Blind vor Liebe“, wie sie rückblickend resümiert.
Dass dies der Anfang eines wahren Martyriums ist, ahnt die junge Frau vor zehn Jahren nicht. Ihr damaliger Freund und heutiger Ex-Mann wird ihr psychisch und physisch über Jahre hinweg großes Leid zufügen. Doch ihr gelingt die Flucht aus der gewaltvollen Beziehung und der Neubeginn eines unabhängigen Lebens.
Ihre erste große Liebe wird zum Alptraum aus Kontrolle und Gewalt
„Am Anfang der Beziehung war alles schön“, erinnert sich die heute 29-Jährige. „So, wie man sich eine junge Liebe eben vorstellt.“ Doch nach zwei oder drei Jahren ändert sich die Situation. „Er hat mich zunächst von meinen Freunden isoliert, war sehr eifersüchtig. Ich durfte keine männlichen Freunde mehr haben.“ Es sei ein schleichender Prozess gewesen.
Dass das Verhalten ihres damaligen Partners falsch gewesen sei, habe sie erst realisiert, als es schon zu spät gewesen ist. Sie leben bereits zusammen, er isoliert sie immer mehr, kontrolliert ihre Finanzen, verbietet ihr sogar aus Eifersucht die Arbeit im Gastronomiebereich, unterstellt ihr, mit den männlichen Gästen zu flirten.
Schläge, Demütigungen und Vergewaltigungen bestimmen den Alltag
Erniedrigungen, Isolation und psychische Gewalt sind nach wenigen Jahren Alltag für die junge Frau. Er kontrolliert ihr Handy, verbietet ihr die Nutzung von sozialen Medien, installiert in der gemeinsamen Wohnung Kameras, um seine Partnerin zu überwachen. Nach etwa drei oder vier Jahren folgt körperliche Gewalt. „Es fing mit einer Ohrfeige an“, berichtet Leonie. „Ich war schockiert, hatte aber gehofft, dass das ein einmaliger Vorfall war.“
Doch es folgen schon bald Fausthiebe. „Ich habe die Schuld oft bei mir gesucht und mich gefragt, ob ich ihn provoziert hatte. Und ihn in Schutz genommen. Er hatte eine schwierige Kindheit und wurde selbst oft geschlagen.“ Sie will den Glauben an die Beziehung nicht verlieren, das Paar heiratet sogar.
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Doch die Gewalt nimmt zu: Es folgen Tritte, Schläge, Beleidigungen und Vergewaltigungen – auch anal. „Damals hatte ich mich mehrfach an die Polizei gewandt, doch für eine Anzeige fehlte mir der Mut. Mir hätte ein Hinweis auf ,ProBeweis‘ geholfen“, schildert Leonie ihre damalige Lage. „ProBeweis“ ist ein Hilfsangebot, bei dem Beweise nach einer Vergewaltigung vertraulich gesichert werden, auch wenn (noch) keine Anzeige erfolgt.

Misshandelte und vergewaltigte Frauen können sich nach einem Übergriff in sogenannten Beweisambulanzen untersuchen lassen, ohne bei der Polizei Anzeige erstatten zu müssen. Foto: Julian Stratenschulte
Selbst schwanger bleibt sie nicht verschont
Als Leonie sich 2016/2017 doch zu einer Anzeige durchringen kann, fehlen die notwendigen Beweise. Doch die Anzeige bewirkt immerhin eine kurzzeitige Besserung. „Ich hatte wirklich gehofft, er hätte sich nun geändert“, erklärt Leonie, die damals kurzzeitig den Mut für eine Trennung aufgebracht hat. Doch die soziale, finanzielle und psychische Abhängigkeit ist zu groß. Sie kommen wieder zusammen.
Leonie wird die gewaltvolle Beziehung noch viele Jahre aushalten, unfähig, sich aus eigener Kraft zu befreien – ein Schicksal, das sie mit vielen Frauen in ähnlichen Situationen teilt. Im Jahr 2021 wird Leonie schwanger, die Entscheidung dafür hat einzig und allein der Partner getroffen. Rückblickend ist sie froh über die Geburt ihres Kindes: „Mein Kind hat mir die Kraft gegeben, meinen Mann zu verlassen.“ Doch selbst während der Schwangerschaft hört die Gewalt nicht auf. „Als ich mit dem Baby im fünften Monat schwanger war, hat er mich bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt“, berichtet sie ganz sachlich und erklärt, dass sie nie Angst um ihr eigenes Leben gehabt, aber seit Beginn der Schwangerschaft stets Angst ums Kind verspürt habe.
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Die Angst um das Kind ist es auch, die Leonie antreibt, einen Ausweg zu suchen. Sie wagt einen ersten Anlauf und flüchtet im August 2022 in ein Frauenhaus außerhalb des Landkreises Rotenburg. Doch die Erfahrungen dort sind alles andere als hilfreich, die Frauen müssen unter anderem fürs Wäschewaschen Geld bezahlen, obwohl die Schutzsuchenden in der Regel kaum über eigene finanzielle Mittel verfügen. „Auch die Frage einer Frauenhausmitarbeiterin, warum ich meinen Ex-Mann überhaupt geheiratet hätte, war in dem Moment nicht besonders hilfreich.“ Die allgemeine Situation führt Leonie wieder zurück zum gewalttätigen Partner.
Flucht ins Frauenhaus des Landkreises Rotenburg
Doch schon im Oktober 2022 wird Leonie erneut Hilfe in einem Frauenhaus suchen. „Er hat mich geschlagen, als ich unser Kind auf dem Arm hatte“, berichtet sie von der Schlüsselszene, die sie ins Frauenhaus des Landkreises Rotenburg führt. Ihr Ex-Partner kann sich mit der Trennung nicht abfinden, versucht zwischendurch, über das Kind den Kontakt zu halten und Leonie weiterhin zu kontrollieren. „Er hatte dem Jugendamt erzählt, ich würde Drogen konsumieren und mich prostituieren“, erinnert sich die 29-Jährige an den Sorgerechtsstreit. Sie kann die Vorwürfe mit einem Drogentest widerlegen.
Als Leonie im November 2022 noch mal ihren Ex trifft, um ihre Sachen aus der gemeinsamen Wohnung zu holen, spitzt sich die Situation zu. Es folgen Szenen wie aus einem Film. Ihr Ex-Partner will das gemeinsame Kind noch einmal im Arm halten. Leonie zögert, gibt aber nach. Doch als der Mann das Kind hat, läuft er plötzlich zu seiner Mutter, die im Auto wartet. Sie fahren mit dem Kind los.
Obwohl Leonie sich noch dem Auto entgegenstellt, einige Meter auf der Motorhaube mitfährt, um ihr Kind zu beschützen, können die beiden mit dem Kind flüchten. Erst vier Stunden später holen Polizei und Jugendamt das Kind zurück und übergeben es der Mutter. Am Ende erhält Leonie das alleinige Sorgerecht, der Ex sitzt inzwischen wegen anderer Straftaten im Gefängnis.
Mittlerweile baut sich Leonie ein neues Leben auf ohne Angst vor Gewalt
Leonie bleibt bis Januar 2023 im Frauenhaus, erfährt dort die Hilfe, die sie braucht. Sie sucht sich eine eigene Wohnung in einem anderen Landkreis, baut sich mit ihrem Kind langsam, aber hartnäckig ein neues Leben auf. Doch es war und ist harte Arbeit, „eine Achterbahn der Gefühle“. Nach Jahren der sozialen Isolation hat sie inzwischen ein paar enge Freunde gefunden, ihr Kind wird gerade im Kindergarten eingewöhnt. Sobald ihr Kind sich dort wohlfühlt, möchte Leonie arbeiten, auf eigenen Beinen stehen.
Einen neuen Partner suche sie derzeit nicht, sie habe das Vertrauen in Männer generell verloren. „Vermutlich brauche ich erst mal eine Therapie, um eine gesunde Beziehung aufzubauen“, fasst sie nüchtern zusammen. Dafür fehle ihr als alleinerziehende Mutter jedoch im Moment die Zeit. Verbittert wirkt sie dabei nicht, auch über ihren Ex verliert sie kein Wort des Hasses, sie bleibt in ihren Erzählungen stets sachlich.
„Durch das, was ich erlebt habe, genieße ich jetzt jeden Augenblick des Lebens mehr. Ich bin frei, kann selbst Entscheidungen treffen.“ Frauen, die sich in ähnlichen Situationen befinden, rät sie: „Trennt euch! Wenn ich das geschafft habe, könnt ihr das auch. Es wird immer eine Grenze überschritten, es bleibt nicht bei einer Ohrfeige.“ (rk)