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TLong Covid: 32-Jährige schildert ihren Leidensweg

Was viele Long-Covid-Betroffene erst einmal akzeptieren lernen müssen: Auch «kleine» Aufgaben im Haushalt kosten Energie (Symbolbild).

Was viele Long-Covid-Betroffene erst einmal akzeptieren lernen müssen: Auch «kleine» Aufgaben im Haushalt kosten Energie (Symbolbild). Foto: Annette Riedl/dpa

Nach zwei Corona-Infektionen ist die ehemals sportliche 32-Jährige auf die Pflege ihres Mannes angewiesen. „Ich benötige doch rund um die Uhr Unterstützung“, sagt die Cuxhavenerin.

Von Wiebke Kramp Sonntag, 14.07.2024, 09:50 Uhr

Cuxhaven. Das Leben dieser jungen Frau aus Cuxhaven ist nicht mehr wie vorher. Zwei Corona-Infektionen haben alles durcheinandergewirbelt. Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst und auf die Pflege ihres Mannes angewiesen und kämpft um Anerkennung.

Auf den ersten Blick ist der zierlichen Flora ihre schwere Erkrankung nicht anzusehen. Die 32-Jährige, die anders heißt (ihr Name ist der Redaktion bekannt), hat sich gut geschminkt - und dennoch ist auf den zweiten Blick zu erkennen, dass sie unter ihrem Make-up sehr blass ist.

Außerdem ist sie vollkommen außer Atem, als sie es mithilfe ihres Mannes die beiden Stockwerke hoch in die Redaktion geschafft hat. Sie ringt nach Luft und muss sich nach dem Treppensteigen erst einmal ein paar Minuten sammeln, bevor sie ihr Schicksal schildern kann. Es ist ein Leben mit Long Covid.

Beschwerden beginnen während Erkrankungsphase

Diese Krankheit machte aus einer sportlichen jungen Frau einen Pflegefall. Long Covid bezeichnet längerfristige, gesundheitliche Beeinträchtigungen im Anschluss an eine SARS-CoV-2 -Infektion, die über die akute Krankheitsphase von vier Wochen hinaus vorliegen, teilt das Robert-Koch-Institut (RKI) mit.

Die Beschwerden beginnen laut RKI entweder bereits in der akuten Erkrankungsphase und bleiben längerfristig bestehen, oder treten im Verlauf von Wochen und Monaten nach der Infektion neu oder wiederkehrend auf. Personen mit Long Covid berichten dem RKI zufolge über sehr unterschiedliche körperliche und psychische Symptome. Diese können sowohl einzeln als auch in Kombination auftreten und von sehr unterschiedlicher Dauer sein.

Bislang lasse sich daher kein einheitliches Krankheitsbild abgrenzen. Zudem seien die zugrunde liegenden Mechanismen bisher nicht geklärt, was die Diagnostik und Behandlung gesundheitlicher Langzeitfolgen erschwert.

Diese bittere Pille musste auch Flora schlucken. Angesteckt hat sie sich im Herbst 2020 als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Sanderbusch in der Nähe von Wilhelmshaven, wo das Ehepaar bis Februar gelebt hat. Sieben Wochen dauerte damals ihre Corona-Infektion - seitdem ist nichts mehr, wie es vorher war.

Flora kam seitdem nicht mehr richtig auf die Beine. „Ich habe gemerkt, etwas stimmt nicht mit mir.“ Bei der Arbeit wurde ihr immer wieder schwarz vor Augen, sie hatten hohen Puls und niedrigen Blutdruck. Immer wieder fiel sie in Ohnmacht. Ihr Hausarzt verschrieb ihr Stützstrümpfe.

Bis zur Diagnose vergeht viel Zeit

Und bis es zur Diagnose kam, dauerte es. „Das wurde dann schnell auf die psychische Schiene geschoben.“ Der zurate gezogene Psychiater bescheinigte Flora aber, dass mit ihrem Seelenheil alles in Ordnung sei. Erst ein Jahr später stellte eine Aushilfsärztin die Diagnose Long Covid, die im November 2021 in der Long-Covid-Ambulanz in Bremen schließlich bestätigt wurde.

Seitdem suchte sie etliche Ärzte auf, nahm an verschiedenen Studien in ganz Deutschland teil. An der Uniklinik Frankfurt diagnostizierte ein Kardiologe bei ihr eine Herzmuskelentzündung. Er war allerdings der einzige Facharzt. Andere Kardiologen meinten, ihr Herz sei in Ordnung.

Ein Arzt in Sande stellte schließlich fest, dass sie unter POTS leidet. Als posturales Tachykardiesyndrom (POTS) wird das Auftreten eines inadäquaten Herzfrequenzanstiegs bezeichnet. Es sorgt dafür, dass vor allem beim Aufstehen ihr Herz zu rasen anfängt, während der Kreislauf absackt und ihr schwindelig wird.

„Ich muss ganz langsam aufstehen, sonst schießt mein Puls in die Höhe. Manchmal schaffe ich es überhaupt nicht aus dem Bett“, berichtet sie. Und die Angst ist ständiger Begleiter. Sie ist beim Duschen oder Baden zum Beispiel auf die Pflege durch ihren Mann angewiesen.

Es gibt Zeiten, in denen er in der Woche auswärts tätig ist. Dann bereite er am Wochenende ihr Essen für die ganze Woche vor, sodass sie es nur noch aufwärmen müsse. Duschen und Baden verschiebt Flora dann auf die Zeit, wenn ihr Mann zu Hause ist.

Von der Berufsgenossenschaft alleingelassen

Von ihrer Berufsgenossenschaft, der Unfallkasse Bremen fühlt sie sich ziemlich alleingelassen. „Ich erreiche da kaum jemanden.“ Um alles müsse sie sich selbst kümmern. Ein Beispiel: Nachdem sie in Bad Reichenhall eine Reha absolvierte, bei der sie sich ein zweites Mal mit Corona infizierte, gab es eine Reihe von Therapievorschlägen, aber ihre Unfallkasse setzte bislang nichts davon um. Von anderen Long-Covid-Patienten habe sie erfahren, dass es wirksame Therapieansätze wie Blutwäsche gebe, aber sie komme da bei ihrem Kostenträger nicht weiter.

Gegenwärtig bezieht Flora Arbeitslosengeld, nachdem das Verletztengeld eingestellt worden sei. Denn sie benötigt ein Gutachten, damit es weitergezahlt werde. Allerdings heiße es seitens der Unfallkasse, sie solle abwarten, weil es momentan keine Gutachter gebe, um die Beziehung einer Verletztenrente festzustellen. Aber ohne Gutachten, kein Geld. „Momentan bekomme ich noch bis August Leistungen vom Arbeitsamt, aber eigentlich steht mir doch eine Verletztenrente zu. Ich kann nicht arbeiten gehen.“

Auch die Deutsche Rentenkasse sei bisher keine Hilfe gewesen. „Ein Gutachter habe ihren Zustand auf ihre Psyche geschoben, ein weiterer halte sie für voll arbeitsfähig, trotzdem sie bei der Beurteilung die Übung habe abbrechen müssen. „Wie soll denn das gehen? Ich benötige doch rund um die Uhr Unterstützung. Normale Aktivitäten sind mir nicht möglich.“ Bett, Sofa und Toilette stellten ihren Aktionsradius dar. Ganz normale Dinge wie einkaufen gehen könne sie nur, wenn ihr Mann dabei ist.

Vorgänge mit Kassen und Behörden füllen Aktenordner

Die Vorgänge mit Kassen und Behörden füllen mittlerweile Aktenordner und sorgen für Nervenproben. Die Finanzen der Familie haben unter der Krankheit gelitten, dass zurzeit finanziell etwa ein Urlaub undenkbar seien. Auch die sozialen Kontakte von Flora sind gen null gesunken. Mangels Verständnis für ihre Krankheit hätten sich viele Bekannte abgewandt. Erschwerend hinzu komme die neue Umgebung in Cuxhaven.

Den Kinderwunsch haben sie und ihr Mann weit nach hinten geschoben. Ihre Hoffnung auf ein besseres Leben hat Flora bis jetzt nicht aufgegeben. „Ich möchte doch fitter werden. Denn wenn nichts passiert, sehe ich mich in drei Jahren nur noch im Bett liegend.“ (bel)

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