TMit 90 soll Schluss sein: Renate Engel will Porzellanladen schließen

Seit 61 Jahren unzertrennlich: Renate Engel und ihre Angestellte Erika Bockelmann. Foto: Stehr
Seit 90 Jahren wird im Kaufhaus Engel in Stade-Bützfleth Porzellan verkauft. Genauso lange lebt auch Renate Engel schon. Die Geschichte eines Kult-Geschäfts und einer außergewöhnlichen Freundschaft.
Stade. Die alte Kaufhaustür aus Glas schwingt auf, eine laute Klingel ertönt und der Besucher steht plötzlich in einer ganz eigenen Welt. Einer Welt aus Porzellan und Glas, jedes Stück liebevoll in Szene gesetzt. Unzählige Tassen, Teller, Figuren, Gläser, Karaffen, Vasen und mehrteilige Tafelservice von Rosenthal, Kayser oder Hutschenreuther in allen erdenklichen Designs füllen die Regale.

Renate Engel denkt mit 90 so langsam ans Aufhören. Noch ist aber viel Ware da. Foto: Stehr
Das Geschäft an der Hauptstraße in Stade-Bützfleth in dem Fachwerkhaus aus dem 18. Jahrhundert ist die Welt von Renate Engel. Kaum zu glauben: Sowohl das Kaufhaus Engel als auch die Inhaberin sind jetzt 90 Jahre alt und offenbar von Anfang an füreinander bestimmt gewesen. Auf jeden Fall sind sie zusammen alt geworden. „Es kam eigentlich ziemlich spät, dieses Altwerden“, sagt Renate Engel und lacht.
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Dass sie heute immer noch zwei Tage die Woche gemeinsam mit ihrer treuen Angestellten Erika Bockelmann ihr gutes Porzellan verkauft, überrascht sie selbst ein bisschen. Langsam sei es nun aber vielleicht doch an der Zeit, ans Aufhören zu denken. Deshalb gibt es jetzt Prozente auf die Ware, die noch in Ruhe abverkauft werden soll. „Wir haben keine Eile“, sagt Renate Engel.
Mit 17 fing Renate Engel im Kaufhaus Engel an
Zurück ins Jahr 1952. Damals war Renate Engel 17 Jahre alt, kam frisch von der Hauswirtschaftsschule in Stade und suchte einen Job. Sie sei schon immer fasziniert gewesen von den großen Schaufenstern im Kaufhaus Engel, in denen Gemischtwaren aller Art - vom Gartengerät bis zum Spielzeug - und natürlich auch ganz viel Porzellan ausgestellt waren.

Das Kaufhaus Engel in der Nachkriegszeit. Foto: Stehr
„Mit dem Lernen hatte ich es nicht so, aber ich hatte große Lust zu dekorieren“, sagt Renate Engel. Was sie damals noch nicht ahnte: Ihr späterer Mann Werner Engel, Sohn der Geschäftsinhaber, hatte sie oft beim Schaufensterbummel beobachtet und sich gesagt: Die heirate ich mal.

Das Fachwerkhaus an der Hauptstraße wurde im 18. Jahrhundert als Geschäftshaus gebaut. Seit 1935 ist es im Besitz der Familie Engel. Foto: Stehr
Flucht aus Westpreußen
So kam es dann auch. Einen Monat nachdem Werner Engel im Januar 1958 das Kaufhaus von seinen Eltern übernahm, feierten er und Renate ihre Hochzeit im Schulhaus in Götzdorf. Hier war Renate Engel nach ihrer Flucht 1945 aus Westpreußen mit ihrer Familie angekommen, nachdem sie zunächst anderthalb Jahre in Freiburg gewohnt hatte. „Es war mein Zuhause, nach den Kriegswirren war ich hier glücklich“, erinnert sie sich. Ihr größter Wunsch sei es deshalb gewesen, im Schulhaus auch ihre Hochzeit zu feiern.

Im Januar 1958 übernahm Werner Engel das Geschäft von seinen Eltern, einen Monat später heiratete er seine Renate. Foto: privat
Als Flüchtlingsmädchen, das kein Plattdeutsch sprach, habe sie später nicht nur gute Erfahrungen mit den Einheimischen gemacht und sich oft wie eine Außenseiterin gefühlt. Manche Bützflether wollten sich im Geschäft nicht von ihr bedienen lassen und konnten nicht verstehen, warum der einzige Sohn der Familie Engel denn keine Bützfletherin heiraten wollte. Ihr Mann und vor allem auch ihr Schwiegervater hätten aber immer zu ihr gestanden und sie verteidigt.

Ein Bild aus alten Kaufhaus-Zeiten. Damals wurde außer Porzellan auch noch Spielzeug und vieles mehr angeboten. Foto: Stehr
Die Jahre vergingen, 1961 und 1966 kamen die beiden Söhne der Engels zur Welt. Das Geschäft mit Haushaltswaren florierte, die Verkaufs- und Lagerfläche im Erdgeschoss wurde erweitert. Die Familie zog von unten in die obere Etage. Verkauft wurde, was gebraucht wurde, in den 1970er-Jahren fielen Lebensmittel aus dem Sortiment. Unverändert blieb der Verkauf von Porzellan. „Wir haben wohl dafür gesorgt, dass alle Bützflether immer einen gut gedeckten Tisch hatten“, sagt Renate Engel. Neben der Arbeit brachte sie ihren Söhnen das Klavierspielen bei.
Der Beginn einer außergewöhnlichen Freundschaft
Weibliche Unterstützung bekam Renate Engel ab 1964 von Erika Bockelmann. Als die damals 14-Jährige ihre Lehre zur Einzelhandelskauffrau bei Engel anfing, konnte niemand ahnen, dass beide Frauen auch 61 Jahre später noch zusammen im Laden stehen würden. Sie verbindet die Liebe zum Porzellan.

Immer dienstags und donnerstags öffnen Renate Engel und Erika Bockelmann die Tür für ihre Kundschaft. Foto: Stehr
Über die Jahre haben Renate Engel und Erika Bockelmann so manche Geschichte, Trauriges und Lustiges erzählt bekommen. Beim gemeinsamen Mittagessen klingen die Geschichten nach, noch heute kocht Renate regelmäßig für Erika.

Renate Engel und Erika Bockelmann haben sich noch nie gestritten. Sie nennen sich selbst die Porzellantanten. Foto: Stehr
„Sie gehört einfach zur Familie“, sagt Renate Engel über ihre Angestellte, die in Hammah lebt und inzwischen - genau wie Renate - mehrere erwachsene Enkelkinder hat. Erika sei immer da gewesen, auch als Renates Mann krank wurde und 2013 starb. Streit hatten die beiden Frauen noch nie. Es gibt nur eine Sache, bei der sie unterschiedlicher Meinung sind. „Ich habe Erika schon tausendmal das Du angeboten, aber sie besteht darauf, mich weiter zu siezen“, sagt Renate Engel.
Gemeinsam werden sie weiterhin immer dienstags und donnerstags von 9 bis 12 und von 14 bis 17 Uhr das Geschäft öffnen und wohl so lange weitermachen, bis auch das letzte Service verkauft ist. „Wir sind eben die Porzellantanten“, sagt Renate Engel und muss lachen. Erika ebenfalls. Sie laden alle noch einmal herzlich ein in ihre Welt aus Porzellan und Glas - solange es sie noch gibt.

Zwei Frauen, eine Leidenschaft: Renate Engel und Erika Bockelmann lieben es, zu dekorieren, zu verkaufen und mit Kunden ins Gespräch zu kommen. Foto: Stehr