TMit diesem Becken kann Harsefeld auf 30.000 Einwohner wachsen

Das neue Becken ist acht Meter tief und fasst 4000 Kubikmeter, beziehungsweise vier Millionen Liter. Foto: Markus Meyer
Die Toilette scheint problemlos alles zu entsorgen. Wie sensibel das System ist, hat ein Vorfall in Ahlerstedt mit Fischsterben gezeigt. Einblicke in Harsefelds Millionen-Projekt.
Harsefeld. Aus der Luft lassen sich die Dimensionen erahnen: Harsefelds neues Belebungsbecken im Klärwerk ist ein Mega-Bau. 4000 Kubikmeter wird es fassen. Das entspricht in etwa der doppelten Menge des örtlichen Freibad-Sportbeckens, ohne Sprungbereich.
Acht Meter tief geht der Betonbau in die Erde, mit Gründung sind es sogar zehn Meter Tiefe. Da kam nicht nur das Grundwasser den beauftragten Firmen beim Einbau entgegen. Bevor sich im Becken ab Oktober Bakterien, Ein- und Mehrzeller tummeln, mussten schwerwiegende Probleme aus dem Weg geräumt werden.
Taucher müssen unter Wasser Steine abtragen
Eine sogenannte Packlage fanden die Baufirmen bei den Arbeiten. Bei der Untersuchung im Vorfeld war sie lokalisiert, aber tiefer vermutet worden. Ein Grund für die Fehleinschätzung: Die in sich verkeilte Steinschicht lag schräg in der Erde.
Hier war kein Durchkommen mit dem Bagger. In der Grube stand damals schon das Wasser, so mussten Berufstaucher zupacken und die Steine per Hand in Körbe packen. Diese wurden mit Hilfe des Krans aus dem Baubereich entfernt.

Acht Meter tief ist das Becken, das einmal das neue Belebungsbecken wird. Foto: Fehlbus
Von dem Grundwasser ist heute nichts mehr zu sehen. Das Wasser, das unten im Becken steht, stammt von den Regenfällen der vergangenen Tage. Gerade werden Leitungen gelegt und die Anschlüsse vorbereitet.
Sauerstoff für die Mikroorganismen
In den Nebenbecken, die das Abwasser bisher durchläuft, bevor es in die Nachklärung abgeleitet wird, arbeiten die Mikroorganismen ungestört weiter. Sie nehmen die organischen Schmutzstoffe als Nahrung auf und wandeln diese in mineralische Stoffe und Gase um. Dafür benötigen sie Sauerstoff. Deshalb wird das Abwasser in den Belebungsbecken belüftet. Zukünftig läuft das mit moderner, energiearmer Klärwerktechnik, die sich in einem neuen Gebäude auf dem Gelände befindet, erklärt Projektleiter Eduard Mai vom Ingenieurbüro Born Ermel.

Der Betriebsausschuss der Samtgemeinde Harsefeld lässt sich die neue Technik für das Belebungsbecken zeigen. Foto: Fehlbus
Bei der letzten Sitzung des Betriebsausschusses der Samtgemeinde Harsefeld vor der Sommerpause lassen sich Politiker und die Betriebsleiterin und Samtgemeindebürgermeisterin Ute Kück noch einmal den Baufortschritt zeigen. „Es ist eine große Summe, die hier investiert wird. Wir führen deshalb regelmäßige Vor-Ort-Termine durch“, sagt Kück. Mehr als neun Millionen Euro kostet die Erweiterung.
Von 23.000 auf mehr als 27.000 Einwohnergleichwerte
Als Rechengröße für die Abwasserreinigung dient der Einwohnergleichwert. Die Anlage ist auf Zuwachs ausgelegt. Würde das neue Becken voll ausgelastet, könnte die Samtgemeinde Harsefeld von jetzt rund 23.000 Einwohnern auf 30.000 anwachsen. Berücksichtigt werden müssen allerdings auch Schulen und Hotelgäste.

Neun Millionen Euro für die Erweiterung und neue Technik: Hier sind altes und neues Becken im Klärwerk Harsefeld nebeneinander zu sehen. Foto: Martkus Meyer
Ende September wird das neue Becken erstmals befüllt, Ende Oktober soll alles fertig sein. Bereits 2019 gab es Beratungen, 2020 war der politische Beschluss erfolgt und die Ausschreibung auf den Weg gebracht worden.
Der Weg des Abwassers und die Gefahren
Über Pumpwerke im gesamten Samtgemeindegebiet wird das Abwasser auf die Kläranlage gefördert. Bei der mechanischen Reinigung mit einer Siebanlage werden Grob- und Faserstoffe wie Fremdkörper oder die Reste von feuchtem Toilettenpapier entnommen.
Von dem musste zuletzt erst wieder ein ganzer Container binnen kürzester Zeit entsorgt werden, sagt der technische Leiter des Klärwerks, Andreas Müller. Es folgen ein Sandfang sowie eine Kammer, in der Fett und Öl gesammelt und abgepumpt werden. Im Vorklärbecken werden dann die absetzbaren Inhaltsstoffe abgetrennt.

Eines der beiden bisherigen Belebungsbecken: Im Harsefelder Klärwerk wird das Wasser von 23.000 Einwohnern gereinigt. Foto: Fehlbus
Danach kommt die biologische Reinigungsstufe, zu der die Belebungsbecken und die Nachklärbecken zählen. Hier erfolgt der Abbau der sauerstoffzehrenden organischen Inhaltsstoffe sowie des Nährstoffes Stickstoff. Das gereinigte Abwasser fließt in die Aue ab. Eben hier hatte es im Mai einen Vorfall in Ahlerstedt gegeben. Das dortige Klärwerk Bockholt gilt als Verursacher eines Fischsterbens im Bereich Kakerbeck.
Nachfragen der Politik zum Vorfall mit Fischsterben
Christoph Behnke (Bündnis 90/Grüne) aus Bargstedt und Lüder Pott (CDU) aus Ahlerstedt fragen als Ausschussmitglieder in der öffentlichen Sitzung nach. Es geht um die künftige Vermeidbarkeit und die wahrscheinliche finanzielle Belastung für die Samtgemeindewerke, beziehungsweise die Samtgemeinde Harsefeld. Zur Schadenshöhe lägen noch keine Ergebnisse vor, sagt Kück. Diese sei noch nicht ermittelt. Alle Angelvereine in dem Bereich seien jedoch von ihr eingeladen worden. Es habe offene und konstruktive Gespräche gegeben.
Weniger als ein halber Liter der Substanz reichte
Die Kommunikation aus dem Rathaus mit ihnen als Pächter und Pfleger der Aue war von den Vereinen zunächst als mangelhaft eingestuft worden. Zumindest im Fall eines früh wieder aufgehobenen Angelverbots auf der Internetseite der Samtgemeinde Horneburg gab es dabei aber auch unterschiedliche Absprachen innerhalb der Vereine und gegenüber der Horneburger Verwaltung.
Geprüft werden soll in Harsefeld, ob über die Versicherung Gelder zurückzubekommen sind oder vielleicht doch noch der Verursacher gefunden werden kann. Die Wahrscheinlichkeit für Letzteres ist nicht hoch. Es geht nicht um ein ganzes Fass der Flüssigkeit, die letztlich zum Zusammenbruch der Biologie im Klärwerk und damit zum Fischsterben geführt hat. „400 Milliliter dieser Substanz haben gereicht“, sagt Andreas Müller. Im Labor wurden Proben untersucht.
Aufarbeitung der Krisenbewältigung im Klärwerk
Die Gewässeraufsicht vom Landkreis Stade und die Samtgemeindewerke Harsefeld haben Strafanzeige gegen unbekannt gestellt. Im Verdacht steht ein Mittel, das üblicherweise für Chemietoiletten genutzt wird. Aufgefallen war den Klärwerk-Mitarbeitern ein massiver Zusammenbruch der Sauerstoffkurve im Becken in Bockholt. In der Regel werde so etwas genau beobachtet, bis sich die Biologie erholt. Diesmal tat sie es nicht.

Ralf Gerken, Biologe des Niedersächsischen Anglerverbands, ist mit der Aufarbeitung des Fischsterbens in der Aue betraut. Foto: Fehlbus
„Es muss etwas reingekommen sein, dass die Bakterien so schnell Sauerstoff verbraucht haben“, sagt Müller. Als klar war, dass die Biologie massivst gestört ist, wurde das Wasser sofort in einen Pufferspeicher gepumpt und nichts mehr in die Aue abgegeben. Offenbar war es trotzdem zu spät, um die Bildung von für Fische giftige Stoffe zu verhindern.
Wie oft gibt es Störfälle und droht Wiederholung?
Um die Biologie wieder zu stabilisieren, musste Belebtschlamm aus Harsefeld nach Ahlerstedt gefahren werden. Die Kläranlage wurde erfolgreich angeimpft, konnte binnen weniger Tage wieder normale Werte melden.
Die Sorge der Politiker im Ausschuss geht in Richtung Wiederholungsfall. „Gibt es eine Messtechnik, mit der man solche Stoffe schneller sehen kann?“, fragt Christoph Behnke. Eine Messsensorik gebe es, sie müsste aber auf ganz unterschiedliche Stoffe reagieren. Das sei fast unmöglich, erklärt Müller. Es gebe nicht nur die eine Gefahr für das biologische Gleichgewicht. „Gibt es so etwas öfter?“, will Lüder Pott wissen. „So noch nie“, sagt der technische Leiter.
Die Samtgemeinde Harsefeld will jetzt proaktiv informieren. Es soll Flyer geben, die davor warnen, was passiert, wenn falsche Stoffe eingeleitet werden. Und seien es nur vermeintlich harmlose Mittel in hoher Konzentration.

Das neue Becken ist acht Meter tief und fasst 4000 Kubikmeter, beziehungsweise vier Millionen Liter. Foto: Markus Meyer