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Femizide

TNach dem Vierfach-Mord in Scheeßel - „Wann hält endlich jemand diese Typen auf?“

Kerzen stehen Anfang März vor einem Haus in Westervesede in der Gemeinde Scheeßel, in dem ein Mann zwei Personen erschossen haben soll.

Kerzen stehen Anfang März vor einem Haus in Westervesede in der Gemeinde Scheeßel, in dem ein Mann zwei Personen erschossen haben soll.

Es ist schon wieder passiert. Ein gekränkter Mann bedroht seine Ex-Partnerin und wird zur Gefahr. Die Frau wendet sich an die Polizei. An den Rechtsstaat, von dem sie Schutz erwartet. Und ihre Anzeige bleibt nicht folgenlos.

Von André Ricci Donnerstag, 21.03.2024, 07:00 Uhr

Zeven. Der Mann bekommt Besuch, Beamte reden auf ihn ein. Machen deutlich, dass das so nicht weitergehen darf und welche Konsequenzen drohen. Bevor sie gehen, sprechen sie gegebenenfalls noch ein Kontaktverbot aus. Der Mann ist einsichtig, so der Eindruck. Tatsächlich macht er weiter. Bis es Tote gibt.

So geschehen in Bad Fallingbostel, wo eine zuvor bedrohte 24-Jährige am 10. August 2022 mit 20 Messerstichen auf offener Straße von ihrem Ex-Partner getötet wird. So geschehen in der Nacht auf den 1. März, als ein 32-Jähriger im Landkreis Rotenburg nach einer Bedrohungsanzeige durch seine Ex-Partnerin vier Menschen aus deren Umfeld erschießt, offenbar mit dem Motiv, das Leben der Frau zu zerstören. Und es wird weitergehen. Laut Polizeistatistik dreht alle drei Tage irgendwo in Deutschland ein Mann durch und tötet, weil er meint, eine Frau bestrafen zu müssen. „Wann hält diese Typen endlich jemand auf?“, seufzt Frauke Flöther.

Vor 30 Jahren Frauenschutzhaus in Walsrode mitbegründet

Flöther gehörte vor mehr als 30 Jahren zu den Gründerinnen des Frauenschutzhauses Walsrode, in dem sie noch heute arbeitet, und ist Vorsitzende des Trägervereins „Frauen helfen Frauen“. Sie kennt die in vielen Fällen „eher stumpfen“ Schwerter, mit denen die Polizei bedrohte Frauen zu schützen versucht. Natürlich gebe es Männer, die sich von einer Gefährderansprache beeindrucken ließen, die Kontaktverbote und Platzverweise ernst nehmen. Doch es gibt auch die anderen. „Die lachen nur darüber“, sagt Flöther. Auch vor dem Grundstück des Frauenschutzhauses in Walsrode tauchen sie auf. Beobachten, was sich dort so tut. „Die stehen den ganzen Tag auf der Straße“, beschreibt Flöther die latent bedrohliche Situation. „Wenn die Polizei einen Platzverweis ausspricht, verschwinden sie und kehren nach einer Stunde wieder zurück.“

Die Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei sei sehr gut, „aber bevor etwas Schlimmes passiert ist, lassen die Gesetze nicht viel zu“. Bußgelder würden kaum abschrecken, „und alles dauert sehr lange“. Eine Frau zu bedrohen oder zu schlagen, sei in Deutschland „immer noch ein Kavaliersdelikt“, lautet Flöthers ernüchterndes Fazit nach mehr als 30 Jahren Engagement in der Frauenhaus-Arbeit. Dabei gebe es Alternativen, andere Länder machten es vor. „Es muss nur politisch gewollt sein.“

Weißer Ring: Kontaktverbote werden tausendfach ignoriert

So sieht es auch der Weiße Ring als größter Opferschutzverein des Landes. Gerichtliche Annährungs- und Kontaktverbote würden in Deutschland „tausendfach ignoriert“, heißt es in einer Auswertung der Organisation. Die offizielle Kriminalstatistik verzeichnet für das Jahr 2022 exakt 6587 Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz. „Ein Anstieg um elf Prozent binnen fünf Jahren“, erklärt der Weiße Ring. Diese Hilflosigkeit gegenüber Männern, die meinen, über dem Gesetz zu stehen, sei keinesfalls zwingend. Ein Sprecher des Weißen Rings verweist auf das Beispiel Spanien. Das Land mache vor, wie effektiver Frauenschutz funktionieren könne, „während sich in Deutschland Bund und Länder gegenseitig die Verantwortung zuschieben“. Das Strafrecht ist in Deutschland Sache des Bundes und auch das 2022 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz ist ein Bundesgesetz. Für die Gefahrenabwehr wiederum sind die Bundesländer zuständig, entsprechend gibt es in Deutschland 16 verschiedene Polizeigesetze. Plus ein eigenes Gesetz für die Bundespolizei.

Spanisches Modell lässt auffällig gewordene Männer psychologisch durchleuchten

Das „spanische Modell“, das inzwischen von Frankreich übernommen wurde und in der Schweiz im Rahmen eines Pilotversuchs getestet wird, setzt bei Bedrohungsanzeigen auf präventive Schutzmaßnahmen, die weit in die Rechte auch nur potenzieller Täter eingreifen. Nach einer Bedrohungsanzeige oder aktenkundig gewordener häuslicher Gewalt müssen auffällig gewordene Männer sich gefallen lassen, im Rahmen einer Risikobewertung psychologisch durchleuchtet zu werden. Ist ein Kind vorhanden, droht ihnen im Falle der Einschätzung als Hochrisiko-Person die Aussetzung des gemeinsamen Sorgerechts. Kontaktverbote werden gegebenenfalls durch satellitenüberwachte Fußfesseln durchgesetzt: Betritt der Verdächtige die Verbotszone, löst ein Alarm aus und ruft die Polizei auf den Plan.

Auch deutsche Polizeigesetze, etwa in Niedersachsen, erlauben inzwischen das Instrument der Fußfessel. Es käme jedoch „fast ausschließlich im Rahmen der Führungsaufsicht oder bei extremistischen Tätern“ zur Anwendung, klagt der Weiße Ring.

Opferschutzverein: Prävention muss deutlich besser werden

„Wir sehen in Deutschland großen Verbesserungsbedarf, was Präventionsmaßnahmen zum Schutz vor Tötungen und Femiziden angeht“, sagt Katharina Göpner vom Verein Frauen gegen Gewalt, dem Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. „Auch wenn Betroffene sich an die Polizei wenden, werden nicht ausreichend Maßnahmen unternommen“, klagt die Sprecherin des Dachverbands. „Es fehlt zum Beispiel eine standardisierte Gefährdungseinschätzung bei der Polizei und anderen Institutionen.“ Auch sie nennt Spanien als Vorbild.

Aber in Deutschland bewege sich etwas, wenn auch zu langsam. In einigen Regionen gebe es bereits „sehr gute Modelle und Tools für eine Gefährdungseinschätzung und ein Fallmanagement“. In Konferenzen würden unter Mitwirkung von Polizei und Justiz, Beratungsstellen, Frauenhäusern und gegebenenfalls Einrichtungen der Täterarbeit Maßnahmen besprochen. „Solche interdisziplinären Fallkonferenzen und Gefährdungseinschätzungen sind sehr wirksam und müssen bundesweit ausgebaut werden“, sagt die Fachfrau auch mit Blick auf die von der Bundesrepublik ratifizierte Istanbul-Konvention, die solche Instrumente zur Eindämmung geschlechtsspezifischer Gewalt einfordere. Es brauche spürbare Sanktionen bei Verstößen gegen Kontaktverbote und mehr Ressourcen für Fachberatungsstellen. „Sie sind oft eine der ersten Anlaufstellen, sie machen einen Sicherheitsplan mit den Betroffenen und unterstützen im Einzelfall. Es kann nicht sein, dass Betroffene auf einen Termin in einer Beratungsstelle warten müssen. Aktuell ist das leider oft der Fall.“

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