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Mitgliederzuwachs

TNach der Handball-EM: Erleben Vereine im Kreis Stade einen Boom?

Handball E-Jugend JSG Himmelpforten Hammah

Die Mitgliederzahlen im Handball, hier die E-Jugend der JSG Himmelpforten/Hammah, sind bereits nach Corona gestiegen. Foto: Wertgen

Die Handball-EM im eigenen Land begeisterte. Ist die Euphorie auch an der Basis angekommen und gibt es einen neuen Boom? Das TAGEBLATT hat die Handballer der Region gefragt. Auch der DHB reagiert.

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Von Lars Wertgen
Dienstag, 13.02.2024, 23:15 Uhr

Landkreis. 1.008.660 Menschen schauten die erste Handball-EM in Deutschland live in den Arenen. Rekord. Das Auftaktspiel sahen 53.586 Zuschauer. Rekord. Zum Halbfinale zwischen Deutschland und Dänemark schalteten fast 10 Millionen ein.

„Wir haben neue Fans, wir haben neue Zuschauer. Es werden hoffentlich nach dem Turnier viele Kinder in die Hallen kommen“, jubelte DHB-Vorstandschef Mark Schober am Ende der Handball-EM. Haben sich die Hoffnungen mehr als zwei Wochen nach dem Finale schon erfüllt? Das TAGEBLATT hat die Teams aus dem Handballkreis gefragt.

Keine kurzfristige Strahlkraft

„Hier kommen wöchentlich zwei bis vier neue Kids. Immer. Mit der EM hat das bisher gar nichts zu tun“, sagt Sandra Pragmann, Abteilungsleiterin des TSV Bremervörde. Sie geht aber davon aus, dass die EM positiven Einfluss auf kommende Schnuppertrainings haben wird.

Beim VfL Horneburg, der JSG Fredenbeck/Stade und dem SV Beckdorf ist es ähnlich. Ein großes Turnier alleine würde ohnehin nicht reichen. Pragmanns Erfahrung: „Ohne begleitende Ansprache der Kinder und vor allem der Eltern durch den Verein vor Ort haben die Großereignisse keine kurzfristige Strahlkraft.“

Sandra Pragmann vom TSV Bremervörde

Sandra Pragmann vom TSV Bremervörde: „Die Großereignisse haben keine kurzfristige Strahlkraft.“ Foto: Privat

DHB: Das ist unser wichtigster Hebel

Die Events würden sich aber grundsätzlich und langfristig positiv auswirken. Ein entscheidender Faktor scheint dabei nicht die Leistung der deutschen Nationalmannschaft zu sein: „Fair Play, keine Schwalben, tolle Fans, keine Gewalt, großer Teamgedanke - das wirbt natürlich“, so Pragmann.

Martin Goepfert, Vorstand Mitglieder beim DHB, stimmt ihr zu: „Das ist und bleibt über die Kraft unserer Nationalmannschaft der stärkste Hebel. Wir vermitteln mit der Darstellung unseres Sports einfach viele wichtige Werte, die maßgeblich für den Handball stehen“, sagt er dem TAGEBLATT.

Weg muss über die Schulen gehen

„Bei den Jorker Minis haben wir derzeit großen Zulauf“, sagt Stefan Beck vom MTV Wisch. Dieser hänge aber eher mit dem Engagement in den Schulen als mit der EM zusammen. Dies hat auch der DHB erkannt. Während der Europameisterschaft ehrte der Verband in Köln 250 Kita-Kinder mit einem Spielabzeichen und bildete 100 Grundschullehrkräfte weiter.

Die Kooperationen mit Schulen werden künftig noch mehr an Bedeutung gewinnen. Ab dem 1. August 2026 haben alle Erstklässler in Niedersachsen Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung. „Das ist für uns eine Riesenherausforderung“, sagt Goepfert und meint nicht nur ausgelastete Hallen.

Da die Kinder nachmittags noch in der Schule sind, werden sie weniger Zeit für den Verein haben. Diese müssen sich daher etwas einfallen lassen. „Wir haben das Thema auf unserer Agenda, um unsere Handballvereine auf diese Veränderungen vorzubereiten und zu erklären, welche Kooperationsmöglichkeiten es zwischen einer Schule und einem Handballverein geben kann“, erklärt Goepfert.

Kinder lieben Prüfungen

Ein weiteres Instrument, um das gestiegene Interesse für neue Mitglieder zu nutzen, sei „Hanniball-Pass“, teilt der DHB mit. Das Handball-Spielabzeichen richtet sich sowohl an handballbegeisterte als auch noch handballfremde Kinder zwischen sechs und elf Jahren.

Die Kinder müssen fünf Übungen aus den Bereichen Werfen und Fangen, Koordination, Schnelligkeit, Zielwerfen und Prellen bestehen, um das Abzeichen zu erhalten. „Mit diesem Pass können Vereine noch mehr Kinder abholen“, sagt Goepfert.

Martin Goepfert, DHB Vorstand Mitglieder: „Wir vermitteln mit der Darstellung unseres Sports einfach viele wichtige Werte.“

Martin Goepfert, DHB Vorstand Mitglieder: „Wir vermitteln mit der Darstellung unseres Sports einfach viele wichtige Werte.“ Foto: Kenny Beele

Stader Handallkreis steht für gute Jugendarbeit

Von 2020 bis 2022 meldeten sich bundesweit 35.171 Handballer ab (4,65 Prozent). Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) zählt in seiner aktuellen Bestandserhebung zum 1. Januar 2023 fast 17.000 neue Handballer. Ein Zuwachs von 2,35 Prozent.

Der Trend soll dank der Europameisterschaft weitergehen. „Wir wissen aus Erfahrung, dass wir über die EM wieder einen hohen Mitgliederzuwachs haben werden“, ist sich Goepfert sicher.

Den Eindruck teilt die Basis allerdings nicht. „Es sind immer nur einzelne Personen, meist Kinder, die aufgrund einer WM oder EM neu zum Training erscheinen“, sagt Florian Albrecht, Handball-Chef des Dollerner SC.

„Die Türen werden einem wegen der EM nicht eingerannt“, sagt auch Sven Klette-Matzat, Abteilungsleiter Handball beim VfL Stade. Dass die Teams keinen echten EM-Boom erleben, überrascht wenig. „Das Mediale ist vielleicht einer von vielen Mosaiksteinen“, so Klette-Matzat. Einen viel größeren Anteil an steigenden Mitgliederzahlen hätten die Trainer.

Heißt: Wer im Handballkreis gute Arbeit leistet, der ist auch ohne Großereignis eine Anlaufstelle. Die JSG Fredenbeck/Stade zum Beispiel hat über 100 Minis im Training und startet derzeit mit sieben E-Jugend-Mannschaften.

Infrastruktur wird zum Problem

Die gestiegene Nachfrage in den Vereinen birgt jedoch auch Probleme: „Jeder Verein benötigt dringend Trainer, Schiedsrichter, Ehrenamtliche und Engagierte“, so DHB-Vorstand Goepfert. Von der Halleninfrastruktur zu schweigen: „Das beste Personal und viele Kinder bringt nur wenig, wenn es keinen Ort gibt, um Training anzubieten.“ Hier sei politische Arbeit gefragt. Was die Übungsleiter angeht: Während der EM bildete der Verband 1000 Kinderhandballtrainer aus.

Hier wirkt die EM am stärksten

Interessant: Die Handball-EM hat offenbar auf die bereits aktiven Handballer einen viel größeren Einfluss. „Ein erfolgreiches Turnier bindet die Nachwuchshandballer mehr an den Sport“, erzählt Klette-Matzat. Die Kinder hätten sich die Spiele gemeinsam angeschaut. Mit großer Wirkung - auch beim TuS Harsefeld.

„Einige haben die Spiele verfolgt, die sich bisher noch nie dafür interessiert haben“, sagt Timo Degen, Leiter der TuS-Handballer, der sich auch über acht neue Spieler freut. Die im Fernsehen gesammelten Eindrücke machten sich sehr stark in deren Leistungen beim Training und beim Spiel bemerkbar, so Degen.

Auch bei der JSG Fredenbeck/Stade sei eine Euphorie zu erkennen. „Man erkennt bei den Kindern und Jugendlichen den Ehrgeiz, es ihren Vorbildern gleichzutun“, sagt Wiebke Michaelsen aus dem erweiterten JSG-Vorstand. Die Kids tragen die Trikots ihrer Lieblingsspieler und kopieren deren Tricks.

Wiebke Michaelsen vom VfL Fredenbeck

Wiebke Michaelsen vom VfL Fredenbeck: „Man erkennt bei den Kindern und Jugendlichen den Ehrgeiz, es ihren Vorbildern gleichzutun.“ Foto: Privat

Für alt und neu: Five-a-Side

Kinder für den Handball zu begeistern, sei ohnehin weniger eine Herausforderung. „Wir haben eher seit Corona das Problem, dass viele Erwachsene nicht wieder zurückgekommen sind“, erzählt Florian Albrecht aus Dollern. Auch der MTV Himmelpforten kennt die Situation. Dort versuchte Mario Winzer-Struck, Five-a-Side zu etablieren.

Bei der neuen Handballvariante gibt es keinen Körperkontakt. Sie ist auch für die ältere Generation und Einsteiger geeignet. Die Rückmeldungen waren zunächst sporadisch. Die EM brachte bei einigen offenbar den benötigten Schub.

Eine größere Gruppe - bestehend aus Männern und Frauen - trainiert nun wöchentlich. „Erst gemeinsam Sport zu machen und danach in geselliger Runde zu quatschen, das haben einige sicher vermisst“, so Winzer-Struck. Five-a-Side spielt man unter anderem auch beim VfL Stade und dem Buxtehuder SV.

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