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Talkrunde

TNahost-Korrespondent Christoph Ehrhardt: Von Buxtehude ins Krisengebiet

Christoph Ehrhardt auf der Bühne bei „Menschen des Jahres“ im Modehaus Stackmann. Der Nahost-Korrespondent besucht seine Eltern in Buxtehude und kehrt am 9. Januar nach Beirut zurück.

Christoph Ehrhardt auf der Bühne bei „Menschen des Jahres“ im Modehaus Stackmann. Der Nahost-Korrespondent besucht seine Eltern in Buxtehude und kehrt am 9. Januar nach Beirut zurück. Foto: Sulzyc

In der Talkshow „Menschen des Jahres“ im Modehaus Stackmann erzählt der Journalist Christoph Ehrhardt von seiner Arbeit in Beirut. Aufgewachsen ist der 48-Jährige in Buxtehude, in seiner Wahlheimat droht Krieg. Warum er trotzdem dort leben will.

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Von Thomas Sulzyc
Freitag, 05.01.2024, 17:59 Uhr

Buxtehude. „Die kann man anrufen. Über Mobiltelefon“, sagt Christoph Ehrhardt, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Ist es nicht. Denn mit „die“ meint er Funktionäre und Mittelsleute der radikalislamischen Gruppe Hamas. Auch mit der Hisbollah, Partei und Miliz im Libanon, sei ein Kontakt möglich.

Christoph Ehrhardt berichtet als Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) aus den arabischen Ländern. In der Talkshow „Menschen des Jahres“ im Modehaus Stackmann erzählt der 48-Jährige von seiner Arbeit und fesselt damit die 160 Besucher. Moderator Wolfgang Stephan kündigt seinen Gast als einen der „bestinformierten Nahost-Experten“ an.

Interview mit Katars Regierungschef

Im November führte Christoph Ehrhardt ein viel beachtetes Interview mit Katars Regierungschef Muhammad Bin Abdulrahman Al Thani. Dabei ging es um dessen Verhandlungen mit der Hamas über die Geiseln vom Terrorangriff am 7. Oktober 2023 auf Israel. Während des Gesprächs übertrug der Nachrichtensender Al Jazeera gerade live Bilder von der Freilassung einiger Geiseln. Die Katari, sagt Ehrhardt, seien in ihrer Vermittlerrolle als zuverlässig akzeptiert - auch von Israel und den USA.

Geboren 1975 in Stade, aufgewachsen in Buxtehude, habe er immer Journalist werden wollen, sagt Christoph Ehrhardt. Er studierte in Hamburg Zeitgeschichte des Nahen und Mittleren Ostens, Politik- und Islamwissenschaften. 2001, im Jahr des Terrorangriffs der al-Qaida auf das World Trade Center und andere Ziele in den USA, verbrachte er ein Semester in Kairo. Er spreche „leidlich“ Arabisch, sagt der Nahost-Experte über sich selbst.

Das Foto zeigt Christoph Ehrhardt 2018 im Jemen. Seine Arbeit als Korrespondent in arabischen Städten führte ihn zum Beispiel auch in den Irak oder nach Katar.

Das Foto zeigt Christoph Ehrhardt 2018 im Jemen. Seine Arbeit als Korrespondent in arabischen Städten führte ihn zum Beispiel auch in den Irak oder nach Katar. Foto: Ehrhardt

„Im Libanon könnte der nächste Krieg ausbrechen“

Seit 2015 lebt Christoph Ehrhardt in Beirut - zusammen mit seiner Frau und den zwei gemeinsamen Kindern in einem gemieteten Haus. „Im Libanon könnte der nächste Krieg ausbrechen“, sagt er über seine Wahlheimat. Analytisch, da spricht der Journalist.

Bei einem Drohnenangriff in den südlichen Vororten von Beirut wurde vor kurzem ein Hamas-Führer getötet. „Wenn ich in Beirut gewesen wäre, hätte ich die Explosion hören können“, antwortet Christoph Ehrhardt auf die Frage, wie nahe die Explosion an seinem Haus gewesen sei. In dem betroffenen Viertel gehe man nicht einkaufen, fügt er noch hinzu.

Zur Zeit des Drohnenangriffs befand sich Christoph Ehrhardt bereits im Weihnachtsurlaub bei seinen Eltern in Buxtehude. „Ein bisschen surreal“ komme ihm das vor. „Aber ich weiß es zu schätzen, hier zu sein.“ Er sehe eine Menge Freunde wieder.

Auch im Urlaub arbeitet Christoph Ehrhardt. In der FAZ veröffentlicht er Berichte über die Piraten im Roten Meer und über den Drohnenangriff in seiner Wahlheimat Beirut. Wie kommt er an die Informationen? „Man kennt die Leute, die man anrufen muss“, antwortet der Korrespondent. Diplomaten, Mitarbeiter von Geheimdiensten und örtliche Journalisten, im Fachjargon Producer oder Stringer genannt, die als „Türöffner“ dienen.

Zur Sicherheit: Die Familie hat Beirut verlassen

Die Sorge vor einer Eskalation im Libanon teilt der deutsche Experte. Deshalb haben seine Frau, eine Journalistin, und die Kinder mittlerweile Beirut verlassen und sind nach Frankfurt übergesiedelt. Christoph Ehrhardt wird am 9. Januar nach Beirut zurückkehren. „Hoffentlich gibt es noch einen Flughafen dort“, sagt er im Scherz. Ein Flughafen sei das Erste, was bei einem Krieg draufgehe.

Trotz der Kriegsgefahr: Den Korrespondenten zieht es nach Beirut zurück. Die Leidenschaft zum Beruf spielt eine zentrale Rolle dabei. Es sei wichtig, aus diesen Regionen zu berichten. Ob er um sein Leben fürchte, will Moderator Wolfgang Stephan wissen. „Ich bin kein Hasardeur, nicht wirklich Kriegsreporter“, antwortet Christoph Ehrhardt. Beirut sei seine Heimat geworden, er habe viele Freunde dort. Seine Frau und er hätten darüber gesprochen. „Wir sind noch nicht fertig mit der Stadt.“

Und was denken seine Eltern? Die seien Kummer gewöhnt, sagt Christoph Ehrhardt. Sein Vater sitzt im Publikum. Er weiß, welche Leidenschaft im Beruf seinen Sohn antreibt. „Er könnte ja in der Nordheide über Schützenvereine schreiben“, schlägt der Vater vor und lacht. Wohlwissend, dass sein Sohn genau das tut, was er möchte.

Ganz eindeutig: Christoph Ehrhardt, seine Expertise und sein außergewöhnliches Leben in einer der gefährlichsten Regionen der Welt stehen im Mittelpunkt der Talkrunde. Aber auch andere Gäste wissen mit spannenden Episoden und Erkenntnissen zu überzeugen.

Die Künstlerin Finja Nebel aus Harsefeld etwa beweist wortgewandt mit ihren nachdenklichen Versen, dass die deutschsprachige Poetry-Slam-Kultur zu Recht zum immateriellen Kulturerbe der Unesco gehört.

Gäste der Talkshow (von links): Christoph Ehrhardt, Claudio Spisanti, Marie Andresen, Julia Seefried, Wolfgang Stephan, Finja Nebel, Henning Feindt, Timm Hubert, Andreas Sommer und Volker Schimkus.

Gäste der Talkshow (von links): Christoph Ehrhardt, Claudio Spisanti, Marie Andresen, Julia Seefried, Wolfgang Stephan, Finja Nebel, Henning Feindt, Timm Hubert, Andreas Sommer und Volker Schimkus. Foto: Thomas Sulzyc

Amerikanische Verhältnisse in der Gastronomie

Der in Buxtehude gut bekannte Gastronom Claudio Spinsanti sieht die Branche im Umbruch und sagt einen radikalen Wandel voraus: Die Gastronomie in Deutschland werde sich wie in Amerika entwickeln. „Wir werden 70 bis 80 Prozent Fast Food haben und lediglich 20 bis 30 Prozent Restaurants, wie wir sie jetzt kennen.“ Die Gründe seien seiner Meinung nach Fachkräftemangel und stark gestiegene Einkaufspreise.

Die Jägerin Julia Seefried aus Assel fordert, dass der Bestand der Wölfe in Niedersachsen mit Jagdzeiten reguliert werden müsse. Sie ist eine von 1000 Jägern und Jägerinnen im Landkreis Stade.

Mit Episoden von seinen Begegnungen mit deutschen Fußballstars in seinem Alltag als stellvertretender Chefredakteur Sport für „Bild“ und „Welt“ unterhält Henning Feindt das Publikum. Er stammt aus dem Alten Land. Da ist zum Beispiel die Geschichte, als ihn der damalige Manager von Hertha BSC, Dieter Hoeneß, einen „Drecksjournalisten“ nannte. „Bild“ habe damals enthüllt, dass der Fußball-Bundesligist seinem Innenverteidiger Joe Simunic wegen dessen aggressiver Spielweise einen Psychologen zur Seite gestellt habe. Dieter Hoeneß hatte das nicht in der Zeitung lesen wollen.

Matthias Sammer zu Tränen gerührt

In 90 bis 120 Minuten langen Podcasts porträtiert Henning Feindt Fußballstars. Dabei habe er Matthias Sammer so sehr gerührt, dass der als sperrig und eisenhart geltende frühere Nationalspieler Tränen der Rührung verdrückte. Warum das? Henning Feindt sprach Matthias Sammer darauf an, wie er als Kind unter dem Esstisch seinem Vater Klaus und den befreundeten DDR-Stars Hans-Jürgen Kreische und Dixie Dörner bei Gesprächen zuhörte. Klaus Sammer, Kreische und Dörner spielten gemeinsam für Dynamo Dresden und galten als Fußballrebellen im DDR-System. Diese Haltung habe auch Matthias Sammer geprägt, sagt Henning Feindt. Der Altländer war einer der Gründe, warum die Gesprächsrunde trotz vier Stunden Länge unterhaltsam blieb.

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