Zähl Pixel
Großkonzerne

TNestlé übernimmt Tierarztpraxis in Bremerhaven – Geschäft mit Folgen

Wenn Tierarztpraxen keine Nachfolger finden, stehen oft schon große Konzerne in den Startlöchern.

Wenn Tierarztpraxen keine Nachfolger finden, stehen oft schon große Konzerne in den Startlöchern. Foto: Colourbox

Immer mehr Tierarztpraxen und Kliniken werden von großen Ketten übernommen, hinter denen die Konzerne Mars oder Nestlé stehen. Die Entwicklung hat Folgen für Tierbesitzer.

Von Leandra Hanke Donnerstag, 26.10.2023, 10:30 Uhr

Bremerhaven. In den vergangenen Jahren hat sich die Praxislandschaft in der Tiermedizin verändert. Große Ketten, hinter denen Finanzinvestoren stehen, sind in das Geschäft mit der Tiergesundheit eingestiegen. Wie die Lebensmittelriesen Mars und Nestlé, die im großen Stil Tierkliniken und Praxen aufkaufen. Über ihre Tochterfirmen beziehungsweise die Beteiligungen AniCura und IVC Evidensia versuchen sie zunehmend, den Markt in Deutschland zu erobern.

Seit zwei Jahren gehört zu IVC Evidensia nun auch die Tierarztpraxis in der Wurster Straße in Bremerhaven. Auf der Website des Unternehmens steht, dass sie die Praxis seit dem 6. Juli 2021 als neues Mitglied bei IVC Evidensia begrüßen. Was sich seitdem geändert hat oder wie sie den Betreiberwechsel bewerten - dazu wollte sich keiner der dort beschäftigten Tierärzte gegenüber der „Nordsee-Zeitung” äußern. Es wurde an IVC Evidensia verwiesen. Diese schreiben auf Nachfrage: „Unsere Tierarztpraxis Wurster Straße wird von einem engagierten Team geführt, das sich täglich für das Wohl der zu behandelnden Tiere einsetzt.“

Seit 2019 hat Nestlé Anteile an IVC Evidensia

IVC Evidensia kommt nach eigenen Angaben auf 75 Praxen und Kliniken in Deutschland. Die meisten ihrer Praxen, 53 an der Zahl, befinden sich in West- und Süddeutschland. Gegründet wurde Evidensia 2012 in Schweden, 2016 erfolgte der Zusammenschluss mit der Independent Vetcare (IVC) aus Großbritannien. 2019 hat der Nestlé-Konzern eine Beteiligung an der IVC erworben.

In Deutschland ebenfalls sehr weit verbreitet ist AniCura. Die ursprünglich schwedische Unternehmensgruppe ist seit 2018 ein Tochterunternehmen von Mars. In Bremerhaven wird noch keine Tierarztpraxis von AniCura betrieben. Dafür aber in Bremen, in Peterswerder.

Tierärzte wollen seltener eine eigene Praxis führen

Dass sich die Ketten ausbreiten können, liegt unter anderem daran, dass zu wenige ausgebildete Tierärzte in der Praxis arbeiten wollen. Viele Absolventen, die von den tiermedizinischen Fakultäten abgehen, entscheiden sich für die Arbeit in anderen Bereichen wie Forschung oder Industrie. Gleichzeitig kommen immer mehr der niedergelassenen Tierärzte ins Rentenalter und suchen Nachfolger. Wird kein Nachfolger gefunden, stehen oft schon die Ketten in den Startlöchern.

„Tierärzte möchten sich nicht mehr selbstständig machen“, sagt Dr. Tanja Kruse, Geschäftsführerin der Tierärztekammer Bremen. Eine eigene Praxis bedeute ein finanzielles Risiko und vor allem viel Arbeit. Durch herausfordernde Arbeitsbedingungen mit Überstunden und einem Gehalt, das im Verhältnis nicht besonders hoch sei, verliere der Schritt in die Selbstständigkeit an Attraktivität.

Konzerne versprechen bessere Arbeitsbedingungen

In Bremen beispielsweise liegt das durchschnittliche Monatsgehalt eines Tierarztes bei rund 4000 Euro brutto. Das bundesweite Durchschnittsgehalt liegt bei 48.000 Euro im Jahr. Die Tierärztegebührenordnung, die die Vergütung von Tierärzten bestimmt, wurde erst im November 2022 angepasst. Seitdem hat sich die Situation laut Tanja Kruse zwar leicht gebessert. Dennoch versprechen die großen Konzerne ein festes Gehalt, geregelte Urlaubszeiten und eine bessere Work-Life-Balance - Vorzüge eines Angestelltenverhältnisses.

Die Übernahme von Tierarztpraxen durch Investoren sieht Dr. Kruse differenziert. „Immerhin wird eine tierärztliche Versorgung durch größere Ketten sichergestellt.“ Denn in Deutschland werden es von Jahr zu Jahr weniger Tierarztpraxen. Auch in Bremerhaven ginge die Zahl zurück - aktuell seien es noch sechs Praxen.

Ketten investieren in Geräte und Technik

Aufgrund ihrer Größe und Finanzkraft können die Ketten zudem modernste Geräte und Therapiemöglichkeiten bieten - so auch in der Praxis an der Wurster Straße. Dort hätten sie laut des IVC-Evidensia-Sprechers „erhebliche Investitionen getätigt“, um ihre Leistungen zu verbessern. Zum Beispiel sei das Labor modernisiert und eine Station zur Nachsorge eingerichtet worden.

Anderseits müssen große Konzerne anders wirtschaften als kleine Praxen, gibt Tierärztevertreterin weiter Kruse zu bedenken. „Große Ketten werden die Praxen nicht unbedingt übernehmen, weil ihnen das Wohl von Tieren so sehr am Herzen liegt. Es geht natürlich auch um Profit.“ Das bedeute jedoch nicht, dass in diesen Praxen weniger fachlich kompetente Ärzte arbeiten.

Einen Nachteil sieht die Tierärztevertreterin allerdings darin, dass sich die Beziehung zwischen Tierarzt und Tierbesitzer ändert. „Es fehlt der persönliche Bezug. Ich kenne meine Kunden relativ gut - das können solche Praxen nicht leisten“, sagt Kruse, die ihre Praxis seit 18 Jahren führt. An ihrer Selbstständigkeit schätzt die Medizinerin unter anderem die damit verbundenen Freiheiten.

Die Redaktion empfiehlt
Weitere Artikel

Senat fordert Schadenersatz für Toiletten-Pleite

„Hamburgs teuerstes Klo wird zugeschüttet!“ - meinte der Steuerzahlerbund zur Entscheidung, bei einem millionenschweren Bauprojekt die Reißleine zu ziehen. Der Senat will sich das Geld wiederholen.