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Parabadminton

TParalympics-Sensation mit 60: Zu Hause bei Thomas Wandschneider

Thomas Wandschneider und die Bronzemedaille von Paris.

Thomas Wandschneider und die Bronzemedaille von Paris. Foto: Scholz

Der gebürtige Buxtehuder wurde in Paris zum Paralympics-Star. Doch wie hat sich sein Leben seitdem verändert? Ein Besuch bei einem Mann, der noch lange nicht ans Aufhören denkt.

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Von Tim Scholz
Donnerstag, 22.05.2025, 05:50 Uhr

Lindhorst. In einem Raum seines Hauses, das mal ein Büro war, reihen sich auf Regalbrettern unzählige Pokale und Medaillen aneinander; an den Wänden hängen gerahmte Urkunden. „Aber das ist nicht alles“, sagt Thomas Wandschneider. In Spanien, seinem zweiten Zuhause, lagern weitere Trophäen - dort sei schlicht mehr Platz.

Allein bei Welt- und Europameisterschaften stand Wandschneider fast dreißig Mal auf dem Podium. Doch wo ist die Medaille seines größten Erfolgs?

Rückblick auf ein unglaubliches Jahr

Ein Winterabend in Lindhorst, nahe Hannover. Draußen ist es bereits dunkel, als Thomas Wandschneider und seine Frau Anja die Tür zu ihrem Haus öffnen. Drinnen knistert der Kamin. Bei einer Tasse Tee am Wohnzimmertisch blicken sie zurück: auf ein unglaubliches Jahr mit Empfängen, Fernsehauftritten und Galas. „Man kann sich gar nicht vorstellen, was alles passiert ist“, sagt Anja Wandschneider. Thomas: „Es war sehr anstrengend, aber auch sehr schön.“

Wandschneider dominiert seine Sportart und hat bereits unzählige Pokale, Medaillen und Urkunden gewonnen.

Wandschneider dominiert seine Sportart und hat bereits unzählige Pokale, Medaillen und Urkunden gewonnen. Foto: Scholz

Wandschneider verbrachte seine Kindheit in Buxtehude und Hammah, spielte damals Tischtennis. Mit dem Leistungssport begann er erst nach einem Unfall: Im Mai 2000 war ein Müllfahrzeug in Hannover an einer roten Ampel auf sein Auto aufgefahren - seitdem ist Wandschneider querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl.

„Die Ärzte haben mir damals noch drei bis fünf Jahre gegeben“, sagt er. „Ich habe mir gedacht, ich muss was tun. Ohne Sport werde ich wohl nicht alt werden.“ Wandschneider begann mit Parabadminton und dominierte diese Sportart bald wie kaum ein anderer. Doch trotz seiner Erfolge kannten ihn nur wenige außerhalb der Szene.

Der Triumph von Paris

Das änderte sich im vergangenen Jahr. Bei den Paralympischen Spielen in Paris wurde Wandschneider zur Sensation. Er besiegte deutlich jüngere Gegner, zog nach einem denkwürdigen 103-Minuten-Match ins Halbfinale ein - und holte Bronze.

Thomas Wandschneider wurde in Paris zum Publikumsliebling.

Thomas Wandschneider wurde in Paris zum Publikumsliebling. Foto: Francois-Xavier Marit/AFP/dpa

Mit 60 Jahren war er einer der ältesten deutschen Athleten, die je auf einem olympischen oder paralympischen Podest standen. Die Reporter in Paris fragten: Wie ist das möglich? Wandschneider antwortete: „Mit extremem Ehrgeiz.“

„Ich war schon immer ein Workaholic“

Wandschneider holt ein wenig aus, erzählt, dass er gelernter Koch sei und auch im Einzelhandel und in der Versicherungsbranche, als Filialleiter und als Referent gearbeitet habe. „Ich war schon immer ein Workaholic“, sagt er. Und das sei auch nach dem Unfall so geblieben. „Ich habe diese Einstellung mit in den Sport genommen und unheimlich viel investiert.“

Ein Symbol für diesen Einsatz steht vor dem Haus: Neben der Hecke parkt ein silberner Mercedes-Sprinter, 196 PS, doppelte Bereifung, eigenhändig umgebaut mit Bett, Kochnische und absenkbarer Rampe.

Thomas Wandschneider in seinem zweiten Zuhause, einem umgebauten Mercedes-Sprinter.

Thomas Wandschneider in seinem zweiten Zuhause, einem umgebauten Mercedes-Sprinter. Foto: Scholz

Jahrelang war der Sprinter sein zweites Zuhause. Während der Woche schlief Wandschneider darin, direkt vor der Trainingshalle in Hannover. Erst freitagabends kehrte er zu seiner Familie zurück. Rund sechs Jahre ging das so.

Entbehrungen für den großen Erfolg

Ein solches Leben fordert Verzicht. „Ich hatte kaum Zeit für meine Familie“, sagt der vierfache Vater und zweifache Großvater. Taufen und Kindergeburtstage - oft fielen sie Wettkämpfen zum Opfer. „Das wurde mir von meiner Familie auch mal negativ ausgelegt“, sagt Wandschneider, „aber das ist mein Job. Ich wollte diese Medaille.“

Anja und Thomas Wandschneider sind seit 1990 verheiratet.

Anja und Thomas Wandschneider sind seit 1990 verheiratet. Foto: Scholz

Seine Frau trägt diese Entscheidung mit. Seit mehr als 20 Jahren begleitet sie ihn zu internationalen Turnieren. Wenn er nach Spielen zu erschöpft ist, sich umzuziehen oder zu duschen, hilft sie ihm. „Ich weiß, dass es für Thomas nicht ohne Sport geht und er keine halben Sachen macht“, sagt Anja Wandschneider. Seit 1990 sind sie verheiratet.

Wandschneider geigt dem Ex-Kanzler seine Meinung

Das Haus in Lindhorst ist nur nicht barrierefrei, sondern auch auf Leistungssport ausgerichtet: mit Kraftraum, Aufzug und Deckenlifter. Das Wohnzimmer ist zugleich Arbeitszimmer, denn leisten kann sich Wandschneider das Leben als Leistungssportler nur, weil er gemeinsam mit seiner Frau eine rollstuhlgerechte Ferienanlage in Spanien betreibt. Einer der Söhne kümmert sich vor Ort um den Betrieb.

Thomas Wandschneider betreibt eine Ferienanlage in Spanien.

Thomas Wandschneider betreibt eine Ferienanlage in Spanien. Foto: Scholz

Wandschneider ärgert sich, dass sich Spitzensport in Deutschland finanziell kaum lohnt. Bei einer Podiumsdiskussion sprach er den damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz direkt darauf an. „Bei Ungerechtigkeiten gehe ich voran und sage meine Meinung“, sagt Wandschneider.

Wie Wandschneider zum Publikumsliebling wurde

Dass er dennoch nicht aufgehört hat, liegt auch daran, dass der Sport ihm Lebensqualität zurückgebracht hat. „Wenn man viel trainiert und plötzlich wieder einen Finger bewegen kann, dann hilft einem das im Alltag. Dann hält man den Löffel wieder besser.“ Er wolle Vorbild sein für Menschen mit Behinderung, aber auch für Ältere.

In Paris, sagt seine Frau, hätten sich viele mit ihm identifiziert. „Thomas hat die Leute mitgenommen.“ Mit „Allez, Thomas!“-Rufen feuerten sie ihn an.

Thomas Wandschneider, hier mit Laudatorin Stephanie Müller-Spirra (Mitte) und Moderatorin Barbara Schöneberger, bei der Verleihung des Medienpreises Goldene Henne.

Thomas Wandschneider, hier mit Laudatorin Stephanie Müller-Spirra (Mitte) und Moderatorin Barbara Schöneberger, bei der Verleihung des Medienpreises Goldene Henne. Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Wohl auch deshalb erhielt Wandschneider den Publikumspreis Goldene Henne in der Kategorie Paralympics. Bei der Fernsehgala sagte er: „Man kann immer noch in einem gewissen Alter ein Ziel verfolgen. Immer wieder aufstehen, der nächste Tag gibt etwas besseres.“

Noch ein Ziel? L.A. 2028?

Wandschneider hätte sich gewünscht, dass der Deutsche Badminton Verband nach Paris das Gespräch mit ihm sucht. Als Trainer, als Botschafter, als Gesicht des Sports. „Ich liebe diesen Sport“, sagt er, „ich kann gut reden und Menschen dafür begeistern.“ Doch bisher sei die Antwort ausgeblieben.

Thomas Wandschneider beim Doppel in Paris.

Thomas Wandschneider beim Doppel in Paris. Foto: Ian Rice/AFP/dpa

Bundestrainer Christopher Skrzeba möchte Wandschneiders Erfolg nicht schmälern. „In unserem Sport hat bisher niemand eine so große Aufmerksamkeit bekommen. Wir hoffen, nun die nächste Generation zu finden, die ebenfalls bis ins hohe Alter erfolgreich sein kann.“

Wann er aufhören wird, hat Wandschneider noch nicht entschieden. „Ich muss schauen, wie mein Körper das mitmacht. Es zwickt an so vielen Ecken.“ Die Paralympics 2028 in Los Angeles schließt er jedoch nicht aus. Der Bundestrainer: „Ein schwieriges Thema. Dann wäre er fast 65 Jahre alt. Es wäre ein harter Weg bis dahin.“

Diese Medaille hat Wandschneider immer dabei

Bleibt noch die Frage, wo er die wichtigste Medaille, die er je gewonnen hat, aufbewahrt. Wandschneider greift hinter sich, zieht sie aus einem Beutel am Rollstuhl, eine von über 5000 Medaillen, die in Paris vergeben wurden.

Durch das viele Anfassen hat die Bronzemedaille etwas von ihrem Glanz verloren.

Durch das viele Anfassen hat die Bronzemedaille etwas von ihrem Glanz verloren. Foto: Scholz

Die Medaille ist längst nicht mehr glänzend, vom vielen Anfassen. „So viele Menschen wollten sie sehen“, sagt er. Deshalb trägt Wandschneider sie immer bei sich. Vielleicht auch als Beweis dafür, was in seinem Alter noch möglich ist.

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