TPosen, protzen, provozieren: Autoposer rasen durch Stade und sorgen für Ärger

Temporeich durch die Nacht: Autoposer sind gerne auffällig laut und übertrieben schnell unterwegs (Symbolbild). Foto: Christoph Reichwein/dpa
Auspuffe knallen, Reifen quietschen, Motoren heulen auf: In Stade sind fast täglich Autoposer unterwegs. Vor allem am Bahnhof und in der Innenstadt rasen sie und nerven andere Menschen. Ein Stimmungsbild.
Stade. Bahnhof Stade, kurz nach 19 Uhr: Lautes Auspuffröhren übertönt den üblichen Verkehrslärm. Noch ist der Verursacher nicht zu sehen. Doch das aggressive Röhren kommt schnell näher, begleitet von einem knallenden Auspuff. Ein schwarzer Mercedes taucht auf. Er kommt aus Richtung Bahnhofstraße und biegt in die Straße Am Bahnhof ein.
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Deutlich schneller als 30 Stundenkilometer
Der Fahrer hält kurz an - dann beschleunigt er. Einige Passanten blicken kurz zu ihm rüber, ihre Aufmerksamkeit hat er schon mal. Tempo 30 gilt hier, auf dem Tacho dürfte allerdings deutlich mehr stehen.
Mit quietschenden Reifen legt sich der Wagen auf der schmalen Straße vor dem Parkhaus in die Linkskurve - und verschwindet aus dem Blickfeld.

Eigentlich Tempo 30, aber eine beliebte Poser-Strecke: die Straße Am Bahnhof. Foto: Bisping
Mit einem PS-starken Auto am Bahnhof oder im dortigen Parkhaus posen und rasen bedeutet nicht nur Lärmbelästigung, sondern auch Gefahr. „Das geht solange gut, bis jemand umgenietet wird“, sagt Birgit, Taxifahrerin aus Stade, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte.
Erfahrung mit den Rasern hat sie bereits gemacht: Einer hatte sie jüngst in der Straße Am Bahnhof mit halsbrecherischem Tempo überholt. Eine kritische Situation. „Die haben die dicksten Autos unterm Hintern und dann geht’s los“, sagt sie.
Polizei kann „auch nicht viel machen“
Die Polizei informieren? Hat sie schon. Gebracht hat es wenig. „Die können auch nicht viel machen“, sagt sie. Ihr Vorschlag: ein Blitzer. „Da würden einige ihren Führerschein abgeben.“
Taxi-Kollege Jörg Schlichtmann sagt, er blende den Poserkrach inzwischen aus. Bis auf den Schreck, den die knallenden Auspuffe verursachen. „Die fliegen hier regelmäßig in ihren Audis vorbei“, sagt er. Häufig, so seine Beobachtung, fast die ganze Nacht lang. „Wir wundern uns, dass so wenig passiert, die scheinen immer Glück zu haben.“
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Jugendliche werden zum Publikum auserkoren
„Der erste Gang wird hier bis an die Grenzen gefahren“, berichtet ein Pendler. Seit Jahren fährt er von Groß Sterneberg nach Stade und zurück. Auffällig oft werde gepost, wenn Jugendliche am Bahnhof stehen.
„Die werden dann zum Publikum auserkoren.“ Er dagegen sei über die Zeit abgestumpft. „Man nimmt das so hin“, sagt der Pendler. Seine Vermutung: Mehr Polizei vor Ort würde das Problem nur verlagern.
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Grünen-Ratsherr fordert weniger Platz für Autos
Über die Raser und Poser ärgert sich Christian Demski schon länger. Der Grünen-Ratsherr pendelt regelmäßig vom Stader Bahnhof aus - und bekommt viel von der Stimmung mit. „Das ist lautes, aggressives Verhalten“, sagt er.
„Es nimmt anderen Leuten die Lust am Radfahren oder am Zufußgehen.“ Demski wünscht sich einen Bahnhof, an dem man sich sicher fühlt.

Starker Abrieb durchdrehender Reifen. Im Parkhaus am Bahnhof hinterlassen die Autoposer deutliche Spuren. Foto: Bisping
Am Stader Bahnhof sei das nicht der Fall, die Poser verstärkten das Problem. „Da möchte man schnell weg.“ Es sei außerdem „gefährlich, wenn schwere Wagen um die Ecke geschossen kommen“. Die Stadt sei für Autos geplant.
Wunsch nach mehr Dynamik
Radfahrern und Fußgängern Raum zurückzugeben, das fordert Demski. Ein Thema, mit dem sich auch das Integrierte Stadtentwicklungskonzept ISEK 2040 befasst. Vorgesehen ist darin eine Mobilitätswende mit besonderem Fokus auf den Radverkehr.
Demski führt Radstraßen auf Probe an, zum Beispiel die Dankersstraße. Sie sei schon im Gespräch, um die Akzeptanz als Radstraße zu testen.
Bei den Umsetzungen wünscht er sich mehr Dynamik. „Das ist mir als Grüner noch etwas zu zaghaft.“ Dabei würde sich, sagt Demski, Stade für ein Verkehrskonzept als Stadt der kurzen Wege mit Verkehrsmitteln abseits des Autos geradezu anbieten.
Nicht jeder Tuner ist auch ein Poser
Also Autos den Raum nehmen - und damit den Posern ihre Spielwiese. In Stade sind sie außer am Bahnhof auch auf der Glückstädter Straße, Hansestraße und dem Altstadtring laut und schnell unterwegs.
Die Poser gibt es schon lange, weiß Ralf Michaelis. Der Leiter des Einsatz- und Streifendienstes der Polizeiinspektion Stade hat sich lange mit dem Thema Tuning befasst. „Posen und Tuning ist nicht dasselbe“, stellt er klar. Auch wenn es manchmal so wirke.
Am Kaufland-Parkhaus herrscht jetzt Ruhe
„Junge Menschen, die ihr Auto pflegen und aufbereiten, fahren nicht automatisch auffällig“, sagt Michaelis. Eine wachsende Poser-Szene in Stade kann er nicht ausmachen. Wem aber regelwidriges Fahren auffalle, sollte sich bei der Polizei melden.
Das hatten auch Anwohner beim Kaufland-Parkhaus getan, einstiger Treffpunkt von Posern. Mehrmals waren Polizisten dorthin ausgerückt. Wie ein Anwohner dem TAGEBLATT berichtete, sei es nun wesentlich ruhiger geworden.
Michaelis erzählt, dass früher Stadersand einer der Hotspots war. Die Masse der sich treffenden Wagen sowie die hochdrehenden Motoren hätten für viel Lärm und Ärger gesorgt. Den PS-Protzern konnten Polizei und Stadt im Juni 2021 einen Riegel vorschieben - mit einem Fahrverbot zwischen 22 und 6 Uhr.
Raser verursachen mitunter Unfälle mit tödlichem Ausgang
Ein Spezialeinsatzkommando für Autoposer wie in Hamburg habe Stade nicht, sagt Michaelis. „Es gibt eine Kontrollgruppe, die sich mit Tuning befasst.“ Fahrzeugveränderungen müssen legal und zulässig sein. Wenn nicht, wird zur Kasse gebeten.
Zwischen 20 und 135 Euro kann es kosten, wenn ein Auspuff unerlaubt manipuliert wurde. Und wer bei einem illegalen Autorennen der Polizei entkommen will und flüchtet, könne nach Paragraf 315d des Strafgesetzbuches bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe kassieren.
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Immer wieder kommt es zu schweren Unfällen, die mutmaßlich auf Raserei oder illegale Straßenrennen zurückzuführen sind. Zu einem möglicherweise durch Raserei verursachten Unfall war es im vergangenen Jahr auf der Stader Elbstraße zwischen Stadersand und der Kreuzung an der L 111 gekommen.
Ein 19-Jähriger hatte mit seinem BMW beim Überholen die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. Insgesamt sieben Personen wurden dabei verletzt, der mutmaßliche Unfallverursacher schwer.
Tuning-Community distanziert sich von Posern
Dass es auch anders gehen kann, beweist die Community Weekend-Cruisen (www.weekend-cruisen.de). Auf der Website sind gepflegte und oft getunte Wagen zu sehen. Tristan Thies hat hier den Hut auf.
„Wir machen Fahrten im norddeutschen Raum“, sagt er. „Wir kooperieren mit der Polizei, auch mit der in Stade.“ Treffen würden immer angemeldet.
In der Hansestadt seien sie häufig unterwegs, dann mit 100 bis 150 Teilnehmern. Ein Treffpunkt der Community, die insgesamt 4000 Mitglieder zählt, sei zum Beispiel ein großer Parkplatz im Industriegebiet. „Von Posern halten wir gar nichts“, sagt er. „Wer rumpost, darf gleich wieder gehen.“