TPraxissterben im Stader Nachbarkreis: 1500 Patienten suchen neuen Hausarzt

Hausärzte sind Mangelware - insbesondere im Südkreis. In Schiffdorf, Loxstedt, Beverstedt und Hagen sind nur noch zwei Drittel der Hausarzt-Sitze besetzt. Foto: Stephan Jansen
Wieder hat ein Hausarzt aufgehört. Diesmal in Hagen. Hals über Kopf, ohne einen Nachfolger zu haben. Eine Katastrophe für die Patienten. Tatsächlich ist der Ärztemangel im Süden des Kreises Cuxhaven viel dramatischer als bislang bekannt war.
Hagen. Vor der Praxis von Oliver Becker in Hagen standen die Patienten Ende vergangener Woche in langer Schlange an. Ein paar Tage zuvor hatte der Hausarzt seine Praxis dichtgemacht. „Aus betriebswirtschaftlichen und gesundheitlichen Gründen“ müsse er das tun, prangte auf einem Schild an der Praxistür. Jetzt wollen viele der 1500 Patienten ihre Krankenakten holen. In der Hoffnung, damit bei einem anderen Hausarzt zu landen. Einige haben schon einen neuen Arzt gefunden, berichten sie.
Damit haben sie Glück gehabt. In Hagen ist die Versorgung mit Hausärzten noch vergleichsweise gut. Es gibt das Ärztehaus im Gewerbegebiet, 2019 neu eröffnet, mit vier Allgemeinmedizinern. Und die Praxis von Ilka Priebe, ebenfalls im Gewerbegebiet. Aber die Ansagen auf dem Anrufbeantworter sprechen Bände. „Wegen riesigen Arbeitsaufkommens und Personalengpässen“ könne man Anrufe nicht mehr entgegennehmen, heißt es bei Priebe. Auch im von Thomas Dorsch und Hashem Lutfi betriebenen Ärztehaus bekommt man telefonisch niemanden an die Strippe.
Mehr als 500 neue Patienten haben bei Hausärztin Priebe in Hagen angeklopft
Ilka Priebe reagiert zumindest auf die E-Mail und meldet sich am Nachmittag. „Die letzten drei Tage waren der Alptraum“, sagt sie. Bestimmt mehr als 500 Patienten hätten bei ihr angeklopft, „alle nur mit dem Wunsch, Unterschlupf zu finden“. Darunter viele mit chronischen Erkrankungen. Sie habe erst einmal alle angenommen, erzählt die Hausärztin. Aber wie es weitergehen solle, wisse sie nicht. „Wir müssen sehen, was machbar ist. Aber ich kann Hagen nicht retten“, sagt sie. Die Situation sei schon seit Monaten angespannt, „seit die Austeins aufgehört haben“.
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Keine Frage, die Lage ist ernst. Und das nicht erst, seit das Ehepaar Austein aufgehört hat. Jörg Austein hat zusammen mit Philipp Kliem eine Gemeinschaftspraxis in Loxstedt betrieben, seine Frau Martina führte die einzige Hausarzt-Praxis in Stotel. Beide sind Ende vergangenen Jahres in den Ruhestand gegangen. Ohne dass es einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin gab.
Damit waren sie nicht die Ersten. Angela Kuttig, die Kinderärztin in Loxstedt, hat aufgehört, ein Jahr zuvor hatte Martin Emschermann in Beverstedt den Schlüssel endgültig umgedreht. Im 3800 Einwohner großen Schiffdorf gibt es seit dem plötzlichen Tod von Georg Reinschüssel im Januar 2022 keinen Hausarzt mehr. Zwar will dort ein Bremerhavener Mediziner eine Zweigstelle eröffnen. Aber auch erst, wenn er Ärzte dafür gefunden hat.
„Der Kreis Cuxhaven ist unser größtes Sorgenkind“
Das ist überall auf dem Land schwierig. Immer weniger Mediziner wollen den zeitraubenden Job des selbstständigen Landarztes übernehmen. Den Kreis Cuxhaven, in dem fast jeder zweite Hausarzt älter als 60 Jahre ist, trifft der Notstand besonders. „Der Kreis Cuxhaven ist unser größtes Sorgenkind. Der Süden des Kreises hat die schlechteste Ärzteversorgung im ganzen Land“, sagt Detlef Haffke, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Hannover. Die Selbstorganisation der Ärzte ist für die Besetzung der Arztsitze zuständig.
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Tatsächlich stehen den Patienten in Loxstedt, Schiffdorf, Hagen und Beverstedt deutlich weniger Ärzte zur Verfügung, als die Kassenärztliche Vereinigung bislang eingestanden hat. Das hat einen simplen Grund: Zwei der Ärzte, die in den vergangenen Jahren aufgehört haben, haben ihre Kassenzulassung nur ruhen lassen und nicht zurückgegeben. Weil sie glaubhaft versichert hätten, dass sie die Arzttätigkeit eventuell wieder aufnehmen, berichtet der KV-Geschäftsführer in Stade, Sören Rievers, auf Nachfrage der „Nordsee-Zeitung“.
Im Südkreis sind nur noch zwei von drei Landarzt-Sitzen besetzt
Damit ist die Lage in Wahrheit noch schlechter, als die offiziellen Zahlen hergeben. Die Ärzteversorgung im Südkreis liegt formell bei gut 77 Prozent. Auch kein Spitzenwert. In Wirklichkeit aber sieht es mieser aus. Wenn man die beiden Ärzte im Wartestand abzieht und die gerade geschlossene Praxis in Hagen, fehlen drei weitere Mediziner. 38,25 Ärzte braucht es, um den Südkreis mit seinen knapp 57.000 Einwohnern medizinisch zu versorgen. Es praktizieren hier aber nur noch 23,75 Hausärzte. Das heißt, nur zwei von drei Landarzt-Sitzen sind besetzt - genauer gesagt 68,3 Prozent.
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Damit liegt die medizinische Versorgung de facto klar unter 75 Prozent. Das ist die Grenze, ab der eine Region als unterversorgt gilt. Das hat Folgen. Denn in unterversorgten Regionen greift die KV tief in die Tasche, um Ärzte anzulocken und die verbliebenen Praxen zu stützen. So bekommen Landärzte, die sich dort niederlassen, einen Zuschuss von 60.000 Euro, in manchen Fällen sogar bis zu 75.000 Euro. Und die verbliebenen Praxen, die mehr Patienten behandeln, weil Kollegen aufgehört haben, erhalten 6000 Euro pro Quartal extra. Das alles gibt es derzeit nicht.