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Energieversorgung

TPreisexplosion bei Fernwärme: Harsefelder klagen gegen Lieferanten

Leitungen in der Fernwärmeverteilerstation eines Heizkraftwerks.

Leitungen in der Fernwärmeverteilerstation eines Heizkraftwerks. Foto: Marijan Murat/dpa

Sie müssen exorbitante Summen zahlen, durch die Preisgestaltung steigt aber niemand mehr durch. Jetzt klagen Harsefelder gegen ihren Fernwärmelieferanten. Dieser begrüßt das sogar.

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Von Alexandra Bisping
Freitag, 14.02.2025, 08:05 Uhr

Harsefeld. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt sollte es im eigenen Heim warm sein. Doch Teilnehmer der Interessengemeinschaft (IG) Fernwärme Harsefeld überlegen sich das Heizen mittlerweile zweimal. Ihr Fernwärmeanbieter hat in den vergangenen Jahren massiv an der Preisschraube gedreht. Jetzt wollen sie dagegen vorgehen.

„Wir sind im Monopol gefangen, können nicht einfach den Anbieter wechseln“, erklärt Sven Grüschow, einer der vier IG-Sprecher. In ihrem Baugebiet sei damals keine zusätzliche Gasleitung gelegt worden. Die Anwohner sind abhängig vom Versorgungsunternehmen HanseWerk Natur - und haben aufgrund von dessen Preispolitik im Dezember 2023 eine Interessengemeinschaft gebildet.

Auch kommunale Einrichtungen sind betroffen

Betroffen seien circa 250 Privathaushalte, außerdem die Grundschule Feldbusch, der Kindergarten Feldbusch und der Wohnpark Königshof. Das Wohngebiet besteht aus vielen Reihenhäusern und Doppelhaushälften. Die Anwohner zahlen an HanseWerk Natur gepfefferte Preise: Bis zum 1. Januar 2021 waren es 7,50 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Danach hätten massive Preissteigerungen eingesetzt, zuerst von HanseWerk Natur mit der Corona-Krise begründet und später mit dem Ukraine-Krieg.

Sie haben sich der Sammelklage gegen HanseWerk Natur angeschlossen und hoffen, dass es noch weitere Betroffene tun (von links): Sven Grüschow, Christian Krammig, Frank Dohrmann und Peter Herzog.

Sie haben sich der Sammelklage gegen HanseWerk Natur angeschlossen und hoffen, dass es noch weitere Betroffene tun (von links): Sven Grüschow, Christian Krammig, Frank Dohrmann und Peter Herzog. Foto: Bisping

Zum 1. Januar 2022 lag der Preis bei 17,22 Cent pro kWh, „ohne Angabe von nachvollziehbaren Gründen“, ergänzt IG-Sprecher Christian Krammig. Die Erhöhung entspricht einer Preissteigerung von 129 Prozent innerhalb eines Jahres.

Ein Jahr später, zum 1. Januar 2023, betrug der Preis aufgrund des Ukraine-Krieges 36,72 Cent - eine Steigerung um 389 Prozent binnen 24 Monaten. Für 2023 hatte die Bundesregierung eine Preisbremse für Fernwärme eingeführt. Demnach zahlten Kunden 9,5 Cent pro Kilowattstunde - allerdings gedeckelt auf 80 Prozent des Verbrauchs.

2024 gab es diese Preisbremse nicht mehr. Die Preise bei HanseWerk Natur pendelten sich im vergangenen Jahr zwischen 22,22 und 24,83 Cent ein. Zum 1. Januar dieses Jahres liegt der Preis bei 22,75 Cent - ausgehend von 2021 noch immer eine Steigerung um 203 Prozent.

Ein Gefühl der Ohnmacht und genervte Mitarbeiter

Auf der Internetseite des Unternehmens ist die Berechnungsformel zwar einsehbar, „aber für Normalverbraucher kaum nachvollziehbar“, sagt IG-Sprecher Frank Dohrmann. Es fehle an Transparenz und somit auch an Vergleichsmöglichkeiten. „Da kommt ein Gefühl der Ohnmacht auf.“ Gespräche mit der zuständigen Hotline seien zwecklos. „Die Mitarbeiter reagieren extrem genervt.“

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Zu Hochzeiten, sagt Dohrmann, habe er für ein freistehendes,156 Quadratmeter großes Haus 530 Euro im Monat für die Wärmeversorgung bezahlt. Peter Herzog, ebenfalls Sprecher der IG Fernwärme, ergänzt: „Dabei hatten wir uns schon an die hohen Preise angepasst und weniger geheizt.“

Ein Vergleich mit städtischen Wärmeversorgern scheint indes schwierig. „Das ist, als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen“, sagt Marco Lunden von den Stadtwerken Buxtehude. Viele Faktoren spielten mit hinein, zum Beispiel ob das Haus gut gedämmt sei oder nicht. Bei Fernwärme werde noch die Heizungsanlage im Preis mitgerechnet. Auch die Energiepreise an der Börse spielten eine Rolle.

Mareike Wilshusen vom Fachbereich Bauen im Harsefelder Rathaus bestätigt die Preisexplosion, die auch bei der Gemeinde als Träger der kommunalen Einrichtungen Grundschule und Kita spürbar sei. An der Sammelklage sei sie aber nicht beteiligt.

„Wir stehen in engem Austausch mit der Interessengemeinschaft“, sagt Wilshusen. Gerade werde die kommunale Wärmeplanung aufgestellt. „Dabei haben wir auch das betroffene Gebiet im Blick und schauen parallel nach anderen Möglichkeiten der Wärmeversorgung.“ Die IG bekräftigt in diesem Zusammenhang: „Für uns Verbraucher besteht hier dringender Handlungsbedarf.“

So funktioniert Fernwärme

Wie Fernwärme funktioniert, beschreibt der Energieversorger Gasag auf seiner Website wie folgt: „Fernwärme wird in zentralen Heizkraftwerken produziert, die häufig eine Kombination aus fossilen Brennstoffen, Biomasse und regenerativen Energien nutzen.“

Die erzeugte Wärme werde in Form von heißem Wasser oder Dampf über ein Netz von gut isolierten Rohren transportiert. „Dieses sogenannte Fernwärmenetz verteilt die Wärme gleichmäßig an die angeschlossenen Gebäude.“

Über die Verbraucherzentrale Bundesverband hat sich die IG Fernwärme Harsefeld einer Sammelklage gegen HanseWerk Natur angeschlossen und sich im Klageregister beim Bundesamt für Justiz eingetragen. Sie ruft Betroffene dazu auf, es ebenfalls zu tun. Nur so könne man Geld zurückbekommen.

„Preiserhöhungen sind nicht gerechtfertigt“

„Die HanseWerk Natur GmbH ist ein Fernwärmeanbieter, der in den letzten Jahren seine Preise enorm erhöht hat“, begründet die Verbraucherzentrale Niedersachsen die Sammelklage. Aus Sicht der Verbraucherzentrale Bundesverband sei das nicht gerechtfertigt. Die Klage solle dafür sorgen, dass HanseWerk Natur seine Abrechnungen rückwirkend anpasst und seinen Kunden das sich daraus ergebende Guthaben erstattet.

Die Verbraucherzentrale führt die Sammelklage als Musterfeststellungsklage weiter. Damit will sie sicherstellen, dass Ansprüche von Verbrauchern nicht verjähren. Kürzlich fand der erste Verhandlungstag vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht statt. Verbraucher haben noch bis zum 5. März Zeit, um sich für die Klage anzumelden. Der Termin für das Urteil ist noch offen. Mehr unter www.verbraucherzentrale.de/verfahren/hansewerk.

Eine TAGEBLATT-Anfrage bei HanseWerk Natur ergab: Das Unternehmen sieht die Klage weder zulässig noch begründet. „In dem Verfahren geht es inhaltlich um die gestiegenen Preise auf dem Wärmemarkt 2021 bis 2023“, antwortet der Leiter Kommunikation, Ove Struck. Diese seien in erster Linie auf die extremen und nie dagewesenen Preissteigerungen infolge des Ukrainekriegs und die Einstellung der russischen Erdgaslieferungen im Spätsommer 2022 zurückzuführen.

„Auch berücksichtigt die Klage nicht die geltende Rechtslage“, so Struck. Diese sehe vor, dass Fernwärmeversorgungsverträge sogenannte Preisanpassungsklauseln enthalten, damit der Preis für die Wärme an die Entwicklung der Kosten des Wärmeversorgungsunternehmens und die Entwicklung des Wärmemarkts angepasst werden könne.

Grundsätzlich begrüße das Unternehmen, dass das Gericht zu einer Klärung der in Rede stehenden Rechtsfragen beitrage, die aufgrund der unklaren Gesetzeslage bestünden. „Das hilft allen Beteiligten, zukünftig unterschiedliche Interpretationen und Konflikte zu vermeiden und erhöht die Rechts- und Planungssicherheit.“

Leitungen in der Fernwärmeverteilerstation eines Heizkraftwerks.

Leitungen in der Fernwärmeverteilerstation eines Heizkraftwerks. Foto: Marijan Murat/dpa

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