TMissstände auf Kreuzfahrtschiffen: Oben Champagner, unten Maloche

Platz für bis zu 5.000 Urlauber und etwa 1.000 Crewmitglieder: Für Wissenschaftlerin Katharina Bothe sind Kreuzliner ein Mikrokosmos. Foto: (Adobe Firefly)
Neue Länder kennenlernen, in der Sonne auf dem Deck liegen, aufs Meer schauen, Champagner schlürfen: ein Traum für viele. Doch Kreuzfahrt hat auch eine andere Seite.
Bremerhaven. Im Juli 1844 legt in Southampton die „Lady Mary Wood“ der englischen Reederei P & O, ab und nimmt Kurs aufs Mittelmeer. An Bord sind erlebnishungrige, betuchte Passagiere. Niemand ahnt, dass damit die Zeit der Passagierschifffahrt und Kreuzfahrtindustrie anbricht. Heute verzeichnet der Markt für Kreuzfahrten weltweit 20 Millionen Passagiere. Doch während sich die Gäste verwöhnen lassen, haben Crewmitglieder teilweise einen Knochenjob. Die Kulturwissenschaftlerin Dr. Katharina Bothe vom Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven untersucht Muster sozialer Ungleichheit an Bord von Kreuzfahrtschiffen von Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute.
Heutzutage schweißen Werftarbeiter ganze schwimmende Städte zusammen, für 5000 Urlauber und mehr, dazu vielleicht 1000 bis 2000 Mannschaftsmitglieder. Für Bothe sind solche Kreuzliner ein Mikrokosmos. Nicht selten kommen bis zu 100 Nationalitäten in der Crew zusammen. „In der internationalen Kreuzfahrtindustrie besteht die Schiffsbesatzung zu 70 Prozent aus Arbeitern aus Entwicklungs- und Schwellenländern.“ Ob Philippiner, Inder oder Chinesen: Sie stehen in der Regel nicht in schnieker Uniform auf der Brücke, sondern reinigen stattdessen tief im riesigen Schiffsbauch dreckige Wäsche, arbeiten im Lager und im Maschinenraum oder verdienen ihr Geld im Service.
„Diese Angestellten haben oft schlechtere Arbeitsbedingungen als Kollegen aus Industrieländern“, gehört zu den Aussagen, die die DSM-Mitarbeiterin auf ihrem Weg zur Professur abklopfen will.
Die Stiftung Warentest hat 2019 in einer Studie die Arbeitsbedingungen auf Kreuzlinern alle mit „ausreichend“ bewertet. Der deutsche Mindestlohn und Sozialstandards würden vielfach nicht eingehalten. „Der Durchschnittslohn liegt nach Gewerkschaftsangaben bei drei bis fünf Dollar“, so Katharina Bothe. Die Reedereien könnten sich diesen Umgang erlauben, weil sie ihre Schiffe ausgeflaggt haben. Für deutsche Reedereien fährt kein Schiff unter schwarz-rot-goldener Flagge.
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„Koloniale Strukturen“ bis heute
Es sei erstaunlich, dass Arbeitskräfte auf modernen Kreuzfahrtschiffen vornehmlich aus asiatischen Ländern stammen, die einst zu europäischen Kolonien gehörten. „Wir sehen auf den Schiffen koloniale Strukturen im neuen Gewand“, behauptet Bothe und wird während ihrer Habilitation dafür Belege sammeln. Sie will unter anderem in Indien recherchieren, ein riesiges, bevölkerungsreiches Land, eng verknüpft mit dem British Empire und heute dem Commonwealth. „Mumbai ist ein Hub für Seefahrer“, berichtet Katharina Bothe.
Filipinos machen inzwischen einen Anteil von etwa 30 Prozent an den Besatzungen aus. Oft knuffen sie an Bord für ihre Familien in der Heimat. Die schlechte Heuer ist immer noch viel Geld, mehr, als sie in ihrer Heimat verdienen könnten. Katharina Bothe: „Aber das rechtfertigt keine Ausbeute.“ Auf den Philippinen gebe es 1.200 Arbeitsagenturen, die Besatzungsmitglieder für Kreuzliner vermitteln. Die Vorbereitungskurse müssten Interessierte nicht selten aus eigener Tasche bezahlen, so Bothe.

Die Kulturwissenschaftlerin Katharina Bothe erforscht die Arbeitsbedingungen an Bord von Kreuzfahrtschiffen. Foto: Scheschonka
Arbeit von Migranten auf Werften
Bereits in ihrer Doktorarbeit zu Arbeitsbedingungen von Migranten im Schiffbau auf Werften hat die Kulturwissenschaftlerin festgestellt, wie oft sich Migranten mit harten Jobs und prekären Arbeitsverhältnissen abfinden müssen und wie hartnäckig sich soziale Unterschiede halten. Warum greift diese 39-jährige Kulturwissenschaftlerin solche sozialkritischen Themen auf? Vielleicht, sinniert Katharina Bothe, aus persönlichen Bezügen. Ihre Mutter ist aus Polen nach Deutschland eingewandert. Diskriminierung, der Kampf um Anerkennung und Gleichbehandlung sind ihr und ihrer Familie nicht fremd.
Für ihre Habilitation hat sich die DSM-Mitarbeiterin schon durch Bibliotheken gelesen - auch in Cambridge, wohin sie ein Forschungsaufenthalt geführt hat. Sie hat sogar eine Crewliste aus den 1920er Jahren gefunden, in der die Besatzungsmitglieder nach Herkunft aufgelistet und ihnen danach die Bezahlung zugeordnet wurde. Außerdem fiel ihr ein Handbuch zum Umgang mit Filipinos in die Hände. „Sehr rassistisch“, meint Katharina Bothe. Sie will Seetagebücher auswerten, Schiffspläne, Crew- und Lohnlisten einsehen, mit Gewerkschaftlern sprechen, bei der Seemannsmission anklopfen, Interviews mit Seeleuten führen, aber auch Kreuzfahrtreisen mitmachen und schlicht den Betrieb beobachten. Zum Beispiel: Wo sind Crewmitglieder überhaupt zu finden?